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AKTUELLES & HISTORISCHES:
Nazi-KZ Stutthof-Verfahren und Prozesse
Zuletzt aktualisiert am 10.09.2023 !
FRAGESTELLUNG
ZUR ROLLE DER DEUTSCHEN JUSTIZ
IN DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG
Siehe auch:
- NS-Verfahren nach 1945 >>>
- Nazi-KZ Auschwitz-Verfahren und Prozesse >>>
- Nazi-KZ Buchenwald-Verfahren und Prozesse >>>
- Nazi-KZ Mauthausen-Verfahren und -Prozesse >>>
- Nazi-KZ Sachsenhausen-Verfahren und -Prozesse >>>
- Nazi-KZ Stutthof-Verfahren und -Prozesse >>>
- Nazi-Ärzte und Mediziner-Prozesse >>>
- Nazi-Juristen Prozesse und Verfahren >>>
Seiteninhalt:
- NS- und Rechtsextremismus-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach
- YouTube-Videos zu Nazi-KZ Stutthof-Verfahren und Prozessen
- Podcasts zu Nazi-KZ Stutthof-Verfahren und Prozessen
- Online-Artikel zu Nazi-KZ Stutthof-Verfahren und Prozessen
4.1 Online-Artikel zu Historischen Nazi-KZ Stutthof-Verfahren und Prozessen
4.2 Online-Artikel zu Nazi-KZ Stutthof-Verfahren und Prozessen im 21. Jahrhundert
4.2.1 KZ-SS-Wachmann Bruno D.
4.2.2 KZ-SS-Wachmann Johann R.
4.2.3 KZ-Sekretärin Irmgard F. - Stellungnahme der vom Amtsgericht Mosbach beauftragten forensischen Sachverständigen aus Kitzingen zu historischen Nazi-KZ Stutthof-Verfahren und -Prozessen sowie zu gegenwärtigen NS-Prozessen im 21.Jahrhundert
1. NS- und Rechtsextremismus-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach
1.1 Gerichtlich verfügte Beauftragung der forensischen Sachverständigen aus Kitzingen durch das Amtsgericht Mosbach bezüglich der gerichtlichen und außergerichtlichen Anti-Nazi-Aktivitäten des Antragstellers
In der Verfügung des Amtsgerichts Mosbach unter 6F 9/22 vom 17.08.2022, teilt das Amtsgericht Mosbach die Rechtsauffassung mit, dass es nicht Aufgabe des Gerichts sei, die NS-Vergangenheit aufzuarbeiten, was SOWOHL entgegen der Rechtsaufassung des baden-württembergischen Justizministeriums unter JUMRIX-E-1402-41/878/4 vom 20.06.2022, dass heute und noch künftig NS-Verbrechen von der Justiz verfolgt würden, ALS AUCH entgegen der Rechtsauffassung u.a. des Urteils vom 28.06.2022 beim Landgericht Neuruppin mit der Verurteilung eines 101-jährigen KZ-Wachmannes wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 3.500 Fällen steht.
Das Amtsgericht Mosbach erklärt, die vom Antragsteller initiierten Verfahren zur Aufarbeitung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen nicht bearbeiten, sondern laut Verfügungs-Mitteilung vom 17.08.2022 unter 6F 9/22 getrennt von der Akte lediglich in einem Sonderband anlegen zu wollen.
Das AG MOS äußert sich weiterhin auch in 6F 2/22 in und nach der Verhandlung vom 22.11.22 NICHT zu den beim AG MOS erhobenen konkreten Dienstaufsichtsbeschwerden und Anhörungsrügen u.a. gegen wiederholt nicht-ordnungsgemäße Bearbeitungen von konkreten Eingaben des Antragstellers zur Aufklärung und Aufarbeitung von Nationalsozialistischem Unrecht und von Nationalsozialistischen Verbrechen seitens des Amtsgericht Mosbach unter 6F 9/22 entgegen der geltenden Strafprozessordnung § 158 StPO. Siehe dazu auch u.a. KV-RA-Eingabe vom 22.06.22 unter 6F 2/22.
Das Familiengericht-Amtsgericht Mosbach, Hauptstraße 110, 74281 Mosbach, beauftragt die forensische Sachverständige aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21, die Anti-Nazi-Aktivitäten des KVs und Antragstellers in einer ergänzenden Stellungnahme gutachterlich einzuschätzen und zu bewerten.
Dazu zählen laut Anweisungen dieser amtsgerichtlichen Verfügungen SOWOHL die seit Sommer 2022 vom Antragsteller beim Amtsgericht Mosbach initiierten NS- und Rechtsextremismus-Verfahren ALS AUCH seine außergerichtlichen und gerichtlichen Aufklärungs- und Aufarbeitungsbemühungen zu Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen aus dem Zeitraum um 2008, d.h. konkret von 2004 bis 2011, im Rahmen seiner sogenannten "Nazi-Jäger"-Aktivitäten im sachverhaltsbezogenen Kontext zur Problematik des Nationalsozialismus vor und nach 1945 und dessen Aufarbeitung bis heute. Siehe dazu auch Kapitel 5 auf dieser Seite.
Das Amtsgericht Mosbach BEAUFTRAGT EXPLIZIT in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZU DEN NAZI-VERBRECHER-PROZESSEN am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach in 2022 mit seinen jahrelangen Bemühungen um die außergerichtliche und gerichtliche Aufarbeitung von Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
Das Amtsgericht Mosbach BEAUFTRAGT EXPLIZIT in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach die forensische Sachverständige aus Kitzingen, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZU DEN JURISTISCHEN NS-VERFAHREN ALS TEIL DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG INKLUSIVE DER ROLLE DER DEUTSCHEN BRD-JUSTIZ, d.h. sowohl zu den seit 1945 bis heute im 21. Jahrhundert geführten NS-Prozessen als auch zu den in 2022 noch laufenden NS-Prozessen und zu den künftigen NS-Prozessen, an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
Das Amtsgericht Mosbach BEAUFTRAGT EXPLIZIT in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME zum menschenverachtenden System der Nazi-Konzentrationslager SOWIE DEREN THEMATISIERUNGEN IN DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG NACH 1945 bis heute am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht mit seinen jahrelangen Bemühungen um die außergerichtliche und gerichtliche Aufarbeitung von Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
Das Amtsgericht Mosbach BEAUFTRAGT EXPLIZIT in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME zum menschenverachtenden System der Nazi-Konzentrationslager örtlich und konkret bezogen im Gau Nordbaden Mosbach vor 1945 und im heutigen Neckar-Odenwaldkreis SOWIE DEREN THEMATISIERUNGEN IN DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG NACH 1945 bis heute am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht mit seinen jahrelangen Bemühungen um die außergerichtliche und gerichtliche Aufarbeitung von Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
Das Amtsgericht Mosbach BEAUFTRAGT EXPLIZIT in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZU sogenannten NAZI-JÄGER-AKTIVITÄTEN MIT NS-PROZESSEN, VERURTEILUNGEN VON NS-TÄTER*INNEN, auch zu NS-Prozessen im 21. Jahrhundert, d.h. auch in 2022 laufenden und noch künftigen NS-Prozessen, etc. IN DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG NACH 1945 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach mit seinen jahrelangen Bemühungen um die außergerichtliche und gerichtliche Aufarbeitung von Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
Siehe dazu:
- Beantragte NS- und Rechtsextremismusverfahren beim Amtsgericht Mosbach >>>
- Umgang des Amtsgerichts Mosbach mit NS-Verfahren >>>
- Petition beim Landtag von Baden-Württemberg zur Aufarbeitung von NS-Unrecht >>>
- Frühere außergerichtliche NS-Aufarbeitungen des Antragstellers 2005 bis 2011 sowie seit 2022 >>>
- Frühere gerichtliche NS-Aufarbeitungen des Antragstellers 2004 bis 2010 sowie seit 2022 >>>
- Versuchte Instrumentalisierung einer familienpsychologischen forensischen Sachverständigen aus Kitzingen in aktuellen NS- und Rechtsextremismusverfahren beim Amtsgericht Mosbach >>>
- Gelungene Instrumentalisierung einer familienpsychologischen forensischen Sachverständigen aus Kitzingen in aktuellen NS- und Rechtsextremismusverfahren beim Amtsgericht Mosbach >>>
- Gerichtliche Beauftragung einer Psychiatrischen Begutachtung des Antragstellers von NS-Verfahren und Rechtsextremismus-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach >>>
- Sachverständige und Gutachter aus Kitzingen - Verhältnis zum Nationalsozialismus und Rechtsextremismus >>>
2. YouTube-Videos zu Nazi-KZ Stutthof-Verfahren und Prozessen
Letzter NS-Prozess? KZ-Wachmann vor Gericht | Panorama 3 | NDR
Sendung: Panorama 3 | 24.09.2019 | 21:15 Uhr
ARD
In Hamburg steht ab Oktober ein ehemaliger Wachmann des Nazi-Konzentrationslagers Stutthof vor Gericht. Es könnte einer der letzten Prozesse gegen einen mutmaßlichen NS-Verbrecher sein.
Warum noch heute? Verfahren gegen eine ehemalige KZ-Sekretärin | Panorama 3 | NDR
Dienstag, 11. Mai 2021, 21:15 bis 21:45 Uhr
Donnerstag, 13. Mai 2021, 01:20 bis 01:50 Uhr
ARD
Die ganze Sendung gibt es in der ARD-Mediathek: https://1.ard.de/Panorama3_1105
Eine 95-Jährige ist angeklagt, NS-Verbrechen unterstützt zu haben. Was bringen solche Verfahren 76 Jahre nach dem Krieg?
96-Jährige KZ-Sekretärin vor Gericht: Schießt die Justiz übers Ziel hinaus? | DW Nachrichten
DW Deutsch
Zwei der wohl letzten Prozesse gegen mutmaßliche NS-Täter werde in Deutschland gerade vor Gericht verhandelt - mehr als 75 Jahre nach Kriegsende. Doch wie sinnvoll ist es, jetzt noch gegen juristisch eher kleine Lichter des NS-Regimes vorzugehen, während viele Größen des NS-Regimes und mutmaßlichen Haupttäterinnen und -täter nie verurteilt wurden. Alan Posener, selbst Sohn eines jüdischen Vaters, hat eine klare Meinung dazu.
27.10.2021 - Nazi war crimes suspect on trial in Germany
CBS Evening News
A 96-year-old woman is on trial outside Hamburg, Germany, accused of being an accessory to the murder of thousands of people at a Nazi concentration camp. This could be the last trial of its kind. Charlie D’Agata reports.
"CBS Evening News with Norah O'Donnell" delivers the latest news and original reporting, and goes beyond the headlines with context and depth. Catch the CBS Evening News every weekday night at 6:30 p.m. ET on the CBS Television Network and at 10 p.m. ET on CBSN.
https://www.youtube.com/watch?v=Z4dRNIOnHO8
30.09.2021 - Angeklagte 96-Jährige KZ-Sekretärin auf der Flucht gefasst | DW Nachrichten
Vor Gericht soll sich die ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof wegen Beihilfe zu tausendfachem Mord verantworten. Doch statt beim Prozess in Itzehoe zu erscheinen, setzte sich die 96-Jährige in ein Taxi Richtung Hamburg.
Wegen der plötzlichen Flucht der Angeklagten hatte das Landgericht die Verhandlung auf den 19. Oktober vertagt und einen Haftbefehl gegen die Angeklagte erlassen. "Gegen eine ausgebliebene Angeklagte findet die Hauptverhandlung bekanntlich nicht statt", sagte der Vorsitzende Richter Dominik Groß.
https://www.youtube.com/watch?v=GaRVfnoFaX4
07.11.2018 - Gräuel im KZ Stutthof: Eine ehemalige Insassin berichtet | DW Deutsch
DW Deutsch
In Münster hat der Prozess gegen einen ehemaligen SS-Wachmann des Konzentrationslagers Stutthof begonnen. Ihm wird Beihilfe zum Mord in hunderten Fällen zur Last gelegt. Dora Roth war einige Jahre im Lager interniert und hat die unmenschliche Gewalt überlebt.
https://www.youtube.com/watch?v=nLiEXCMZF98
23.07.2020 - Prozess um KZ-Wachmann Bruno D (93): „Das Urteil ist einfach absurd“
BILD
Im Konzentrationslager Stutthof (bei Danzig) soll Bruno D. (93) als SS-Wachmann zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“ haben. Für seine Taten musste sich der ehemalige KZ-Wächter seit Mitte Oktober 2019 vor dem Hamburger Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft warf dem ehemaligen SS-Wachmann Beihilfe zum Mord in mehr als 5230 Fällen vor. Nun wurde das Urteil gesprochen.
https://www.youtube.com/watch?v=6-sJt7ddDxE
23.07.2020 - Bewährungsstrafe für ehemaligen SS-Wachmann
Handelsblatt
Das Landgericht Hamburg hat einen 93-jährigen ehemaligen SS-Wachmann zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Ihm wurde Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen im Konzentrationslager Stutthof vorgeworfen.
https://www.youtube.com/watch?v=68C2QbgWolQ
30.09.2021 - 96-year-old woman accused of Nazi war crimes is caught after fleeing trial - BBC News
BBC News
A 96-year-old woman who was a secretary at a Nazi concentration camp is in custody in Germany.
She was arrested after going on the run from her care home, to avoid charges of complicity in the murder of more than 10,000 people.
Irmgard Furchner was a teenager when she worked for the commander of the Stutthof concentration camp in occupied Poland.
Sophie Raworth presents BBC News at Ten reporting by Berlin correspondent Jenny Hill.
https://www.youtube.com/watch?v=wmH8uhlVWYI
06.10.2021 - Germany Nazi Death Camp Survivor "The biggest fish were let go" Concentration Camps | Oneindia News
Oneindia News
Irmgard F. was a secretary at the Stutthof concentration camp for two years. Now, at the age of 96, she is to stand trial on charges of more than 11,000 counts of accessory to murder. Why did they wait until today, asks Holocaust survivor Abba Naor. Holocaust survivors are people who survived the Holocaust, defined as the persecution and attempted annihilation of the Jews by Nazi Germany and its allies before and during World War II in Europe and North Africa.
https://www.youtube.com/watch?v=Od-fBuT9AqQ
3. Podcasts zu Nazi-KZ Stutthof-Verfahren und Prozessen
Landgericht Hamburg
Prozessbeginn gegen ehemaligen KZ-Wachmann
Bruno D. war Wachmann im KZ Stutthof bei Danzig. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges lebte er unbehelligt in Hamburg. Jetzt beginnt der Prozess gegen den 93-Jährigen – wegen Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen. Verhandelt wird allerdings vor der Jugendstrafkammer – weil er als 17-Jähriger seinen Dienst begann.
Von Elke Spanner | 17.10.2019
https://www.deutschlandfunk.de/
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02:49
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4. Online-Artikel zu Nazi-KZ Stutthof-Verfahren und Prozessen
Stutthof-Prozesse
Aufseherinnen während des 1. Stutthof-Prozesses in Danzig vom 25. April bis 31. Mai 1946 – Erste Reihe von links nach rechts: Elisabeth Becker, Gerda Steinhoff, Wanda Klaff – Zweite Reihe von links nach rechts: Erna Beilhardt, Jenny Wanda Barkmann
Die Stutthof-Prozesse (poln. Procesy załogi Stutthofu) umfassen zunächst die vier Strafprozesse gegen Angehörige der Lagermannschaft des nationalsozialistischen Konzentrationslagers Stutthof vor einem polnisch-sowjetischen Strafgericht (1. Stutthof-Prozess) bzw. polnischen Bezirksgericht (2. bis 4. Stutthof-Prozess) in Danzig in den Jahren 1946 und 1947. Des Weiteren können auch alle im In- und Ausland geführten Prozesse gegen das an den Stutthof-Verbrechen beteiligte Lagerpersonal unter diesen Begriff subsumiert werden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Stutthof-Prozesse
Mutmaßliche NS-Verbrecher aufgespürt
Sie waren Wachleute, Schreibkräfte oder Telefonistinnen im Vernichtungslager Stutthof bei Danzig. Ob gegen die acht Männer und Frauen Anklage wegen Beihilfe zum Mord erhoben wird, entscheiden Staatsanwälte.
09.08.2016
Die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg hat gegen die vier Männer und vier Frauen Vorermittlungen geführt und das Ergebnis an die zuständigen Staatsanwaltschaften weitergeleitet. Den Betroffenen wird vorgeworfen, mit ihrer Arbeit im KZ Stutthof in Tausenden Fällen Beihilfe zum Mord geleistet zu haben.
Wie Behördenleiter Jens Rommel mitteilte, waren die Männer als Wachleute und die Frauen als Schreibkraft, Telefonistin oder Fernsprechvermittlerin in der Lagerverwaltung tätig. Der älteste der Ex-Wachleute sei 1918 geboren, die jüngste zivile Mitarbeiterin 1927. Die Verdächtigen leben alle im Bundesgebiet.
Verurteilung ungewiss
Nach Einschätzung Rommels war Stutthof spätestens von Juli 1944 an ein Vernichtungslager, in dem Häftlinge durch Gas oder Genickschuss ermordet wurden. Bis Mai 1945 wurden rund 27.000 Menschen, vor allem Juden, getötet.
Ob die Mitarbeit im Lager als Wachmann oder Telefonistin für eine Verurteilung ausreicht, sei schwer einzuschätzen, meinte der Rommel: "Wir wissen nicht, ob wir rechtlich den Kreis so weit ziehen können."
Gesundheitszustand muss berücksichtigt werden
Bei einer Verurteilung sehe der Strafrahmen eine Gefängnisstrafe zwischen drei und 15 Jahren vor, allerdings könnte für mehrere Beteiligte auch noch das Jugendstrafrecht gelten. Ob es zu Gerichtsverfahren gegen die Tatverdächtigen kommt, entscheiden die jeweiligen Staatsanwaltschaften. Dabei müssen sie den Gesundheitszustand der Hochbetagten berücksichtigen.
Im Zuge ihrer Vorermittlungen versucht die 1958 gegründete Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen, nach Ort, Zeit und Täterkreis begrenzte Tatkomplexe herauszuarbeiten und noch verfolgbare Beschuldigte zu ermitteln. Gelingt dies nach ihrer Einschätzung, leitet sie den Vorgang an die zuständige Staatsanwaltschaft weiter. Erst diese entscheidet dann über eine Anklage.
gri/kle (epd, afp, dpa)
Datum 09.08.2016
https://www.dw.com/de/
4.1 Online-Artikel zu Historischen Nazi-KZ Stutthof-Verfahren und Prozessen
Erster Stutthof-Prozess
Nach der Befreiung des Lagers Stutthof am 9. Mai 1945 begann eine sowjetische Kommission zur Untersuchung nationalsozialistischer Kriegsverbrechen unverzüglich mit ihren Ermittlungen, die ab Mitte 1945 von einer polnischen Kommission fortgeführt wurden. Die Ermittlungsergebnisse bildeten die Basis für die Stutthof-Prozesse und dienten auch als Grundlage für die Auslieferung von einigen Beschuldigten aus den westalliierten Besatzungszonen. Der 1. Stutthof-Prozess begann am 25. April 1946 und endete am 31. Mai 1946. Insgesamt waren dreizehn Angehörige der Lagermannschaft angeklagt, darunter sechs Frauen und fünf polnische Funktionshäftlinge. Die Angeklagten wurden beschuldigt im KZ Stutthof Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Alle Angeklagten wurden für schuldig befunden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Stutthof-Prozesse
Zweiter Stutthof-Prozess
Der 2. Stutthof-Prozess begann am 8. Oktober 1947 und endete am 31. Oktober 1947.[2][3] Insgesamt waren 24 Angehörige der Lagermannschaft angeklagt, darunter ein Funktionshäftling. Alle Angeklagten wurden für schuldig befunden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Stutthof-Prozesse
Dritter Stutthof-Prozess
Der 3. Stutthof-Prozess begann am 5. November 1947 und endete am 10. November 1947. Insgesamt waren 20 Angehörige der Lagermannschaft angeklagt. Von den Angeklagten wurden 19 für schuldig befunden und erhielten zeitige Haftstrafen (drei bis zwölf Jahre).
https://de.wikipedia.org/wiki/Stutthof-Prozesse
Vierter Stutthof-Prozess
Der 4. Stutthof-Prozess begann am 19. November 1947 und endete am 29. November 1947. Insgesamt waren 27 Angehörige der Lagermannschaft angeklagt, darunter ein Funktionshäftling. Von den Angeklagten wurden 26 für schuldig befunden und erhielten zeitige Haftstrafen (sieben Monate bis 15 Jahre).
https://de.wikipedia.org/wiki/Stutthof-Prozesse
BRD-Prozesse in den 50er und 60er Jahren
Vor dem Landgericht Hamburg wurde 1950 gegen zwei Angeklagte wegen der Misshandlung und Tötung von Häftlingen verhandelt. Nach der Revision vor dem Bundesgerichtshof 1951 erhielt ein Angeklagter eine zweijährige Haftstrafe, der andere wurde freigesprochen.[5]
https://de.wikipedia.org/wiki/Stutthof-Prozesse
4.2 Online-Artikel zu Nazi-KZ Stutthof-Verfahren und Prozessen im 21. Jahrhundert
Der Dokumentarfilm "Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht"
Stand: 24.01.2023, 14:48 Uhr
Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs finden derzeit die wahrscheinlich letzten Gerichtsverfahren gegen NS-Verbrecher statt. Wie kam es dazu, dass ehemalige SS-Wachleute, KZ-Sekretärinnen und -Buchhalter so viele Jahre unbehelligt blieben?
Lange hatte die deutsche Justiz den sogenannten "Einzeltatnachweis" verlangt, der gerade bei den Tausenden Mittätern schwer zu erbringen ist. Dabei hatte Generalstaatsanwalt Fritz Bauer schon im Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 gezeigt, dass es möglich ist, auch die kleineren Rädchen im Getriebe der Mordmaschinerie vor Gericht zu bringen. Der Dokumentarfilm "Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht" zeigt anhand der jüngsten Prozesse zum "KZ Stutthof", wie sich diese Rechtsauffassung in den letzten Jahren etablieren konnte. Bewegende Zeitzeugenberichte von Überlebenden verdeutlichen, dass die Gerichtsverfahren nicht nur eine späte Genugtuung für die Opfer, sondern auch eine Mahnung für die Zukunft sind.
"Fritz Bauers Erbe" ist im Rahmen des "Stranger than Fiction"-Festivals am 27. Januar in Duisburg, am 28. Januar in Köln, am 30. Januar und 05. Februar in Dortmund, am 31 Januar. in Brühl und Bochum am 05. und 07. Februar in Essen zu sehen. Der Kinostart ist am 02. Februar.
Autor des TV-Beitrages: Rayk Wieland
https://www1.wdr.de/fernsehen/west-art/sendungen/film-fritz-bauers-erbe-100.html
Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht
Deutschland 2021 · 98 Minuten · FSK: ab 12
Regie: Sabine Lamby, Cornelia Partmann, Jens Schanze
Drehbuch: Isabel Gathof, Cornelia Partmann, Sabine Lamby
Kamera: Nicolas Mussell
Schnitt: Martin Hofmann
»Im November 2018 steht der 95-jährige Johann R. wegen Beihilfe zum Mord in Hunderten Fällen vor Gericht. Im Konzentrationslager Stutthof soll er als SS-Mann Teil der Lageraufsicht gewesen sein. Wieso sind so viele Jahre bis zum Prozessbeginn verstrichen? Was bedeutet der Prozess für Überlebende der Shoah, für die deutsche Rechtsprechung und die Aufarbeitung der deutschen Geschichte? Der Dokumentarfilm Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht beleuchtet den Prozess aus der Perspektive der Frankfurter Ausschwitzprozesse, die 1963 – vor fast 60 Jahren – nach maßgeblichem Einsatz des damaligen hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer begannen.« (15. LICHTER Filmfest Frankfurt International)
https://www.artechock.de/
Prozesse im 21. Jahrhundert
Das Landgericht Wuppertal teilte am 10. März 2021 mit, es habe die Eröffnung des Prozesses gegen einen mutmaßlichen ehemaligen SS-Wachmann des KZ Stutthof abgelehnt. Der 96-Jährige sei laut ärztlichem Gutachten dauerhaft verhandlungsunfähig. Dem Hochbetagten war Beihilfe zum Mord in mehreren hundert Fällen vorgeworfen worden. Er soll von Juni 1944 bis Mai 1945 als Heranwachsender einem SS-Totenkopf-Wachbataillon zugeteilt gewesen sein, welches das deutsche Konzentrationslager Stutthof östlich von Danzig bewacht habe.
https://de.wikipedia.org/wiki/Stutthof-Prozesse
4.2.1 KZ-SS-Wachmann Bruno D.
Früherer SS-Wachmann vor Gericht
"Ich hatte die Möglichkeit erwogen, zu verschwinden. Aber wohin?"
Bruno D. war Wachmann im KZ-Stutthof, er ist wegen Beihilfe zum tausendfachen Mord angeklagt. Die Richterin sagt, er hätte sich Befehlen widersetzen können. Der 93-Jährige sieht das anders.
Von Julia Jüttner
16.12.2019, 19.00 Uhr
Zum zehnten Mal wird Bruno D. im Rollstuhl in den Saal 300 des Hamburger Landgerichts geschoben. An diesem Montag ist der 93-Jährige wieder mit der Befragung an der Reihe; kein Opfer, kein Holocaust-Überlebender, sondern er - der frühere SS-Wachmann im Konzentrationslager Stutthof. Dort, in der Nähe von Danzig, stand er von August 1944 bis April 1945 auf einem der Türme. Er ist deshalb angeklagt wegen Beihilfe zum tausendfachen Mord.
Das Gericht wird seine Befragung an diesem Tag abschließen, erst danach werden Staatsanwaltschaft und Nebenklägervertreter dem Angeklagten ihre Fragen stellen. Die Vorsitzende Richterin beginnt mit einer Feststellung: Kommandanturbefehle belegten, dass auch im Lager Weihnachten gefeiert worden sei. Wie denn die sogenannten Julfeiern im KZ abliefen?
Er habe an keinen Feiern teilgenommen, sagt Bruno D. Er könne sich auch nicht daran erinnern, dass ihnen, den Wachmännern, das gestattet gewesen wäre. Silvesterpartys, Heimfahrten - all das habe es nicht gegeben. Ein einziges Mal sei er im Kino gewesen. "Nur einmal?", fragt die Richterin. Das komme ihr wenig vor, da es für die Wachleute "ein richtiges Unterhaltungsprogramm" im KZ gegeben habe.
Er könne sich nur an einen Besuch im Kino erinnern, sagt Bruno D. Es habe schließlich auch keinen Befehl gegeben, ausgehen zu müssen. "Ich habe mich sowieso immer etwas abgesondert."
Wie fand er es, eine SS-Uniform zu tragen?
Ein Satz. Eine Strategie. Bruno D. wird in den folgenden zwei Stunden ebenso wie an früheren Verhandlungstagen nicht davon abweichen: Er war Wachmann in einem KZ, in dem die Nationalsozialisten 65.000 Menschen ermordeten und mehr als 100.000 Juden und politische Gegner unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangen hielten - aber von den Gräueltaten und der Massenvernichtung will D. keine Ahnung haben.
Richterin Anne Meier-Göring fragt ihn nach dem Unterschied zwischen Volksdeutschen und Reichsdeutschen, den die Nationalsozialisten damals machten; nach den Ukrainern, die im KZ die Wachmannschaft unterstützen sollten; danach, wie er es gefunden habe, eine SS-Uniform zu tragen.
Bruno D. schöpft aus seinem fundierten Erinnerungsvermögen und gibt Auskunft. An die Ankunft von mehr als 50.000 Gefangenen, die in das Lager deportiert wurden, während er dort Wache schob, will er jedoch keine Erinnerung haben. "Ich hab' das nicht mitbekommen", sagt der 93-Jährige.
Früheres KZ Stutthof Foto: newspix/ imago images
Die Vorsitzende müht sich um Sachlichkeit und zählt drei Möglichkeiten auf, warum Bruno D. zu der Dimension des Verbrechens nichts sagen will: "Entweder Sie lügen uns an oder Sie haben all die schrecklichen Bilder im Kopf verdrängt oder Sie wollen uns nichts dazu sagen, weil Sie vielleicht doch Ihre Waffe zum Einsatz bringen mussten." Nichts davon sei wahr, entgegnet Bruno D. "Ich weiß es einfach nicht."
Meier-Göring lässt nicht locker. Was ist mit dem Berg von Tausenden Schuhen all der Toten, die im KZ ihr Leben lassen mussten? Was ist mit den Gefangenen, die in der Kälte ausharren mussten, stundenlang, auch nachts? Was ist mit den Prügelattacken und tödlichen Übergriffen auf Gefangene bei den Appellen? Was ist mit dem Wachpersonal aus Auschwitz oder anderen Lagern, die zur Unterstützung nach Stutthof kamen? Laut Kommandanturbefehl vom 3. Oktober 1944 wurde eine Begleitmannschaft bei der 1. Kompanie des Totenkopfsturmbanns eingesetzt, der Kompanie, der Bruno D. angehörte.
Bruno D. hat angeblich nichts gesehen, nichts gehört, nichts mitbekommen - so lassen sich seine Aussagen zusammenfassen. Mitleid habe er trotzdem gehabt. Besonders mit den Juden, die nur im Lager festgehalten wurden, weil sie Juden waren. Er habe gewusst, dass sie unschuldig seien. All das sagt er im Gericht. Ein Eingeständnis, mit dem er sich keinen Gefallen tut. Es kommt zum Schlagabtausch.
Er hätte sich widersetzen können, sagt die Richterin
Wann er verstanden habe, dass sich vor seinen Augen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit abgespielt habe, will die Richterin nun wissen. "Ziemlich schnell", antwortet Bruno D. Ob er daran gedacht habe, nicht mitzumachen? "Gedacht habe ich das. Aber was hätte ich tun sollen?", fragt Bruno D. Er hätte sich dem Befehl nicht verweigern können, ohne sich selbst in Lebensgefahr zu bringen. Die Richterin hält dagegen: Er hätte sich eines verbrecherischen Befehls widersetzen können. "Dass das schon ein verbrecherischer Befehl war, darüber habe ich nicht nachgedacht", sagt Bruno D.
Die Richterin hört nicht auf:
Habe er überhaupt eine Möglichkeit erwogen, sich zu entziehen? "Ich hatte die Möglichkeit erwogen, zu verschwinden. Aber wohin?"
Habe er sich damals die Frage gestellt, das alles nicht mit seinem Gewissen vereinbaren zu können? "Gestellt schon, aber wem hätte ich es sagen sollen?"
Warum sei er nicht wie andere Wachmänner zu seinen Vorgesetzten gegangen? "Ich weiß nicht, wie die das gemacht haben."
Ein "verbrecherischer Befehl" sei für ihn gewesen: "Den musst du erschießen!", sagt Bruno D. Und das hätte er nie getan. Die Richterin fragt nach: "Aber auf einem Wachturm stehen und verhindern, dass die Gefangenen weglaufen, das war okay?" Bruno D. wirkt empört: "Okay war das auf keinen Fall."
Es ist ein zähes Ringen und die Aussichtslosigkeit auf Konsens ist offensichtlich. Bruno D. bleibt dabei: Hätte er sich vom Wachturm versetzen lassen, hätte er sich diesem Befehl verweigert, wäre sein Posten von einem anderen besetzt und kein Menschenleben gerettet worden.
Die Richterin betont: Viele Wachmänner hätten erklärt, sich mit einer Verweigerung selbst in Gefahr zu bringen. Tatsächlich sei kein einziger Wachmann, der sich widersetzt habe, umgebracht worden.
Fast am Ende stellt Meier-Göring die Frage, die über dem ganzen Verfahren schwebt: "Herr D., Sie sagen, Sie haben nichts getan. Sie haben keine Schuld?"
Bruno D. rückt seinen Kopfhörer zurecht. "Ich habe keine Schuld. Ich habe niemandem direkt Leid angetan."
Lesen Sie auch den Bericht zu einer historischen Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Wer Auschwitz bewachte, ist schuldig >>>
https://www.spiegel.de/
KZ-Überlebender gegen SS-Wachmann
"Ich komme nicht aus Rache. Allerdings: Ich beschuldige, ich verzeihe nicht"
Wie beteiligten sich Wachmänner an den Taten im KZ Stutthof? Vor Gericht hat der Überlebende Abraham Koryski sadistische Gräuel geschildert: "Ich will, dass die Welt erfährt, was passiert ist."
Von Julia Jüttner
09.12.2019, 16.40 Uhr
Abraham Koryski: Der 92-Jährige ist aus Israel angereist, um als Zeuge auszusagen Foto: Christian Charisius/ AFP
Als Abraham Koryski im August 1944 ins Konzentrationslager Stutthof nahe Danzig kam, war es Nacht. Es roch nach Leichen. Acht Tage lang war er mit etwa 800 Juden aus Estland unterwegs gewesen, ohne Essen, ohne Trinken, so erinnert er sich. Er wurde mit anderen in eine Baracke getrieben, es war so eng, dass er im Stehen schlafen musste. Am nächsten Morgen wurden ihm die Haare abrasiert. Abraham Koryski war nun ein KZ-Gefangener, er war damals 16 Jahre alt.
Am vergangenen Wochenende wurde Abraham Koryski 92 Jahre alt, er ist aus Israel angereist und sitzt nun in Saal 300 des Landgerichts Hamburg und erzählt von seinen ersten Stunden im KZ Stutthof. Ein kleiner Mann mit einem freundlichen Gesicht, geboren in Litauen, er trägt ein Hörgerät und eine Brille. Neben ihm sitzt seine Tochter, ein paar Reihen dahinter sitzen zwei weitere Angehörige.
Links von ihm sitzt Bruno D., 93 Jahre alt. Er stand von August 1944 bis April 1945 als SS-Wachmann auf einem der Türme des KZ Stutthof. Die Nationalsozialisten hielten dort mehr als 100.000 Juden und politische Gegner gefangen, 65.000 von ihnen ermordeten sie. Bruno D. ist angeklagt wegen Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen. Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass er, auch wenn er keinen Gefangenen eigenhändig getötet hat, durch seine Arbeit als Wachmann Beihilfe zum Massenmord geleistet hat.
Sadistische SS-Offiziere
Abraham Koryski ist gekommen, um zu erzählen, was er erlebt hat. Er spricht mit lauter Stimme, ein Dolmetscher übersetzt aus dem Hebräischen. Das Gericht braucht ihn nicht nach der Rolle der Wachleute im KZ zu fragen: Abraham Koryski weiß, worum es in diesem Verfahren geht, er redet nicht lange herum.
Koryski schildert das Unaussprechliche in vielen Details: wie SS-Offiziere und Wachmänner Gefangene zu "bizarren, sadistischen Shows" zusammenriefen. Bei einer habe ein SS-Offizier - offensichtlich unter Einfluss von Alkohol - einen Stuhl zerbrochen und einen Vater samt Sohn aufgefordert, sich zu entscheiden: Entweder der Offizier erschieße einen von beiden oder einer prügele den anderen mit dem Stuhlbein zu Tode. Der Vater habe daraufhin entschieden, der Sohn möge den Vater erschlagen. "Er tat es", sagt Abraham Koryski. "Danach wurde der Sohn erschossen."
Abraham Koryski durchbricht die Stille in Saal 300: "Ich frage euch alle hier: Kann man glauben, dass Menschen so etwas tun?"
Die Wachmannschaft habe man an ihren Uniformen und der Kopfbedeckung von den SS-Offizieren unterscheiden können, sagt Abraham Koryski. Er beschreibt, wie er im Krematorium die nicht verbrannten Knochen einsammeln und auf einen Waggon laden musste; wie er nach dem Aufstehen die Menschen auflesen musste, die in der Nacht gestorben waren; wie sie nachts aus den Baracken getrieben wurden, nackt, bei Minustemperaturen, sie mussten sich duschen und nackt zurücklaufen. "Viele Menschen starben nach solchen Aktionen."
Und er beschreibt, wie die Gefangenen Stunde um Stunde beim "Lager-Appell" auf einem Acker ausharren mussten: Mütze auf, Mütze runter, Mütze auf, Mütze runter. "Das war reiner Sadismus", sagt Abraham Koryski. Beim Appell habe es keine Wachtürme gegeben. Aber für viele andere Gräueltaten gilt seinen Angaben nach: "Die Wachmannschaften waren überall, sie waren dabei." Sie seien eben nicht nur auf den Türmen gestanden. "Man hat nie Gesichter gesehen, man wollte keine Gesichter sehen. Wir hatten Angst."
"Wir aßen Schnee"
Vor seiner Deportation nach Stutthof hatte Abraham Koryski Jahre im Getto in der Altstadt von Vilnius, der Hauptstadt Litauens, verbringen müssen. Von dort hatten die Nationalsozialisten Tausende Juden zur Massenvernichtung nach Ponar gebracht. Über mehrere Lager war der Junge schließlich in Stutthof gelandet, wo er kurz vor Ende des Kriegs zum sogenannten Todesmarsch gezwungen wurde: kilometerlange Menschenschlangen, ohne Essen, ohne Trinken, ohne wärmende Kleidung, ohne Schuhe. Wer starb, wurde auf die Seite geschoben, die anderen mussten weiterlaufen. "Wir aßen Schnee", sagt Abraham Koryski. Mehrfach habe er sich hingesetzt, weil er erschossen werden wollte, weil er die Schmerzen nicht länger ertragen konnte. Dann stand er doch wieder auf. Die Rote Armee habe ihn schließlich befreit.
Es sei sein "ausdrücklicher Wunsch" gewesen, in diesem Verfahren auszusagen, sagt die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring. "Warum?" Wieder ist es still im Saal. Abraham Koryski hat Mühe, zu sprechen. "Ich hatte Angst vor dieser Frage", sagt er und weint. Lange bleibt es still im Saal, dann sagt er: "Für mich ist es nicht einfach. Ich komme nicht aus Rache. Allerdings: Ich beschuldige, ich verzeihe nicht." Er hält inne. "Ich will, dass die Welt erfährt, was passiert ist. Alle sollen alles wissen." Besonders die nächsten Generationen.
"Meine Rache ist meine Familie, meine Angehörigen, die hier im Saal sind", sagt Abraham Koryski. "Sie zeigen, dass ich es geschafft habe, das alles zu überleben."
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Stutthof-Prozess in Hamburg
Nebenkläger sagt gegen ehemaligen KZ-Wachmann aus
Vor dem Landgericht Hamburg läuft der Prozess gegen Bruno D., der als Wachmann im KZ Stutthof für 5230 Morde mitverantwortlich gewesen sein soll. Jetzt hat ein Nebenkläger mit einer Geste überrascht.
12.11.2019, 17.04 Uhr
Nebenkläger und Zeuge Moshe Peter Loth aus Florida Foto: Christian Charisius/ DPA
Im Hamburger Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann im Konzentrationslager Stutthof hat ein Zeuge aus den USA den 93 Jahre alten Angeklagten umarmt. Nach seiner Aussage als Zeuge und Nebenkläger ging der 76-jährige Moshe Peter Loth auf den in einem Rollstuhl sitzenden Angeklagten zu. An die Zuschauer gewandt sagte er: "Passen Sie alle auf! Ich werde ihm vergeben." Dann umarmten sich die beiden Männer. Nach der Verhandlung sagte Loth, beide hätten geweint.
Dem Angeklagten wird Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vorgeworfen. Als SS-Wachmann soll er zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 "die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt" haben. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolte und Befreiung von Häftlingen zu verhindern, heißt es in der Anklage.
Der in Florida lebende Zeuge hatte in seiner Aussage berichtet, dass seine jüdische Mutter am 1. März 1943 festgenommen worden sei, als sie mit ihm im dritten Monat schwanger war. Sie habe ihn in Gefangenschaft zur Welt gebracht. 1944 seien beide ins KZ Stutthof bei Danzig gebracht worden. Bei Kriegsende habe man ihn von seiner Mutter getrennt. Nach seiner Kindheit und Jugendzeit in Polen sei er über Deutschland in die USA gekommen.
Der angeklagte SS-Wachmann verdeckt sein Gesicht Foto: Christian Charisius/ AFP
Während des Stutthof-Prozesses ist Personen im Gerichtsgebäude eigentlich jede Kontaktaufnahme zum Angeklagten und seinen Angehörigen untersagt. "Jede Aufregung für ihn ist besonders gesundheitsgefährdend", hatte sein Verteidiger vor Prozessbeginn gesagt. "Wenn zu viele Leute im Saal sind, könnte es sein, dass ihn das negativ beeinträchtigt."
Ausgelöst wurden dieser und weitere Prozesse gegen ehemalige SS-Wachleute durch eine geänderte Rechtsauffassung. Bei deutschen Staatsanwaltschaften und Gerichten hat sich inzwischen die Ansicht durchgesetzt, dass unterstützende Tätigkeiten wie Wachdienste im juristischen Sinn als Beihilfe zum Mord zu werten sind. Früher waren meist nur Täter belangt worden, die hohe Positionen in der NS-Hierarchie innehatten oder sich direkt an Tötungen beteiligten.
Im Video (2018): Jagd auf Naziverbrecher - Ein 95-Jähriger vor dem Jugendrichter
SPIEGEL ONLINE
jki/dpa
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KZ-Überlebender als Zeuge in Prozess gegen SS-Wachmann
Das Unerträgliche ertragen
"Leichen im Lager waren Alltag": Marek Dunin-Wasowicz war Häftling im KZ-Stutthof, seine Erlebnisse verarbeitete er ein Leben lang. Vor Gericht ist der 93-Jährige nun dem früheren SS-Wachmann Bruno D. begegnet.
Von Julia Jüttner
30.10.2019, 21.28 Uhr
Angeklagter Bruno D. (l.), Zeuge Marek Dunin-Wasowicz (am 28.10.): Blickkontakt vermieden Foto: Christian Charisius/AFP
Marek Dunin-Wasowicz betritt den Saal 300 des Landgerichts Hamburg an einem Stock. Er ist 93 Jahre alt und trägt einen dunklen Anzug mit Einstecktuch, ein weißes Hemd und Krawatte. Ruhig blickt er zur Anklagebank. Dort sitzt Bruno D., auch 93 Jahre alt. Er stand von August 1944 bis April 1945 als SS-Wachmann auf einem der Türme des Konzentrationslagers Stutthof nahe Danzig. Die Nationalsozialisten ermordeten dort 65.000 Menschen, mehr als 100.000 Juden und politische Gegner hielten sie dort unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangen.
Marek Dunin-Wasowicz war einer der Gefangenen. Er ist nicht nur ein wichtiger Zeitzeuge, sondern auch ein wichtiger Zeuge im Prozess gegen Bruno D., dem Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vorgeworfen wird. Deshalb ist Dunin-Wasowicz aus Warschau nach Hamburg gereist.
Es wirkt so, als meide Bruno D. den Blick zum Zeugenstand. Aber es wirkt nicht so, als höre er weg. Marek Dunin-Wasowicz ist gekommen, um zu beschreiben, wie das unzumutbare Leben als Inhaftierter im KZ Stutthof war; welche Unterschiede gemacht wurden zwischen Juden und politisch Verfolgten wie ihm. Mit seinen Brüdern und seinen Eltern hatte er den Widerstand gegen die Deutschen unterstützt.
Marek Dunin-Wasowicz mit Anwalt Rajmund Niwinski: "Ich war ein Warschauer Schlitzohr" Foto: Jasper BASTIAN / AFP
Für das Verfahren ist vor allem wichtig, zu erfahren, was SS-Wachmänner wie Bruno D. von den Gräueltaten der Nazis im Lager mitbekamen, mitbekommen haben müssen - und inwiefern sie, auch wenn sie wie Bruno D. keinen Gefangenen eigenhändig getötet haben, durch ihre Arbeit Beihilfe zum Massenmord leisteten.
Er beschreibt, wie im Lager Menschen verschwanden
Marek Dunin-Wasowicz beschreibt, wie im Herbst 1944 Tausende Juden ins Lager transportiert wurden, wie sie die letzten eineinhalb, zwei Kilometer von der Bahnstation zum Lager liefen und von SS-Leuten in die Baracken "gejagt" wurden oder im Schlamm vor dem Lager, vor dem Stacheldraht, ausharren mussten. Ganze Familien, Frauen, Männer, Kinder, Junge, Alte. Alle streng bewacht. Sie wurden nicht registriert, bekamen keine Nummer wie andere Inhaftierte, sie blieben anonym, nur gekennzeichnet durch einen Davidstern auf der Brust und am Hosenbein, so erzählt es Marek Dunin-Wasowicz. "Das waren Massentransporte."
Doch was geschah mit ihnen? Im Lager, an den Arbeitsstätten habe man diese Menschen nicht gesehen. "Die waren auf einmal weg - wo sollten sie sein?", fragt der Zeuge aus Polen. "Es musste etwas passiert sein." Er schildert, wie sich die Inhaftierten untereinander austauschten, jeder hatte andere Beobachtungen gemacht, zusammen ergaben sie ein fürchterliches Bild: Das ursprünglich als Lager für Kriegsgefangene deklarierte Gelände musste ein Vernichtungslager sein.
Gaskammer im früheren KZ Stutthof Foto: Bruce Adams/ Getty Images
Dazu passte die Beobachtung, die Marek Dunin-Wasowicz selbst machte, als er in Quarantäne kam und durch die kleinen Fenster seines Krankenzimmers die Gaskammer auf dem Gelände sehen konnte und wie Gruppen von etwa 30 Menschen unter SS-Aufsicht dorthin geführt wurden und sich entkleideten. Von der Genickschussanlage habe er erst später erfahren, sagt er. Überhaupt sei der Unterschied zwischen "gehört und gesehen haben" inzwischen verschwommen.
"Sehr große Wagen mit sehr großen Rädern"
"Menschliche Leichen im Lager waren Alltag", sagt Marek Dunin-Wasowicz. Tote hätten auf dem Boden gelegen, verhungert, gestorben vor Erschöpfung. "Täglich gab es spezielle Sonderkommandos von Häftlingen, die sehr große Wagen mit sehr großen Rädern zogen und die Leichen einsammelten und zum Krematorium karrten." Solche "Todeszüge" habe er oft gesehen. "Ich habe auch Skelette gesehen und Menschen, geschwollen von den Beinen bis zum Hals, scheinbar gesund, aber tot gefoltert."
Es sind bedrückende Erinnerungen, die Marek Dunin-Wasowicz an diesem sechsten Prozesstag schildert. Das unzumutbare Leben der Gefangenen in den Barracken, gedrängt in Drei-Etagen-Betten mit drei Personen pro Bett auf einer Matratze aus Stroh, mit einer Scheibe Brot zum Frühstück und einem Schöpflöffel Suppe zum Mittagessen.
"Sie haben immer gehungert, das Essen hat nie ausgereicht", sagt die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring. Nicht ganz, sagt der Zeuge. "Mein Bruder war klug, später Wissenschaftler, Professor. Ich war das Gegenteil: Ich war ein Warschauer Schlitzohr, das gelernt hatte, zu klauen und zu kochen." Ein fast heiterer Satz, der im Gerichtssaal verhallt und nicht zum Erlebten passen will, der aber erahnen lässt, wie einer wie Marek Dunin-Wasowicz das Unerträgliche ertragen konnte.
Todesmarsch durch kniehohen Schnee
Wie er das ausgehalten habe, will auch die Richterin wissen. "Ich bin total gleichgültig geworden", sagt Marek Dunin-Wasowicz. "Das ist eine fürchterliche Krankheit. Ich war lange in Behandlung, bis ich sie loswurde."
Überlebt hat Marek Dunin-Wasowicz, obwohl ihn die Gestapo am 25. Januar 1945 zu einem Todesmarsch zwang: durch kniehohen Schnee, bei starkem Frost; wer flüchten wollte, sei erschossen worden, und wer in den Schnee fiel auch. "Es waren viele Leichen. Sehr viele", sagt Marek Dunin-Wasowicz. Er hielt sich bis zum 8. Februar 1945 auf den Beinen, bis er in einem Lager der Hitlerjugend landete, von wo aus ihm die Flucht gelang.
Wie es sich anfühle, nach Deutschland zu kommen, in einem deutschen Gerichtssaal zu sitzen, über diese Erinnerungen berichten zu müssen und einen Angeklagten zu sehen, der damals im selben Alter war und in dem KZ als Wachmann arbeitete, fragt Richterin Anne Meier-Göring.
Allen Mitinhaftierten eine Ehre erweisen
Er sei nach Hamburg gekommen, in eine deutsche Stadt, in ein Land, das heute mit Polen befreundet sei, antwortet Marek Dunin-Wasowicz. Und zwar in dem Bewusstsein, gemeinsam Mitglied der europäischen Union zu sein. "Ich bin angenehm überrascht, dass mich niemand nach meinem Pass gefragt hat. Alle haben mich begrüßt, als sei ich ein alter Bekannter. Dafür bedanke ich mich bei allen Bewohnern."
Hier im Saal zu sein, sei nicht angenehm, aber es sei seine Pflicht. Er sei mit dem Gefühl hier, all denen, die mit ihm inhaftiert waren und die in Stutthof ums Leben kamen, eine Ehre zu erweisen. Aber er sei auch gekommen, um laut zu sagen, dass er bis zu seinem Lebensende alles gemacht habe und machen werde, dass sich das, was er erlebt habe, nicht mehr wiederhole.
"Ich habe Angst", sagt Marek Dunin-Wasowicz, "wenn ich verfolge, was so in Deutschland, in Polen, in Frankreich und in vielen anderen Ländern passiert, wenn Nationalismus und Rassismus wieder aktiv werden - und in aller Konsequenz auch Faschismus. Deswegen komme ich. Ich will keine Rache."
"Gibt es etwas, was Sie vom Angeklagten wissen wollen?", fragt Richterin Meier-Göring ganz am Ende dieses Verhandlungstages. Marek Dunin-Wasowicz zögert keine Sekunde. "Ich bin nicht neugierig."
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Landgericht Hamburg
Prozessbeginn gegen ehemaligen KZ-Wachmann
Bruno D. war Wachmann im KZ Stutthof bei Danzig. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges lebte er unbehelligt in Hamburg. Jetzt beginnt der Prozess gegen den 93-Jährigen – wegen Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen. Verhandelt wird allerdings vor der Jugendstrafkammer – weil er als 17-Jähriger seinen Dienst begann.
Von Elke Spanner | 17.10.2019
Der Prozess findet weit über Hamburg hinaus Beachtung. Über 30 KZ-Überlebende und Angehörige von NS-Opfern aus der ganzen Welt sind Nebenkläger in diesem Verfahren. Die meisten stammen aus den USA, Polen und Israel. Persönlich werden sie aber eher nicht nach Hamburg kommen, sagt Gerichtssprecher Kai Wantzen:
„Die Nebenkläger haben Rechtsanwälte, die sie in dem Verfahren vertreten werden. Wir rechnen nicht damit, dass Nebenkläger auch persönlich erscheinen werden. Mit Ausnahme der Überlebenden, die bereit und in der Lage sind, als Zeugen auszusagen. Die Kammer hat sich sehr darum bemüht, auch Überlebende des KZ als Zeugen hier zu hören und im Moment gehe ich davon aus, dass es drei der Nebenkläger sind, die im Verlaufe der Hauptverhandlung auch als Zeugen gehört werden.“
Bruno D. war Wachmann im KZ Stutthof bei Danzig. Als 17-Jähriger begann er dort seinen Dienst. Seine Aufgabe war es, die Gefangenen an der Flucht und Revolte zu hindern. Die Wachleute waren angewiesen, in dem Fall auch zu schießen. Das bestätigt Abba Naor. Naor, heute 91 Jahre alt, lebt in Israel. Er war selbst im KZ Stutthof inhaftiert und hat überlebt:
„Es waren Wachleute auf den Türmen. Da hat man sie gesehen, zwischen dem Frauen- und dem Männerlager. Man musste nur sehen, nicht zu nahe an den Zaun heranzukommen. Dann haben die geschossen. Ganz einfach.“
Anklage vor der Jugendstrafkammer
Ehemalige Wachleute wie Bruno D. werden erst seit 2011 in Deutschland strafrechtlich verfolgt. Früher waren die Ermittler davon ausgegangen, dass die bloße Wachtätigkeit im KZ nicht als Beihilfe zum Mord gewertet werden könne. Das änderte sich mit dem Prozess gegen John Demjanjuk. Da hatte das Münchner Landgericht erstmals geurteilt, dass auch Wachleute die NS-Mordmaschinerie am Laufen gehalten hatten. Gegen Bruno D. hatte zunächst die zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg ermittelt. Sie hatte das Verfahren dann an die Hamburger Staatsanwaltschaft abgegeben. Jens Rommel, der Leiter der zentralen Aufklärungsstelle, erklärt, wieso Bruno D. mitverantwortlich für den tausendfachen Tod in Stutthof sein soll:
„Zu diesen Lagern, die wir überprüft haben, gehörte auch das KZ Stutthof. Und das ist nach unseren Erkenntnissen im Sommer 1945 systematisch in die sogenannte Endlösung der Judenfrage einbezogen worden. Das heißt, wir können eine Haupttat beschreiben, die als systematische Ermordung auch für alle Beteiligten erkennbar war. Und zu diesem Lager Stutthof haben wir dann fünf Wachmänner ermittelt und auch Frauen, die dort in der Kommandantur tätig waren, und diese Verfahren an die Staatsanwaltschaften abgegeben.“
Eine Besonderheit des Prozesses ist, dass Bruno D. trotz seines hohen Alters vor einer Jugendstrafkammer angeklagt ist. Denn als Wachmann im KZ Stutthof war er erst 17 Jahre alt. Da er gesundheitlich angeschlagen ist, stand bis zuletzt infrage, ob der Prozess überhaupt stattfinden kann. Um Bruno D. gesundheitlich zu schonen, verhandelt das Gericht nur zwei Stunden pro Verhandlungstag. Bruno D. droht nach Jugendstrafrecht eine Maximalstrafe von zehn Jahren Haft.
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Nazi-Verbrechen: Neue Anklage gegen frühere SS-Wachmänner
Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat Anklage gegen zwei Männer erhoben, die zum SS-Wachpersonal im nationalsozialistischen Konzentrationslager Stutthof gehört hatten. Ihnen wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen.
Von Claudia von Salzen
16.11.2017, 14:55 Uhr
Mehr als 72 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges könnte es in Deutschland einen weiteren Prozess wegen NS-Verbrechen geben: Die Staatsanwaltschaft Dortmund erhob Anklage gegen zwei ehemalige SS-Männer, die zum Wachpersonal des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig gehört hatten. Einem 92-Jährigen aus Wuppertal und einem 93-Jährigen aus dem Kreis Borken wird vorgeworfen, Beihilfe zum Mord an mehreren hundert Menschen geleistet zu haben. Das Landgericht Münster muss nun über die Eröffnung eines Verfahrens entscheiden.
Beide Männer seien sowohl für die Bewachung des Lagers als auch für die Beaufsichtigung von Arbeitskommandos außerhalb des Lagers zuständig gewesen, heißt es in einer Mitteilung des Landgerichts Münster. Am 21. und 22. Juni 1944 wurden in Stutthof mehr als 100 polnische Häftlinge in der Gaskammer ermordet. Wenig später wurden auf die gleiche Weise mindestens 77 verwundete sowjetische Kriegsgefangene und mehrere hundert Juden getötet. Im Lager selbst seien die Lebensbedingungen auf Betreiben der SS-Führung und der Lagerleitung so schlecht gewesen, dass mehrere hundert Gefangene an Krankheiten wie Typhus und Fleckfieber oder durch mangelnde medizinische Versorgung starben, betonten die Ankläger. Als nicht „arbeitsfähig“ eingestufte Häftlinge wurden durch Genickschüsse getötet. Mehr als 140 Menschen, unter ihnen viele jüdische Frauen und Kinder, wurden durch Injektionen ins Herz ermordet.
Angeklagte gaben Wachtätigkeit in Stutthof zu
Die Staatsanwälte gehen davon aus, dass die beiden Angeklagten all das wussten – und dass ihnen bewusst gewesen sei, dass „auf diese Weise und mit dieser Regelmäßigkeit nur getötet werden konnte, wenn die Opfer durch Gehilfen wie sie bewacht wurden“. Die beiden Männer haben zugegeben, Wachmänner in Stutthof gewesen zu sein, sie bestreiten allerdings, sich an der Ermordung der Häftlinge beteiligt zu haben. Von den insgesamt 110.000 Häftlingen in dem Konzentrationslager starben mindestens 65.000. Bereits kurz nach dem deutschen Überfall auf Polen 1939 wurden die ersten Gefangenen ins Lager Stutthof gebracht, vor allem polnische Intellektuelle aus Danzig. Im Jahr 1944 kamen dort Deportationszüge aus Ungarn an, Stutthof wurde zu einem der Tatorte des Massenmordes an den europäischen Juden.
Weiterer früherer SS-Mann in Frankfurt angeklagt
Auf die Namen der beiden Männer, die nun angeklagt wurden, war die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg gestoßen, als sie Listen von SS-Wachpersonal auswertete. Nach dem Prozess gegen den früheren SS-Wachmann in Sobibor, John Demjanuk, und besonders nach dem rechtskräftigen Urteil gegen den ehemaligen „Buchhalter von Auschwitz“, Oskar Gröning, hatten die Ermittler begonnen, gezielt nach anderen Wachleuten zu suchen.
Im Oktober erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main Anklage gegen einen mittlerweile 96-jährigen früheren SS-Mann, der Wachdienst im Konzentrationslager Majdanek geleistet hatte.
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NS-VERBRECHEN
Zwei ehemalige SS-Wachmänner des KZ Stutthof angeklagt
Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat Anklage gegen zwei ehemalige SS-Männer im Konzentrationslager Stutthof erhoben. Ihnen wird Beihilfe zum Mord in mehreren hundert Fällen vorgeworfen.
15.11.2017
Ein 93 Jahre alter Mann aus dem Kreis Borken und ein 92 Jahre alter Mann aus Wuppertal sind von der Staatsanwaltschaft Dortmund wegen Beihilfe zum Mord angeklagt worden. Die beiden Männer hätten zur Wachmannschaft im deutschen Konzentrationslager Stutthof bei Danzig gehört, erklärte Staatsanwalt Andreas Brendel. Sie bestreiten laut Staatsanwaltschaft, an der Tötung von Menschen beteiligt gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft Dortmund ist die Zentralstelle in Nordrhein-Westfalen zur Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen.
Staatsanwalt Andreas Brendel
Im KZ Stutthof sind laut Staatsanwaltschaft mehrere hundert Menschen in Gaskammern mit dem Giftgas Zyklon B ermordet worden. Weitere hundert Menschen seien aufgrund der Lebensverhältnisse gestorben. Wegen der schlechten Unterbringung, der mangelhaften Ernährung sowie der schweren Zwangsarbeit seien immer wieder Krankheiten ausgebrochen. Die medizinische Versorgung sei sehr schlecht gewesen. Weitere hundert Gefangene seien durch Genickschüsse getötet worden. Wieder andere Gefangene habe man erfrieren lassen oder Benzin und Phenol direkt ins Herz injiziert.
Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Männern vor, von sämtlichen Maßnahmen Kenntnis gehabt zu haben. Der 93 Jahre alte Mann aus Borken soll von Juni 1942 bis September 1944 in Stutthof gewesen sein, der 92 Jahre alte Mann aus Wuppertal zwischen Juni 1944 und Mai 1945.
stu/sam (ap, dpa)
Datum 15.11.2017
https://www.dw.com/de/
Stutthof-Prozess: Früherer SS-Wachmann zu Bewährungsstrafe verurteilt
23. Juli 2020, 14:07 Uhr
Das Landgericht Hamburg spricht den heute 93-Jährigen der Beihilfe des Mordes in 5232 Fällen schuldig. Er bewachte als junger SS-Mann Häftlinge im KZ Stutthof.
Das Landgericht Hamburg hat einen ehemaligen SS-Wachmann im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt.
Die Jugendstrafkammer sprach den 93 Jahre alten Angeklagten der Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen und wegen Beihilfe zu einem versuchten Mord schuldig. Der Prozess findet nach Jugendstrafrecht statt, weil der Mann zu Beginn der Tatzeit im Jahr 1944 erst 17 Jahre alt war.
"Wie konnten Sie sich bloß an das Grauen gewöhnen?" fragte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring den 93-jährigen Bruno D. bei der Urteilsbegründung. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Jugendstrafe von drei Jahren beantragt. Sie warf Bruno D. vor, durch seinen Wachdienst ein "Rädchen der Mordmaschinerie" der Nationalsozialisten gewesen zu sein.
Die Verteidigung hatte Freispruch. gefordert. In seinem letzten Wort hatte der Angeklagte selbst die Überlebenden und Hinterbliebenen der KZ-Opfer um Entschuldigung gebeten.
Eine Beteiligung an einem konkreten Verbrechen wurde dem Angeklagten nicht vorgeworfen. Er selbst hat mehrfach erklärt, dass er als nicht frontdienstfähiger Wehrmachtssoldat nach Stutthof abkommandiert worden sei und dort ohne seine Zustimmung in die SS übernommen wurde. Er habe kein einziges Mal von seiner Waffe Gebrauch gemacht.
Staatsanwalt Lars Mahnke stellte dagegen in seinem Plädoyer fest, dass die SS-Wachmannschaften vom Bundesgerichtshof als Verbrecherbande eingestuft worden seien. Jeder, der dort Mitglied gewesen sei, habe sich schuldig gemacht. Das KZ Stutthof gilt nicht als Vernichtungslager wie etwa Auschwitz und Sobibór. Der Umgang mit den Gefangenen war nichtsdestotrotz grausam. Das belegen die Aussagen von ehemaligen Gefangenen.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft waren während der Dienstzeit des Angeklagten mindestens 5232 Gefangene ermordet worden. 30 wurden in einer geheimen Genickschussanlage im Krematorium des Lagers getötet. Mindestens 200 wurden in der Gaskammer und in einem verschlossenen Eisenbahnwaggon mit Zyklon B umgebracht. Wenigstens 5000 Menschen starben in Folge der lebensfeindlichen Bedingungen im sogenannten Judenlager von Stutthof.
Deutsche Staatsanwaltschaften ermitteln wegen weiterer KZ-Verbrechen
An dem Prozess waren etwa 40 Nebenkläger beteiligt, unter ihnen 35 Überlebende des Konzentrationslagers. Vier von ihnen hatten persönlich im Gerichtssaal ausgesagt, zwei waren über eine Videoschaltung angehört worden. Sie hatten von täglichen Misshandlungen wie Schlägen und stundenlangen Appellen, Hinrichtungen sowie von Hunger und einer Fleckfieber-Epidemie berichtet.
Mit dem Urteil geht vorerst einer der letzten NS-Prozesse zu Ende. Ein weiteres Verfahren gegen einen anderen ehemaligen Wachmann in Stutthof könnte vor dem Landgericht Wuppertal beginnen. Vor der Jugendstrafkammer wurde Mitte Juli ein 95 Jahre alter Mann angeklagt, wie ein Sprecher des Gerichts sagte. Es steht aber noch ein Gutachten zur Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten aus.
Nach Angaben der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg führen die deutschen Staatsanwaltschaften insgesamt noch 14 Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen in Konzentrationslagern.
Offen seien drei Verfahren zu Buchenwald bei der Staatsanwaltschaft Erfurt und acht zu Sachsenhausen bei der Anklagebehörde in Neuruppin. Zudem beschäftige das Lager Mauthausen mit jeweils einem Verfahren die Staatsanwaltschaften München I und Berlin. Ferner ermittelt die Staatsanwaltschaft Itzehoe gegen eine ehemalige Schreibkraft im KZ Stutthof.
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SS-Mann Boere verurteilt - Das sagte die Richterin
HAMBURG
Aktualisiert: 23.07.2020, 14:42 |
Bettina Mittelacher
Beihilfe zum Mord im KZ Stutthof: Richterin Meier-Göring wendet sich direkt an Bruno D. und verurteilt ihn zu zwei Jahren.
Hamburg. Der frühere KZ-Wachmann Bruno D. ist mitschuldig an beispiellosen Verbrechen. Aber der 93-Jährige muss dafür nicht in Gefängnis. Im sogenannten Stutthof-Prozess um die Ermordung Tausender Gefangener in dem Konzentrationslager Stutthof bei Danzig hat das Gericht den Hamburger zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt. „Sie waren einer der Gehilfen dieser menschgemachten Hölle“, sagte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring an den Angeklagten gewandt über die Qualen der Gefangenen in dem Konzentrationslager der Nationalsozialisten.
Das Gericht sprach den Angeklagten der Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen sowie in einem Fall der Beihilfe zum versuchten Mord schuldig. Bruno D. hatte vom 9. August 1944 bis zum 26. April 1945 als damals 17-Jähriger beziehungsweise 18-Jähriger im Konzentrationslager seinen Wachdienst verrichtet und dabei auf dem Turm gestanden, mit dem Gewehr in der Hand.
"Sie hätten zumindest versuchen müssen, sich dem Grauen zu entziehen"
„Es war ein furchtbares Unrecht und strafbar, was Sie getan haben“, sagte Richterin Meier-Göring. „Sie hätten nicht mitmachen müssen. Sie hätten zumindest versuchen müssen, sich dem Grauen zu entziehen“, wie es einige andere getan hätten. Bruno D. hätte „nicht einen verbrecherischen Befehl befolgen und schon gar nicht sich darauf berufen dürfen“. Der Angeklagte verfolgte die mehr als einstündige Urteilsbegründung, ohne dass eine äußere Regung sichtbar wäre.
In seinem sogenannten letzten Wort hatte er am Montag gesagt: „Durch die Berichte der Zeugen und die Gutachten ist mir erst das ganze Ausmaß der Grausamkeiten und die Leiden bewusst geworden. Heute möchte ich mich bei denen, die durch die Hölle des Wahnsinns gegangen sind, und bei deren Angehörigen entschuldigen. So etwas darf niemals wiederholt werden.“
Gericht: Mord verjährt nie
Die Anklage hatte dem heute 93-Jährigen vorgeworfen, er habe mit seinem Wachdienst die „heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“, weil er Flucht und Revolte von Gefangenen des Lagers verhindert habe. Er sei „ein Rädchen in der Mordmaschinerie“ gewesen, hieß es in der Anklage.
„Dieses Verfahren war schwierig, rechtlich und menschlich“, sagte die Vorsitzende Richterin. „Es hat uns allen viel abverlangt, am allermeisten den Nebenklägern, die uns von der Hölle von Stutthof berichtet haben.“ Diese Überlebenden hätten von den damaligen Verhältnissen berichtet, weil sie sich „der Würde des Menschen, der Mitmenschlichkeit“ verpflichtet gefühlt“ hätten.
Die Kammer erkenne es an, dass Bruno D. es geschafft habe, sich in seinem letzten Wort bei den Opfern zu entschuldigen. „Sie haben angefangen, sich Ihrer Schuld zu nähern, und das in Ihrem hohen Alter.“ Allerdings habe Bruno D. damals seine Menschlichkeit und sein Gewissen vergessen. „Wie konnten Sie sich an das Grauen gewöhnen und es nur noch eintönig finden?“
Der Angeklagte müsse verstehen, dass er als Mensch „dieses entsetzliche Unrecht als Mensch angetan haben und dafür bestraft werden müssen, auch noch ganz am Ende ihres Lebens. Mord verjährt nie.“
Konzentrationslager Stutthof: Gaskammer und Genickschussanlage
Rund 65.000 Menschen wurden in Stutthof ermordet, in der Gaskammer, in hinterhältigen Genickschussanlagen, die als Mittel für medizinische Untersuchungen getarnt waren. Sie starben durch auch durch die katastrophalen Lebensbedingungen, mit extrem harter Zwangsarbeit, nur sehr wenig zu essen, bei Kälte, an Krankheiten, denen ihre Körper wegen ihres Ausgezehrtseins nichts mehr entgegen zu setzen hatten. Es waren Menschen, die mit ihrer Ankunft im Konzentartionslager von den Nazis nur noch als Nummer betrachtet wurden.
Gefangene, die dazu bestimmt waren, umgebracht oder gezielt sterben gelassen zu werden. Überlebende des Konzentrationslagers hatten im Prozess das Grauen geschildert, hatten von Erschießungen, von Sadismus, von Quälereien erzählt, vom ständigen Hunger. „Menschliche Leichen, das war der Alltag im Lager, fast an jeder Stelle“, hatte ein 93-Jähriger erzählt.
Erschütternde Berichte von Überlebenden
Ein anderer Überlebender hatte berichtet, seine Aufgabe sei es gewesen, Knochen zusammensammeln und „auf irgendwelche Wagen“ laden zu müssen. Eine 89-Jährige hatte beispielsweise berichtet, dass sie bei ihrer Ankunft in Stutthof eine „Riesenpyramide von Schuhen“ gesehen habe. Sie habe sofort befürchtet: „Hier kommst du nicht mehr lebend heraus.“ Die Zeugen schilderten Misshandlungen, die katastrophalen hygienischen Verhältnisse. Es fielen Worte wie „Tragödie“, „Unmenschlich“, „Markaber“, „Tortur“, „Willkür“.
Bruno D. hatte als Angeklagter zum Prozessauftakt gesagt, er habe „nur auf dem Turm gestanden“ und nie seine Waffe eingesetzt. Er habe damals im Konzentrationslager Stutthof zwar viele Leichen gesehen. Aber: „Ich habe niemandem ein Leid angetan“, hatte er beteuert. Er habe seinen Dienst auf dem Wachturm verrichten müssen. Andernfalls, wenn er Befehle verweigert hätte, hätte er sich selber in Lebensgefahr gebracht, hatte er immer wieder gesagt.
Sachverständiger widerlegt den Angeklagten
Ein historischer Sachverständiger hatte indes anhand von dokumentierten Beispielen anderer Wachleute aus der Nazizeit aufgezeigt, dass SS-Männer sich beispielsweise auf einen psychischen Notstand berufen, sich in Außenlager versetzen oder zur Wehrmacht hätten beordern lassen können.
Die Staatsanwaltschaft hatte für Bruno D. drei Jahre Freiheitsstrafe gefordert. Der damalige Wachmann habe den Genozid „als das begriffen, was er war: ein staatlich angeordneter Massenmord“, hatte Oberstaatsanwalt Lars Mahnke in seinem Plädoyer gesagt. Bruno D. habe „gewusst, um was es ging“. Verteidiger Stefan Waterkamp hatte dagegen auf Freispruch für seinen Mandanten plädiert. Der Anwalt hatte argumentiert, die alleinige Mitgliedschaft in der SS-Wachmannschaft sei in der deutschen Rechtssprechung bislang nicht als Beihilfe zum Mord gewertet worden.
Wachmann Bruno D. war erst 17 Jahre alt
Für die Haupttat, die Ermordung von 5230 Menschen zwischen August 1944 und April 1945, sei es egal gewesen, ob der Angeklagte auf dem Wachturm gestanden habe oder nicht. Den Terror gegen die Gefangenen hätten die SS-Mannschaften im Lager und deren Helfer, die sogenannten Kapos, ausgeübt. In jedem Fall war ein Urteil nach Jugendrecht erforderlich, weil der Angeklagte zur Tatzeit erst 17 beziehungsweise 18 Jahre alt war.
Das Gericht entschied, Bruno D. müsse nur einen Teil der Kosten des Prozesses tragen, auch weil dies ihn andernfalls finanziell ruinieren würde. Einen Großteil der Kosten müsse der Staat übernehmen. "Sie waren Gehilfe eines im wesentlichen vom deutschen Staat begangen Unrechts."
Aktualisiert: Do., 23.07.2020, 14.42 Uhr
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Prozessauftakt in Münster
Ehemaliger SS-Wachmann weint vor Gericht
Von dpa
Aktualisiert am 06.11.2018
Als 18-Jähriger begann er seinen Dienst als KZ-Aufseher, mit 94 Jahren muss er sich jetzt vor dem Landgericht Münster verantworten: Die Anklage wirft dem Mann hundertfache Beihilfe zum Mord vor.
Vor dem Landgericht Münster hat ein Prozess um hundertfache Beihilfe zum Mord im Konzentrationslager Stutthof begonnen. Bei der Verlesung der Anklage wirkte der 94-jährige ehemalige SS-Wachmann zum Prozessauftakt am Dienstag äußerlich zunächst noch gefasst. Als die Anwälte der Nebenkläger dann aber mehrere persönliche Erklärungen von Holocaust-Überlebenden vorlasen, flossen bei dem Deutschen aus dem Kreis Borken im westlichen Münsterland die Tränen.
Zum Auftakt hatte der auf Naziverbrechen spezialisierte Dortmunder Oberstaatsanwalt Andreas Brendel das systematische Töten in dem deutschen Konzentrationslager bei Danzig durch die SS geschildert. Er zählte Details auf: den Todeskampf der Häftlinge beim Vergasen, Kopfschüsse bei vorgetäuschten medizinischen Untersuchungen, den körperlichen Verfall der Häftlinge durch Mangelernährung und harte Arbeit. Laut Anklage war das alles möglich durch die SS-Wachmannschaft, der der Angeklagte angehört habe.
Anklage: Machte Morde erst möglich
Der 94-Jährige, der im Rollstuhl in den Gerichtssaal geschoben wurde, soll von 1942 bis 1944 in Stutthof Dienst getan haben. Er hat laut Anklage nicht nur mitbekommen, wie Häftlinge brutal ums Leben kamen. Als Wachmann soll er viele grausame Morde erst möglich gemacht haben. Nach Angaben der für die Aufklärung von NS-Verbrechen zuständigen Zentralen Stelle in Ludwigsburg starben bis Kriegsende 65.000 Menschen in Stutthof und seinen Nebenlagern sowie auf den sogenannten Todesmärschen.
Zum Abschluss des ersten Prozesstages verlasen mehrere Nebenklägeranwälte persönliche Erklärungen von Holocaust-Überlebenden. Die Überlebende Marga Griesbach schilderte darin, wie sie ihren sechsjährigen Bruder in dem Lager zum letzten Mal sah, bevor er nach Auschwitz gebracht und dort vergast wurde.
Eine andere Nebenklägerin gab ihrer Hoffnung auf späte Gerechtigkeit für ihre ermordete Mutter Ausdruck. "Er hat mitgeholfen, meine geliebte Mutter zu ermorden, die ich mein ganzen Leben so vermisst habe", ließ die Frau aus Indianapolis (USA) verlesen. Dem sichtlich ergriffenen ehemaligen SS-Mann kamen bei den Schilderungen der beiden Frauen die Tränen, mehrmals strich er sich über die Augen.
Für den Prozess reisten Überlebende aus den USA und Israel an
Die Anwälte des Angeklagten kündigten an, dass er sich im Laufe des Verfahrens äußern werde. Wann genau, ist noch offen.
An dem Verfahren beteiligen sich 17 Nebenkläger, darunter Holocaust-Überlebende aus Israel und den USA. Sie wurden am ersten Prozesstag von elf Anwälten vertreten. Einige Nebenkläger ließen über ihre Rechtsbeistände erklären, dass sie gesundheitlich die lange Anreise beispielsweise aus den USA nicht schaffen würden.
Dass dass die deutsche Justiz sieben Jahrzehnte gebraucht habe, um die NS-Verbrechen an Juden in Stutthof vor Gericht zu bringen, stößt bei den Nebenklägern auf Unverständnis. "Ich hege keinen Hass, keine Wut im Herzen. Ich habe wenig Interesse an einer harten Strafe", ließ die Überlebende Marga Griesbach mitteilen. Umso wichtiger aber sei es, dass sie dieses Verfahren noch erleben könne, weil die Leugnung des Holocausts auch in ihrer neuen Heimat, den USA, genauso zu beobachten sei wie anderswo. Es sei wichtig darzustellen, was passiert sei.
Die Nebenklägerin aus Indianapolis bezeichnete das Konzentrationslager als die Hölle, "in der der Tod zum täglichen Gefährten wurde". Weiter führte sie aus: "Stutthof, das war der organisierte Massenmord durch die SS, organisiert durch die Wachmänner."
Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.
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NEUER NS-PROZESS
Beihilfe zum Mord: Ehemaliger SS-Wachmann vor Gericht
Die Nazi-Vergangenheit lässt Deutschland nicht los. In Münster hat der Prozess gegen einen früheren SS-Wachmann wegen hundertfacher Mordbeihilfe begonnen - vor der Jugendkammer des Landgerichts.
Datum 06.11.2018
Autorin/Autor Ralf Bosen
Auschwitz, Bergen-Belsen, Buchenwald, Birkenau, Dachau oder Treblinka - die Namen dieser Konzentrationslager des NS-Regimes sind vielen Menschen in Deutschland und der Weltöffentlichkeit bekannt. Namen, die als Synonyme für die Unmenschlichkeit der Hitler-Diktatur stehen. Weit weniger bekannt ist das Lager Stutthof in der Nähe von Danzig. Dort wüteten die Nazis aber von September 1939 bis zum Mai 1945 mit der gleichen Grausamkeit. Etwa 110.000 Menschen waren insgesamt in diesem Konzentrationslager inhaftiert, ungefähr 65.000 überlebten nicht. Für einen Teil der Gräuel, die in dem Lager passierten, muss sich von Dienstag an ein früherer SS-Soldat vor dem Landgericht Münster verantworten. Der Vorwurf: hundertfache Beihilfe zum Mord. Von 1942 bis 1944 gehörte der heute 94-jährige Angeklagte aus dem Landkreis Borken zum Wachpersonal in Stutthof.
Ihm war man unter anderem bei der Durchsicht von Unterlagen des Konzentrationslagers Stutthof auf die Spur gekommen. Es seien Wäschelisten und andere Dokumente ausgewertet worden, "aus denen man auf diejenigen Personen rückschließen konnte, die als Wachleute tätig waren", sagt der Pressesprecher des Landgerichts Münster, Daniel Stenner, der Deutschen Welle. Der Beschuldigte soll neben der Bewachung auch Arbeitskommandos außerhalb des Lagers geleitet haben.
Gift direkt ins Herz gespritzt
Laut Anklageschrift wird ihm Beihilfe insbesondere zu folgenden Delikten angelastet: Im Juni 1944 hätten SS-Mitglieder mehr als 100 polnische Häftlinge in der Gaskammer durch den Einsatz des Giftgases Zyklon B ermordet. Mindestens 77 verwundete sowjetische Kriegsgefangene seien wenig später auf die gleiche Weise getötet worden. "Im Rahmen der sogenannten 'Endlösung der Judenfrage' töteten SS-Angehörige ab August bis Ende 1944 eine unbekannte Anzahl - wohl mehrere hundert - jüdische Häftlinge sowohl in der Gaskammer als auch in den Waggons der Kleinbahn, die in das Lager hineinführte", heißt es in der Anklageschrift weiter. Und: Die Lebensverhältnisse im Lager seien gezielt so schlecht gewesen, dass mehrere hundert Gefangene durch Krankheiten wie Typhus und Fleckfieber ums Leben kamen.
Gedenkstätte Konzentrationslager Stutthof
Ein Kreuz als Gedenken an die Ermordeten vor der Gaskammer des Konzentrationslagers Stutthof
Die Anklageschrift spart nicht mit grausigen Details der SS-Mordmaschinerie. Mehrere hundert Häftlinge, die nicht mehr arbeitsfähig waren, seien durch Genickschüsse systematisch getötet worden. "Dazu wurde bei den Häftlingen der Eindruck einer ärztlichen Untersuchung hervorgerufen." Sie mussten sich vor eine an der Wand angebrachte Messlatte stellen, hinter der sich die Auflage für eine schallgedämpfte Pistole im Nebenzimmer befand. Außerdem ermordeten Ärzte und Sanitäter der SS in den Krankenrevieren Gefangene, darunter viele jüdische Frauen und Kinder, "durch die Injektion von Benzin und Phenol direkt in das Herz".
Unterstützung systematischer Ermordungen
Der Angeklagte gestand zwar ein, in Stutthof im Einsatz gewesen zu sein, bestreitet jedoch jede Beteiligung an den Morden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, mit seinem Wachdienst die Verbrechen willentlich gefördert zu haben. "Wenn man feststellt, dass ein Wachmann in die Struktur des Lagers eingebunden war und Kenntnis von den Vorgängen hatte, kann das für eine Verurteilung reichen", erklärt Landgerichts-Pressesprecher Stenner.
Ähnlich äußert sich der Leiter der Zentralstelle für die Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg, Jens Rommel, gegenüber der DW. Die Besonderheit der heutigen Prozesse gegen frühere Nazis läge darin, nicht mehr feststellen zu müssen, wie jemand direkt an einzelnen Morden beteiligt gewesen sein soll. "Die Vorwürfe gehen dahin, als Teil des Lager-Personals die systematischen Ermordungen in einem Konzentrationslager unterstützt zu haben." Das sei ein neuer Ansatz, "der darauf abzielt, diesen kleinen Anteil, den ein Einzelner zu tragen hat, trotzdem juristisch zu ahnden".
Verhandlung vor Jugendkammer
Schwierigkeiten habe das deutsche Strafrechtssystem mit den sogenannten Kleinen in der Hierarchie gehabt, mit den Jungen, mit den Nachrangigen, erläutert Rommel weiter. Nur weil so viele Menschen beteiligt waren, konnten diese Verbrechen in diesem Ausmaß überhaupt geschehen. "Und das versuchen wir juristisch in den Griff zu bekommen." Eine Entwicklung, die auch auf Terror-Verfahren wie zum 11. September zurückgehe, bei denen selbst winzige Beiträge strafrechtlich geahndet worden seien. Viele Jahrzehnte lang wurden nur sehr wenige Nazi-Verbrecher in Deutschland strafrechtlich verfolgt. Wenn, dann wurden meist nur Täter verurteilt, denen eine direkte Beteiligung an Morden nachgewiesen werden konnte.
Wie in dem Fall um das Konzentrationslager Stutthof konkret verfahren wird, hängt von einem weiteren Faktor ab. Weil der Angeklagte zum Tatzeitpunkt keine 21 Jahre alt war, muss das auf dreizehn Tage veranschlagte Verfahren vor der Jugendkammer des Landgerichts Münster geführt werden. Die nächste Frage sei dann, ob der Angeklagte "wie ein Erwachsener nach Erwachsenenstrafrecht behandelt oder wie ein Jugendlicher eingeschätzt wird", sagt Nazi-Ermittler Rommel, "weil er damals nach seiner Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand". Das muss das Gericht im Prozessverlauf feststellen. Das Erwachsenenstrafrecht sieht für Beihilfe zum Mord einen Strafe von drei bis 15 Jahren Gefängnis vor. Bei Jugendlichen fällt das Urteil grundsätzlich milder aus.
Gedenkstätte Konzentrationslager Stutthof
Ein hölzerner Wachturm über dem Eingang des Konzentrationslagers
Aufgrund seines Gesundheitszustands gilt der hochbetagte Angeklagte zudem als eingeschränkt verhandlungsfähig. Nach Empfehlung eines Gutachters kann nur an maximal zwei Tagen in der Woche verhandelt werden. Insofern ist es auch fraglich, ob der 94-Jährige bei einer Verurteilung überhaupt eine Haftstrafe antreten könnte. Medienberichte erinnern an Oskar Gröning. Der "Buchhalter von Ausschwitz" war 2015 wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 300.000 Menschen zu vier Jahren Haft verurteilt worden - vor dem Haftantritt aber verstorben. Das Verfahren gegen einen zweiten, 93-jährigen Angeklagten aus Wuppertal wegen der gleichen Vorwürfe um Stutthof wird entgegen ursprünglicher Planungen getrennt behandelt, weil noch nicht beurteilt werden kann, ob er verhandlungsfähig ist.
Wettlauf gegen die Zeit
Sollte der 94-Jährige aus Borken die Strafe bei einer Verurteilung nicht antreten, wäre das eine bittere Pille für die zwölf Nebenkläger und Opfer-Angehörigen aus den USA, Kanada, Israel und Polen, die bei dem Prozess um das Konzentrationslager Stutthof zugelassen sind. Die Ahndung der Nazi-Verbrechen - sie ist heute mehr denn je ein Wettlauf gegen die Zeit.
Jens Rommel
Nazi-Ermittler Jens Rommel
"Die Taten liegen ja schon 70 Jahre zurück. Es wird also immer schwieriger, noch lebende und handlungsfähige Beschuldigte ausfindig zu machen", sagt Jens Rommel von der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen. Seine ernüchternde Bilanz: "Insgesamt wird man sagen müssen, dass zu wenige Verdächtige vor Gericht gestellt, viele Täter zu milde bestraft wurden, und dass viele Verfahren zu spät gekommen sind."
https://www.dw.com/de/
NATIONALSOZIALISMUS:
Ex-SS-Wachmann zu Bewährungsstrafe verurteilt
Der 93-jährige Bruno D. bekommt zwei Jahre Jugendhaft. Als Jugendlicher war er SS-Wachmann. Er hatte sich im Schlussplädoyer bei den Opfern entschuldigt.
vom 23.07.2020, 11:31 Uhr | Update: 23.07.2020, 15:36 Uhr
Der ehemalige SS-Wachmann Bruno D. ist vom Hamburger Landgericht am Donnerstag zu zweijähriger Jugendhaft auf Bewährung verurteilt worden. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der 93-Jährige in den Jahren 1944 und 1945 mehrere Monate als Jugendlicher zur Wachmannschaft des Konzentrationslagers Stutthof gehört hatte. Er habe sich damit der Beihilfe zum Mord in 5.232 Fällen und zum versuchten Mord in einem Fall schuldig gemacht.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Jugendstrafe von drei Jahren Haft gefordert. Der damals 17 bis 18 Jahre alte SS-Wachmann habe gewusst, was in der Gaskammer des Lagers bei Danzig passierte und dass Menschen in einem Nebenraum des Krematoriums erschossen wurden.
Die Vertreter der rund 40 Nebenkläger - darunter Überlebende des Lagers und Hinterbliebene von KZ-Opfern - hatten eine Verurteilung des Angeklagten, aber keine über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinausgehende Strafforderung gestellt. Einige Nebenkläger äußerten ausdrücklich den Wunsch, der Angeklagte möge nicht inhaftiert werden. Ein hochbetagter Stutthof-Überlebender in Israel erklärte, man solle dem Angeklagten vergeben.
Der Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, kritisierte das Urteil. Die Jugendstrafe auf Bewährung sei "sehr, sehr enttäuschend".
Der 93-jährige Ex-SS-Wachmann hatte zum Auftakt des Verfahrens im Oktober vergangenen Jahres eingeräumt, dass er vom 9. August 1944 bis zum 26. April 1945 Wachmann in Stutthof war. Allerdings sei er das nicht freiwillig gewesen. Als nicht fronttauglicher Wehrmachtssoldat sei er zum Wachdienst in dem KZ abkommandiert worden.
In seinem Schlusswort am Montag bat Bruno D. die Opfer um Vergebung. "Heute möchte ich mich bei allen Menschen, die durch diese Hölle des Wahnsinns gegangen sind, und bei ihren Angehörigen und Hinterbliebenen entschuldigen", sagte er. Es belaste ihn bis heute, was damals in dem Lager bei Danzig geschehen sei. "Das darf sich niemals wiederholen."
Dutzende Verfahren offen
Nach dem Urteil im Stutthof-Prozess führen deutsche Staatsanwaltschaften noch 14 Ermittlungsverfahren. Offen seien drei Verfahren zum früheren KZ Buchenwald und acht zu jenem in Sachsenhausen, so die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen. Zudem beschäftige auch das oberösterreichische Konzentrationslager Mauthausen mit jeweils einem Verfahren die Staatsanwaltschaften München I und Berlin.
Die Verfahren wurden durch eine Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) im September 2016 ermöglicht. Dieses hatte die Verurteilung des früheren SS-Mannes Oskar Gröning wegen Beihilfe zum massenhaften Mord bestätigt, obwohl ihm keine konkrete Tat nachgewiesen werden konnte, wie dies zuvor von deutschen Gerichten jahrzehntelang gefordert worden war. (apa, afp)
https://www.wienerzeitung.at/
Prozess gegen KZ-Wachmann beginnt: Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen
75 Jahre nach seinen Taten macht das Hamburger Landgericht einem Ex-SS-Wachmann den Prozess. Bruno D. steht ab Donnerstag vor Gericht.
BERLIN/STUTTHOF taz | Die Angelegenheit begann mit einem braunen Stück Papier. Darin ist von einem SS-Mann die Rede, der den Empfang einer neuen Uniform zu bestätigen hatte. Ermittler der Zentralen Stelle zu Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg hatten das Dokument aus dem KZ Stutthof bei der Suche nach unerkannten NS-Tätern entdeckt. Die meisten Einträge in dem Formular sind leer. Doch unter „Namen“ steht da ein gewisser Bruno D.
Die Ludwigsburger Ermittler fanden heraus, dass ein Mann gleichen Namens als Rentner in Hamburg lebt. Sie stellten sein Geburtsdatum fest. Am 4. Juli 2016 sandten sie die Ergebnisse ihrer Vorermittlungen am die Hamburger Staatsanwaltschaft.
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Noch im August erließ die zuständige Hamburger Ermittlungsrichterin einen Durchsuchungsbeschluss von D.s Wohnhaus. Bei der Durchsuchung im September 2016 räumte D. ein, vom Sommer 1944 bis zum April 1945 als SS-Wachmann in Stutthof tätig gewesen zu sein.
Schließlich fand sich der Stabsbefehl vom Kommandeur des KZ, in dem D. mit Wirkung vom 3. August 1944 zum 1. SS-Totenkopfsturmbann in Stutthof versetzt worden war. Weil der Beschuldigte zwischenzeitlich erkrankte, erfolgten weitere Vernehmungen erst 2018.
Das Teilgeständnis des Beschuldigten
Der Verdächtige äußerte sich dabei ausführlich zu seiner Zeit als SS-Wachmann, wie aus den entsprechenden Vernehmungsprotokollen hervorgeht, die der taz vorliegen. Er habe von seinem Wachturm aus viele Leichen gesehen und beobachtet, wie diese im Krematorium eingeäschert wurden. D. gab auch an, aus Berichten von Kameraden erfahren zu haben, dass Frauen im KZ vergast wurden. Er selbst habe aber niemanden umgebracht.
Am Donnerstag beginnt vor dem Hamburger Landgericht der Prozess gegen den mittlerweile 93 Jahre alten Rentner Bruno D. Die Anklage lautet auf Beihilfe zum Mord in mindestens 5.230 Fällen. Die Verhandlung findet vor einer Jugendstrafkammer statt, weil D. zum Zeitpunkt seiner Tätigkeit in Stutthof nicht volljährig war.
Das KZ, die Türme, der Zaun
Die polnische Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Stutthof, in dem mindestens 65.000 Menschen ermordet wurden, befindet sich rund 40 Kilometer östlich von Danzig. Der Weg führt von der Straße über die Gleise einer Schmalspurbahn, auf der im Sommer Touristenzüge verkehren, am früheren Wohnhaus des Kommandanten vorbei zum Eingangsposten, hinter dem sich die Kommandantur befand – ein stattliches Gebäude, das heute das Archiv beherbergt, auch der „Bekleidungsnachweis“ von Bruno D. findet sich hier.
SS-Bekleidungsnachweis, Name geschwärzt
Mit dem Bekleidungsnachweis der SS für Bruno D. begannen die ErmittlungenFoto: Muzeum Stutthof
Hinter diesem Komplex erstrecken sich, abgegrenzt von einem Stacheldrahtzaum, die ehemaligen Baracken des „Lagers I“: primitive eingeschossigen Holzbauten, darin dreistöckige hölzerne Pritschen eng beieinanderstehend, ohne Waschgelegenheit, ohne vernünftige Heizung, ohne auch einen Funken Privatheit. Im Juni 1944 mussten in diesen Baracken etwa 37.600 Gefangene vegetieren. Danach wurden es immer mehr.
Direkt angrenzend an den Stacheldrahtzaun stehen in regelmäßigen Abständen hölzerne Wachtürme. Eine Außentreppe mit Geländer führt hinauf in die oberste Etage, dessen Aufenthaltsraum nach allen Seiten hin mit großen Fenstern verglast ist.
Der Todesblock
Auf einem dieser Türme stand, eigener Aussage zufolge, auch der SS-Schütze Bruno D., der im Sommer 1944 18 Jahre alt wurde. Er war mit einem Karabiner ausgestattet, um Flüchtende sofort niederschießen zu können. Seine Dienstzeit betrug sieben Tage in der Woche und mindestens zehn Stunden täglich, tags und nachts.
75 Jahre später wirft die 79-seitige Anklageschrift D. vor, den Massenmord in Stutthof durch seine Tätigkeit als SS-Wachmann unterstützt zu haben und dabei detaillierte Kenntnisse über diese Morde besessen zu haben. Die Anklage geht davon aus, dass während seiner Dienstzeit 1944/45 mindestens 5.230 Menschen ermordet worden sind.
Tatsächlich verwandelte sich Stutthof im Herbst 1944 von einem Konzentrations- zu einem Vernichtungslager. Schon zuvor waren inhaftierte Menschen an den furchtbaren Haftbedingungen, der schweren Zwangsarbeit und dem Fehlen hygienischer Mindeststandards zu Tausenden gestorben. Viele wurden von der SS erschossen.
Doch im Sommer 1944 erhielt Lagerkommandant Paul Werner Hoppe die Nachricht, dass Stuttof Teil der „Endlösung der Judenfrage“ werden würde, der systematischen Ermordung aller europäischen Juden. Im Juni, da hatte Bruno D. seinen Dienst als Wachmann noch nicht angetreten, brachten zwei SS-Männer 50 Kilogramm des Giftgases Zyklon B nach Stutthof. Im Juli erreichte ein Zug mit 2.502 ungarischen Jüdinnen das KZ. Das war erst der Anfang von vielen Transporten. Zur selben Zeit wurde das Gelände um ein Lager für Jüdinnen erweitert, deren Insassen von den anderen Gefangenen strikt isoliert blieben.
Dort waren die Lebensbedingungen noch furchtbarer als im Rest des KZs, die Baracken hoffnungslos überfüllt, vier Frauen mussten auf nur einer schmalen Pritsche schlafen. Der Boden war von Exkrementen und Erbrochenem verunreinigt. Die tägliche Essensration betrug etwa 170 Gramm Brot, nur am Wochenende ergänzt durch winzige Portionen Marmelade.
Eine medizinische Versorgung gab es nicht. Im Todesblock des „Judenlagers“ ließ man die Frauen sterben, ohne ihnen auch nur einen Schluck Wasser zu verabreichen. Es war das, was die Staatsanwälte in den jüngsten NS-Verfahren Tötung durch Herbeiführung lebensfeindlicher Bedingungen nennen.
Bruno D. erinnerte sich in seinen Vernehmungen an den Beginn der Fleckfieberepedemie im Herbst 1944, die bis zur Auflösung des KZ anhielt und der Tausende zum Opfer fielen. Er bekannte gesehen zu haben, wie Tote zu Dutzenden in das Krematorium und auf einen Scheiterhaufen gebracht wurden. Im ganzen Lager habe man die Verbrennungen riechen können.
Die Vergasungen
Er gab auch an, über die Vergasungen informiert gewesen zu sein. Diese hatten spätestens im Herbst 1944 in einer Kammer begonnen. Weil es, anders als in Auschwitz, in Stutthof keine Selektion der Opfer beim Eintritt gab, sprach sich unter den Gefangenen diese Mordmethode herum. Deshalb verlegte die SS die Morde bald in einen Eisenbahnwaggon. Ein Güterwagen der Schmalspurbahn wurde in die Nähe des Krematoriums rangiert und komplett abgedichtet. Den Gefangenen wurde erzählt, sie gingen auf Transport – zwei SS-Männer verkleideten sich dazu mit Reichsbahnuniformen – und die Opfer wurden so in den Wagen gelockt. Ein SS-Mann warf das Zyklon B in eine der Dachluken.
Bruno D. hätte sich versetzen lassen können. Er hat angegeben, dies zu keinem Zeitpunkt beantragt zu haben
Weil die Temperaturen in dem Güterwaggon niedriger waren als in der Gaskammer, dauerte es noch länger, bis alle Opfer tot waren.
Bruno D. meinte in den Vernehmungen, er habe damals aus der Ferne die Schreie der Menschen gehört. Er habe wohl auch einmal gesehen, wie ein Mann auf dem Dach herumgelaufen sei.
Die Genickschussanlage
Undeutliche Erinnerungen äußerte D. zu der Genickschussanlage, die im Krematorium installiert worden war. Dort wurden Gefangene von als Sanitätern getarnten SS-Männern in weißen Kitteln in einen Raum geführt, wo man angeblich ihre Größe vermessen wollte. Tatsächlich erfolgte dort durch einen verborgenen Schlitz in einer Wand ein Schuss in den Hinterkopf. D. erinnerte sich an weiß gekleidete Sanitäter oder Ärzte und Gefangene, die von diesen ins Krematorium gebracht worden seien. Die Anklage bewertet die Aussage als Beweis dafür, dass er auch über diese Mordmaschine informiert war.
SS-Schütze Bruno D. ist nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe des Massenmords gewesen. Die meisten Großen hat man in den 1950er und 1960er Jahren laufen lassen. Doch Entschuldigungen vom Befehlsnotstand, der dazu geführt habe, dass man mitmachen musste, weil sonst die eigene Einweisung ins KZ gedroht hatte, werden von der bundesdeutschen Justiz heute, anders als früher, nicht mehr akzeptiert. Tatsächlich ist kein einziger Fall bekannt, bei dem ein SS-Mann, der sich aus einen KZ versetzen ließ, deshalb von den Nazis inhaftiert worden wäre.
D. hätte sich versetzen lassen können. Er hat angegeben, dies nicht beantragt zu haben.
Und, auch anders als früher, verlangt die Justiz heute für eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord nicht länger einen Nachweis für eine individuelle Tat. Für eine Verurteilung kann es genügen, wenn der Angeklagte in einem KZ oder Vernichtungslager durch seine Arbeit dafür gesorgt hat, dass die Mordmaschine in Gang blieb.
D. hat das Glück, so lange leben zu dürfen. Er hat deshalb das Pech, dass ihm der Prozess gemacht wird.
Das Leben nach dem Krieg
Der gelernte Bäcker Bruno D. war 1945 vor der heranrückenden Roten Armee mit einem Schiff nach Schleswig-Holstein evakuiert worden. Er kam in Kriegsgefangenschaft, erst bei den Amerikanern, dann bei den Briten. D. arbeitete in der Landwirtschaft und in einer Bäckerei, heiratete, bekam zwei Kinder, fing bei einer Bank an und verzog Ende der 1950er Jahre nach Hamburg, wo er später ein Haus für seine Familie baute. Ein typisches deutsches Nachkriegsschicksal. Seit 1988 ist er in Rente.
Der Anwalt des Angeklagten, Stefan Waterkamp, hat angekündigt, dass sein Mandant auch in der Hauptverhandlungen zu Aussagen bereit ist. Aufgrund seines angegriffenen Gesundheitszustands ist die Verhandlungszeit auf maximal zwei Stunden am Tag begrenzt. Bisher sind elf Verhandlungstage bis Mitte Dezember angesetzt. Als Nebenkläger treten 28 Personen auf, teilweise Überlebende des KZ Stutthof.
Bruno D. ist 93 Jahre alt. Teilgeständnisse, wie die des Angeklagten, sind in NS-Prozessen eine höchst seltene Ausnahme. Die Regel ist, nur das zuzugeben, was der Ankläger auch beweisen kann. Sollte das Gericht D. verurteilen, dürfte sein Teilgeständnis im Strafmaß positiv berücksichtigt werden.
https://taz.de/
Prozess gegen 93-Jährigen in Hamburg
Einstiger KZ-Wachmann äußert Mitleid mit Opfern
Im Prozess gegen den ehemaligen KZ-Wachmann Bruno D. in Hamburg hat der 93-Jährige Mitleid mit den Opfern bekundet. Eine Äußerung aber nannte die Richterin eine "Ohrfeige" für die Überlebenden.
Daniel Bockwoldt/dpa
Zu Beginn seiner Aussage im Hamburger Stutthof-Prozess hat der angeklagte ehemalige SS-Wachmann Bruno D. erklärt, er empfinde Mitgefühl für die Menschen in den Konzentrationslagern.
Der 93-Jährige ist der Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen angeklagt. Er soll als Wachmann zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“ haben. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolte und Befreiung von Häftlingen zu verhindern. Der Angeklagte war 1944/45 Wachmann im deutschen KZ Stutthof nahe Danzig.
„Ich habe viele Leichen gesehen“, sagte der 93-Jährige am Montag vor der Jugendstrafkammer am Landgericht. „Die Bilder des Elends und des Grauens haben mich mein ganzes Leben verfolgt“, sagte er. Es sei ihm wichtig zu sagen, wie leid ihm tue, was den Menschen in Konzentrationslagern angetan worden sei. Sein Einsatzort sei ein „Ort des Grauens“ gewesen.
Die Toten, die er vom Wachturm aus gesehen habe, seien vor allem Frauen gewesen. Mithäftlinge hätten sie morgens nackt aus den Baracken herausgezogen und zu einem Wagen gebracht. „Die wurden raufgeschmissen, nicht raufgelegt“, sagte er. Nur einmal habe er aus Neugier einen kurzen Blick durch ein Fenster in das Krematorium geworfen, behauptete er. Dort habe er zwei Öfen gesehen, davor auf dem Fußboden nackte Leichen.
Der 93-Jährige erklärte, er sei nicht freiwillig Wachmann geworden. Er sei immer Einzelgänger gewesen und habe sich lange geweigert, in die Hitlerjugend einzutreten. „Marschieren - das gefiel mir nicht“, sagte er. Als 16-jähriger Bäckerlehrling in Danzig habe er trickreich aus einer Rekrutierungsveranstaltung der Wehrmacht flüchten können. Wenig später sei er aber gemustert worden. Wegen eines Herzfehlers sei er nicht kriegsverwendungsfähig gewesen. Als er den Marschbefehl nach Stutthof erhalten habe, habe er vergeblich versucht, in eine Wehrmachtsküche oder -bäckerei versetzt zu werden.
Als Wachmann im KZ habe er nie von seiner Waffe Gebrauch gemacht, behauptete der Angeklagte. Einmal habe er Häftlingen sogar geholfen, obwohl ihm bei Entdeckung eine schwere Strafe gedroht hätte. Er habe mehrere gefangene Männer zu einem Außenkommando begleiten müssen. In einem Gebüsch hätten die Häftlinge einen Pferdekadaver gefunden und ihn gefragt, ob sie sich ein Stück Fleisch abschneiden dürften. Er habe erlaubt, das Fleisch ins Lager zu schmuggeln. „Ich durfte denen kein Essen geben. Wir durften keinen Kontakt mit denen aufnehmen“, erklärte der 93-Jährige.
Von Konzentrationslagern habe er schon vor seinem Dienst in Stutthof gewusst. Sein Vater habe einmal zum Verhör gemusst, weil er sich kritisch über den Kriegsverlauf geäußert habe. Bevor man ihn laufen gelassen habe, habe man den Vater ermahnt, dass er wegen solcher Äußerungen ins Konzentrationslager kommen könne. Dass Juden aus ihren Wohnungen abgeholt wurden, das habe er damals gehört, erklärte er. „Wo die hinkamen, ob die ausgewiesen wurden, das war mir nicht bekannt.“ Die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring hakte nach: „Fanden Sie das richtig?“ Der Angeklagte verneinte.
Meier-Göring stellte den Angeklagten wegen einer anderen Äußerung zur Rede, in der sich der Angeklagte mit den Opfern in den Konzentrationslagern verglichen habe. Er habe gesagt, bei der Musterung habe er vor dem Militärarzt so nackt wie die Häftlinge im Konzentrationslager gestanden. Ob er verstehe, dass dieser Vergleich völlig unpassend und eine „Ohrfeige“ für Überlebende sei? „Es ist was anderes, auf jeden Fall. (...) Das darf man eigentlich nicht so vergleichen“, antwortete er.
Die Befragung soll am Freitag fortgesetzt werden. Nebenklage-Vertreter Christoph Rückel stellte den Antrag, das Gericht möge den Tatort, das ehemalige KZ Stutthof im heutigen Polen, selbst in Augenschein nehmen. Eine Entscheidung darüber steht noch aus. (dpa)
https://www.weser-kurier.de/
NS-Verbrechen
Das Leben eines KZ-Wachmanns
Er kam mit 17 Jahren als Wachmann ins Konzentrationslager Stutthof. Jetzt, am Ende seines Lebens, steht Bruno D. in Hamburg vor Gericht, in einem der letzten NS-Prozesse. Eine Rekonstruktion seines Lebens.
Das Leben eines KZ-Wachmanns
Kein Entkommen: In Stutthof starben etwa 65.000 Menschen. Bruno D. war hier von August 1944 bis April 1945 Wachmann.
Als Bruno D. zum ersten Mal von Stutthof hört, steht der Ortsname wie eine Drohung im Raum. Sein Vater hatte eine flapsige Bemerkung über den Krieg gemacht. Ein paar Worte, die so ausgelegt werden konnten, als zweifle er an Hitlers Endsieg. „Dann haben sie ihn abgeholt“, erinnert sich Bruno D. viele Jahrzehnte später. Seinem Vater wird gedroht, dass er nach Stutthof gebracht werde, ins Lager. Die Familie lebt nicht weit entfernt von diesem Ort, in einem Dorf im Umland von Danzig. Am Ende kommt der Vater noch einmal davon. Es ist Bruno D., der einige Jahre später in dieses Lager geschickt wird – nicht als Häftling, sondern als Wachmann.
80 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs muss sich Bruno D. wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 5230 Menschen im Konzentrationslager Stutthof verantworten. An diesem Donnerstag beginnt der Prozess vor dem Landgericht Hamburg, es ist eines der letzten NS-Verfahren in Deutschland. Der 93 Jahre alte Angeklagte wurde von Rechtsmedizinern als verhandlungsfähig eingestuft, ein Prozesstag soll jedoch nicht länger als zwei Stunden dauern. Das Verfahren gegen einen anderen früheren Wachmann in Stutthof vor dem Landgericht Münster musste Ende 2018 eingestellt werden, weil sich der Gesundheitszustand des 94-jährigen Angeklagten massiv verschlechtert hatte. Da Bruno D. zum Tatzeitpunkt erst 17 beziehungsweise 18 Jahre alt war, steht in Hamburg nun ein Greis vor einer Jugendstrafkammer.
65.000 MENSCHEN STARBEN IN STUFFHOF
Das Lager Stutthof wurde bereits kurz nach Kriegsbeginn eingerichtet. Die ersten Gefangenen waren polnische Intellektuelle aus Danzig. Im Laufe des Krieges wurden immer mehr Juden nach Stutthof deportiert. Der Lagerkommandant Paul Werner Hoppe erhielt im Sommer 1944, etwa zu der Zeit, als Bruno D. dort ankam, den Befehl zur Tötung der Juden. Insgesamt starben in diesem Lager etwa 65.000 Menschen.
Im Fernsehstudio wie im Gerichtssaal zeigt sich, dass man den Massenmord an Europas Juden nicht „bewältigen“ kann im Sinne von erledigen und abhaken. Das verhöhnt die Opfer, meint Joerg Helge Wagner.
Von Joerg Helge Wagner
Doch wie kommt ein junger Mann, dessen Vater beinahe in Stutthof inhaftiert worden wäre, selbst als Wachmann an diesen schrecklichen Ort? Mithilfe von mehreren Hundert Seiten Ermittlungsakten, die dieser Zeitung vorliegen, lässt sich der Weg von Bruno D. aus einem westpreußischen Dorf an einen der Tatorte des nationalsozialistischen Massenmords an den Juden nachzeichnen. Denn in mehreren Vernehmungen, deren Protokolle in den Akten zu finden sind, kommt der Angeklagte ausführlich zu Wort.
BRUNO D. BERICHTET AUS EIGENER SCHULZEIT
Schon in der Schule fühlt sich Bruno D. als Einzelgänger. Er wird von anderen verprügelt, Mitschüler nehmen ihm den Apfel weg, den er dabeihat, und fordern, dass er, der Bauernsohn, am nächsten Tag mehr mitbringt. Er weigert sich, wird wieder geschlagen. Seine Eltern sagen ihm dazu nur, wenn er niemandem etwas tue, dann werde ihm auch keiner etwas tun. Diese Geschichte aus seiner Schulzeit erzählt Bruno D. den Hamburger Ermittlern, die etwas über sein Leben erfahren wollen. Er habe niemandem etwas getan, betont er. Und es scheint, als ob er diesen Satz nicht nur auf seine Kindheit bezogen wissen will.
Brunos Eltern haben einen Hof mit 63 Morgen Land. Nach acht Jahren Volksschule beginnt er eine Bäckerlehre in Danzig. Der Vater gehört der Zentrumspartei an und ist ehrenamtlicher Gemeindevorsteher. Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernehmen, darf der Vater dieses Amt nicht mehr ausüben. Die Eltern stehen dem NS-Regime distanziert gegenüber. Sie verbieten ihrem Sohn, der Hitlerjugend beizutreten. „Ich durfte nicht und wollte auch nicht.“ Während der Lehrzeit tritt er dann doch in die HJ ein. Er sei gezwungen worden, sagt er. Außerdem seien alle anderen schon dabei gewesen.
UNTAUGLICH FÜR DEN KRIEGSDIENST
Bei der Musterung 1943 will der Arzt ihn schon für kriegsverwendungsfähig erklären, aber Bruno D. erwähnt einen alten Herzfehler. Er wird nach einer Untersuchung für ein Jahr zurückgestellt und als untauglich für den Kriegsdienst eingestuft. Auf Nachfrage der Ermittler gibt er zu, dass er mit dem Hinweis auf die Herzkrankheit auch den Einsatz an der Front umgehen wollte. Er habe „das System überhaupt nicht unterstützen“ wollen.
Doch dem Militärdienst kann Bruno D. nicht entgehen. Mit 17 Jahren wird er eingezogen und nach der Grundausbildung zum Wachdienst in Stutthof abkommandiert. Seine Kameraden und er haben abwechselnd Dienst auf den Wachtürmen. Gelegentlich begleitet er Häftlinge zu einem Arbeitseinsatz oder steht in einer der Postenketten rund um das Lager. Kurz nach seiner Ankunft erkrankt er und kommt mit dem Verdacht auf Diphtherie in eine Danziger Klinik.
Nach seiner Rückkehr Anfang August 1944 wird er wie die anderen Wachleute zum SS-Totenkopfsturmbann versetzt. Er erhält eine neue Uniform und unterschreibt dafür ein Formular. Dieses Dokument, ein sogenannter Bekleidungsnachweis, wird mehr als sieben Jahrzehnte später die Ermittler auf die Spur des „SS-Schützen“ Bruno D. bringen.
VIELE EHEMALIGE WACHLEUTE BLIEBEN UNBEHELLIGT
Nach Leuten wie ihm haben Deutschlands Nazi-Jäger lange überhaupt nicht gesucht. Die Justiz verfolgte nur jene, denen ein konkreter Mord nachgewiesen werden konnte. Die meisten ehemaligen Wachleute blieben unbehelligt. Bruno D. baut sich nach kurzer Kriegsgefangenschaft eine neue Existenz in der Bundesrepublik auf. Weil er als Bäcker nicht genug Geld verdient, arbeitet er als Lastwagenfahrer. Er heiratet, wird Vater von zwei Töchtern und fängt als Hausmeister in einer Bank an. Die Familie kauft ein Haus in Hamburg, in dem Bruno D. und seine Frau heute noch wohnen. Er sei stolz auf das, was er „im Leben geschafft“ habe, sagt er.
Im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig tötete die SS 1944/45 mindestens 5230 meist jüdische Gefangene. Ein in Hamburg lebender ehemaliger Wachmann der SS steht jetzt wegen Beihilfe vor Gericht.
Hätte es vor zehn Jahren in München nicht einen Prozess gegen John Demjanjuk gegeben, einen früheren Wachmann im Vernichtungslager Sobibor, dann würde Bruno D. jetzt nicht in einem Hamburger Gerichtssaal sitzen. Im Fall Demjanjuk hatte der Jurist Thomas Walther beharrlich darauf hingearbeitet, den Tatbestand der Beihilfe zum Mord auch auf Wachleute in Vernichtungslagern anzuwenden, weil sie den fabrikmäßig organisierten Massenmord unterstützten und so erst möglich machten. 2011 wurde Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 28 060 Menschen zu fünf Jahren Haft verurteilt. Staatsanwaltschaft und Verteidigung legten Revision ein. Bevor das Urteil rechtskräftig werden konnte, starb der 91-Jährige.
UNTERSCHRIFT IM ARCHIV DES STUTTHOF-MUSEUMS
Nach dem Münchner Prozess gegen Demjanjuk fingen die Ermittler an, nach anderen noch lebenden ehemaligen Wachleuten zu suchen. Es kam zum Prozess gegen Oskar Gröning, den „Buchhalter von Auschwitz“, und gegen Reinhold Hanning, der in Auschwitz Wachmann gewesen war. Im Archiv des Stutthof-Museums stießen die Ermittler auf den Bekleidungsnachweis mit Bruno D.s Unterschrift. Auch in Stutthof gab es eine Gaskammer, in der Menschen mit Zyklon B qualvoll getötet wurden. Um noch mehr Juden in kurzer Zeit ermorden zu können, wurde ein Waggon der Schmalspurbahn, die ins Lager führte, ebenfalls zur Gaskammer umgebaut. In der Zeit von August 1944 bis April 1945, die Bruno D. als Wachmann im Lager verbrachte, wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft Hamburg nachweislich mindestens 200 Menschen in beiden Gaskammern ermordet. Wahrscheinlich lag die Zahl deutlich höher.
Andere Häftlinge wurden durch Genickschüsse hingerichtet. Die meisten Häftlinge starben allerdings auf andere Art: durch Mangelernährung und Hunger, durch das Fehlen hygienischer Mindeststandards und die Verweigerung medizinischer Hilfe. Die Bedingungen im Lager waren im letzten Kriegsjahr gezielt so gestaltet, dass sie nach einiger Zeit zum Tod führen mussten. Kranke und völlig entkräftete Menschen wurden zum Sterben in eine dafür bestimmte Baracke gebracht, sie erhielten nicht einmal mehr Wasser. Als im November 1944 auch noch eine Fleckfieberepidemie ausbrach, unternahm die Lagerleitung nichts, um die Krankheit einzudämmen. Ein Massensterben begann. Auf diese Weise kamen während Bruno D.s Zeit im Lager nach Angaben der Hamburger Ermittler mindestens 5000 Menschen ums Leben. Stutthof war nicht nur ein Lager, sondern auch ein Ort des systematischen Massenmords.
„DA SIND TÄGLICH VIELE TOTE GEWESEN“
All das kann dem 18-jährigen Bruno D. nicht verborgen geblieben sein. Von dem Wachturm, auf dem er steht, hat er einen Überblick über das Lager. Er sieht, wie Häftlinge morgens die Leichen derer, die in der Nacht gestorben sind, aus den Baracken tragen. Das sei nach dem Ausbruch des Fleckfiebers passiert. „Da sind täglich viele Tote gewesen“, gibt Bruno D. auf die Fragen der Ermittler zu Protokoll. Die Leichen – nackte, „ausgemergelte Körper“ – hätten „stapelweise“ zwischen den Baracken gelegen und seien von Häftlingen auf Wagen geladen und dann zum Krematorium gebracht worden. Zusätzlich wurde ein „Scheiterhaufen“ errichtet, auf dem Leichen verbrannt wurden. „Weil das Krematorium die ganzen Leichen nicht schafft“, sagt Bruno D. Zugleich betont er, dass diese Menschen an einer Krankheit gestorben seien.
Das Lager war spätestens im Herbst 1944 vollkommen überfüllt, weil Transporte mit Juden aus Ungarn, dem Baltikum und aus Lagern im Osten ankamen. Doch davon will der Wachmann nichts bemerkt haben.
In den Vernehmungen im Hamburger Polizeipräsidium wird Bruno D. wortkarg, als es um die Morde in den Gaskammern geht. Schon kurz nach seiner Ankunft im Lager wusste er, dass es sie gab. Doch er behauptet, nicht ein einziges Mal gesehen zu haben, wie Menschen in die Gaskammer oder den umgebauten Bahnwaggon gebracht wurden. Ob er denn die Schreie der Opfer nicht gehört habe? „Ich hab’ da mal irgendwie von Ferne diese Schreie gehört.“ Die Toten in der Gaskammer will er nicht gesehen haben. Aber er müsse doch gemerkt haben, dass sich in dem Lager ein Massenmord abspiele, wendet der Oberstaatsanwalt in einer Vernehmung ein. Bruno D. murmelt etwas, das nicht zu verstehen ist. Auf Nachfrage sagt er nur: „Ich finde darauf keine Antwort.“ Am Ende der vielen Befragungen spricht Bruno D. doch noch vom „Massenmord“. Doch er meint nicht die Gaskammer, nicht die Erschießungen, nicht das gezielte Verhungernlassen der Häftlinge. Er spricht von den Bombenangriffen auf deutsche Städte in der Endphase des Weltkrieges, vom „Massenmord, der da von den Alliierten begangen worden ist“.
BRUNO D. EIN „RÄDCHEN IN DER MORDMASCHINERIE“
Die Staatsanwaltschaft Hamburg wirft Bruno D. vor, als SS-Wachmann in Stutthof die „heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“ zu haben. „Zu den Aufgaben des zur Tatzeit 17- und 18-jährigen Angeschuldigten im Rahmen des Wachdienstes gehörte es, die Flucht, Revolte und Befreiung von Häftlingen zu verhindern.“ Bruno D. sei ein „Rädchen in der Mordmaschinerie“ gewesen.
An den Verbrechen im Lager habe er sich nicht beteiligt, beteuert der Angeklagte. „Ich hab’ niemanden ermordet.“ Er selbst hätte gegen die Verbrechen auch nichts tun können. „Was konnte ein 17-Jähriger, der dazu gezwungen wurde, dort Wache zu stehen, was konnte der unternehmen dagegen?“ Noch einmal kommt Bruno D. auf das Erlebnis seines Vaters zu sprechen. Wenn er selbst ein falsches Wort gesagt hätte, wäre er sofort verhaftet worden, glaubt er.
Im Prozess wird die Frage zu klären sein, ob er nicht doch eine Wahl hatte, ob es für ihn die Möglichkeit gegeben hätte, von diesem Ort des Massenmordes wegzukommen, statt sich mitschuldig zu machen am Tod der Häftlinge. Nach Überzeugung der Staatsanwälte hätte er jederzeit um Versetzung an die Front bitten können. Dadurch hätte sich im Lager aber nichts geändert, wendet Bruno D. ein. „Ich hätte niemandem geholfen. Niemandem. Ich hätt’ nur mir selber geschadet.“
Um sein eigenes Leben nicht an der Ostfront aufs Spiel zu setzen, bleibt Bruno D. auf seinem Wachturm, sieht Tag für Tag Leichen und hofft darauf, dass der Krieg bald vorbei sein wird. Selbst an diesem Ort glaubt er offenbar, sich „raushalten“ zu können.
Doch 75 Jahre nach seiner Ankunft in Stutthof muss Bruno D. nun von seinen Anklägern erfahren, dass man sich an einem solchen Ort nicht raushalten kann.
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93-jähriger Angeklagter
Beihilfe zum Mord an 5230 Menschen - KZ-Wachmann vor Gericht
Im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig tötete die SS 1944/45 mindestens 5230 meist jüdische Gefangene. Ein in Hamburg lebender ehemaliger Wachmann der SS steht jetzt wegen Beihilfe vor Gericht.
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Beihilfe zum Mord an 5230 Menschen - KZ-Wachmann vor Gericht
Ein 93 Jahre alter ehemaliger SS-Wachmann des Konzentrationslagers Stutthof wird in den Gerichtssaal geschoben.
Daniel Bockwoldt / dpa
Gut 74 Jahre nach Kriegsende hat am Donnerstag vor dem Landgericht Hamburg ein Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann im Konzentrationslager Stutthof begonnen.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem 93-Jährigen vor, in dem Lager bei Danzig Beihilfe zum Mord an 5230 Menschen geleistet zu haben. Zur Tatzeit war der Angeklagte 17 bis 18 Jahre alt. Das Verfahren findet darum vor einer Jugendkammer statt.
Oberstaatsanwalt Lars Mahnke klagte den 93-Jährigen an, er habe als Wachmann in Stutthof zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“. Mit einer Waffe habe er Dienst auf den Wachtürmen verrichtet und Arbeitskommandos von Häftlingen bewacht. Der Angeklagte habe teilweise bis ins Detail Kenntnis von den Erschießungen gehabt.
Der Staatsanwalt beschrieb, wie die Gefangenen getötet wurden. Mindestens 30 seien einzeln in einen Untersuchungsraum geführt worden, wo ein SS-Mann im weißen Arztkittel sie nach ihrer Arbeitsfähigkeit befragte. In einem zweiten Raum seien die Gefangenen von einem ebenfalls als Arzt getarnten SS-Mann höflich gebeten worden, sich vor eine Messlatte zu stellen.
In der Latte sei eine höhenverstellbare Öffnung gewesen. Im Nebenraum habe ein Schütze mit einer schallgedämpften Pistole gewartet und den Gefangenen durch die Öffnung mit einem Genickschuss getötet. Die Leiche sei jeweils sofort weggeschafft und die Blutspuren mit einem Wasserschlauch beseitigt worden. Auch das nächste Opfer habe völlig arglos sein sollen.
Mindestens 200 Menschen starben der Anklage zufolge qualvoll in einer Gaskammer neben dem Krematorium oder in einem Eisenbahnwaggon durch Zyklon B. Den Opfern - meist Frauen - sei vorgetäuscht worden, sie müssten aus hygienischen Gründen entlaust werden.
Als sich die Morde im September 1944 im Lager herumsprachen und Gefangene nur noch mit Gewalt in die Gaskammer getrieben werden konnten, mordete die SS nach Angaben von Mahnke auf eine andere Weise. Sie erklärte den Opfern, sie sollten in ein Sanatorium gebracht werden und dafür in den Waggon einer Kleinbahn einsteigen. Darin wurden sie ebenfalls mit Zyklon B umgebracht.
Weitere rund 5000 Menschen starben nach Angaben des Anklagevertreters ab Oktober 1944 im sogenannten Judenlager. Dort wurden völlig entkräftete Gefangene zu Schwerstarbeit genötigt. Ihnen wurde systematisch ausreichend Nahrung, Wasser und Hygiene verweigert. Die Menschen seien in ihren Exkrementen gestorben. Von November 1944 bis April 1945 habe zudem eine Fleckfieberepidemie grassiert.
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Prozess gegen ehemaligen SS-Wachmann
Das ehemalige deutsche Konzentrationslager Stutthof im polnischen Sztutowo bei Danzig.
Foto: Piotr Wittman / dpa
Der Angeklagte bekannte sich zu seiner Vergangenheit als SS-Wachmann. Er sei im Sommer 1944 als 17-Jähriger zur Wehrmacht eingezogen worden und habe dann, weil er nicht kriegsverwendungsfähig war, den Marschbefehl nach Stutthof bekommen, sagte sein Verteidiger Stefan Waterkamp. „Er war zu dieser Zeit nicht freiwillig in die SS eingetreten, er hat sich den Dienst im Konzentrationslager nicht ausgesucht. Er war kein Anhänger dieses Systems.“
Bereits 1975 habe es Vorermittlungen gegen seinen Mandanten gegeben, ohne dass es zu einem Verfahren kam. 1982 habe er in einer Vernehmung der Polizei als Zeuge zu einem anderen NS-Verfahren ausgesagt. Der Justiz sei seit Jahrzehnten bekannt gewesen, dass der Angeklagte einfacher Wachmann im KZ war. Wenn er jetzt 74 Jahre nach Kriegsende vor Gericht gestellt werde, sei dies eine „rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung“, sagte der Verteidiger.
Der im Rollstuhl sitzende, aber rüstig wirkende Angeklagte bestätigte, dass die Erklärung in seinem Namen abgegeben wurde. Auf eine erste Frage der Vorsitzenden Richterin Anne Meier-Göring, ob er das Gesagte verstehen könne, sagte er: „Jawoll, ja.“ Der weißhaarige Mann mit Schnäuzer trug ein dunkelblaues Jackett, hellblaues Hemd und eine graue Hose, anfangs auch einen Hut. Neben ihm saß zur Unterstützung seine Tochter, auf muslimische Weise mit Kopftuch gekleidet.
Das Gericht ließ außer den 33 Nebenklägern rund 50 Journalisten und Prozessbeobachter zu dem eigentlich nicht-öffentlichen Verfahren zu. Die Kammer erlaubte zudem eine Tonaufzeichnung. Sie begründete dies mit der „herausragenden zeitgeschichtlichen Bedeutung des Verfahrens für die Bundesrepublik Deutschland“.
Der Verteidiger kündigte an, dass sich sein Mandant an einem anderen Verhandlungstag zu den Vorwürfen äußern und Fragen beantworten werde. Auch drei Nebenkläger aus Polen, den USA und Israel will das Gericht hören. Die Kammer hat zehn weitere Verhandlungstermine bis zum 17. Dezember angesetzt. (dpa).
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4.2.2 KZ-SS-Wachmann Johann R.
Prozessauftakt gegen 94-jährigen Nazi: Der vergessliche KZ-Wächter
Der Angeklagte Johann R. will von den Nazi-Verbrechen im KZ Stutthof nichts mitbekommen haben. Dabei war der SS-Mann dort selbst Wachmann.
MÜNSTER taz | Der Angeklagte trägt einen verbeulten grünen Hut, als er von einem Justizbeamten im Rollstuhl in den Sitzungssaal geschoben wird. Er nimmt ihn ab. Johann R., grauer Haarkranz, weißes Hemd unter dem dunklen Mantel, grüßt mit erhobener Hand, bevor er seinen Platz, zwischen seinen beiden Anwälten gelegen und ganz rechts in dem holzvertäfelten Saal, erreicht. Der Mann ist 94 Jahre alt. An diesem sonnigen Novembertag beginnt der Prozess gegen R. Die Anklage gegen ihn lautet auf mehrere hundert Fälle der Beihilfe zum Mord, begangen im ehemaligen Konzentrationslager Stutthof bei Danzig.
Prozesse wie dieser in Münster sind selten geworden. Die meisten Verdächtigen, Greise inzwischen, sind verhandlungsunfähig oder verstorben. Das letzte Verfahren gegen einen NS-Verbrecher liegt zwei Jahre zurück: 2016 verurteilt das Landgericht Detmold den früheren SS-Unterscharführer Reinhold Hanning, der in Auschwitz eingesetzt worden war, zu fünf Jahren Haft.
Mit dem Münsteraner Verfahren rückt nun ein Konzentrationslager in den Fokus, dass den wenigsten Deutschen bekannt sein dürfte – obwohl es tatsächlich schon sehr früh bestand. Der Holocaust geschah eben nicht nur in Auschwitz und Treblinka, er fand an vielen Orten statt, von Maly Trostinez in Weißrussland über Sobibor im besetzten Polen bis eben Stutthoff, wo ab 1944 vor allem Jüdinnen zu Tausenden eingeliefert und ermordet wurden. Insgesamt sind dort mehr als 40.000 Menschen ums Leben gekommen. Eine Beteiligung daran wirft die Staatsanwaltschaft Johann R. vor.
R. spricht mit leiser, aber deutlicher Stimme. Mehr als 70 Jahre sind vergangen, seit der junge Johann, von seinen Kameraden damals „Bubi“ genannt, dort als SS-Wachmann Dienst geschoben hat. Auf Schwarz-Weiß-Fotos aus der Zeit ist ein junger Mann mit vollem dunklem Haar zu erkennen. Weil R. damals unter 21 Jahre alt war, findet das Verfahren vor einer Jugendkammer des Landgerichts im westfälischen Münster statt. R. ist nicht geständig. Zwar sei er zwischen Juni 1942 und September 1944 in Stutthof eingesetzt gewesen, das gibt er zu, doch habe er von Morden dort nichts mitbekommen, äußerte er sich in einer Vernehmung.
70 Jahre ungestörtes Leben
Mehr als 70 Jahre konnte R. ein ungestörtes Leben führen, unbehelligt von seinen Jugendjahren in der 3. Kompanie des SS-Totenkopfsturmbanns Stutthof, wo er am 1. Februar 1943 zum SS-Sturmmann befördert worden war. Der ursprünglich aus Rumänien stammende Mann heiratete, bekam drei Kinder, promovierte und stieg zum Direktor einer Fachschule für Gartenbau in Nordrhein-Westfalen auf und ging mit 65 Jahren in Rente. R. sitzt nicht in Untersuchungshaft, er lebt in einem kleinen Ort in der Nähe von Münster. Keine Fluchtgefahr.
An diesem Dienstag, in diesem Gerichtssaal in Münster, holt ihn seine Vergangenheit ein. Was er aber in den zwei Jahren in Stutthof getrieben haben soll, das wird deutlich, als der Dortmunder Oberstaatsanwalt Andreas Brendel die Anklage verliest. Er beginnt geradezu harmlos, redet in nüchternem Ton von den Wachmannschaften, die 24 Stunden am Tag die Türme des Lagers besetzt hielten, tagsüber die Arbeitskommandos begleiteten und bewachten und in Postenketten eingesetzt worden seien: „Die Arbeitszeiten der Wachleute waren sieben Tage in der Woche zehn bis zwölf Stunden pro Tag bzw. Nacht bei zwei Wochen Urlaub zuzüglich zwei Reisetagen pro Jahr“, sagt Brendel.
Johann R. hört ihm aufmerksam zu, ohne dass eine Regung in seinem Gesicht zu sehen wäre. Brendel spricht weiter, kommt zu den Tötungshandlungen, wie das im Juristendeutsch genannt wird. Da geht es um „Tötungen mittels des Giftgases Zyklon B zunächst in der Gaskammer neben dem Krematorium und später auch in den Waggons der Schmalspurbahn, welche in das Lager hineinführte“. Und Brendel sagt: „Die Menschen, die sich der Einwurfstelle am nächsten aufhielten, nahmen das Gift als erste auf.
Die weiter entfernt stehenden Menschen bemerkten die Symptome und den Todeskampf der zuerst Betroffenen und mussten diesen mit ansehen, bevor sich die Symptome bei ihnen selbst entwickelten.“ Der Tod, so Brendel, sei im Allgemeinen innerhalb einiger Minuten eingetreten, „wobei der Todeskampf der Opfer bei niedrigen Temperaturen u.a. in den Eisenbahnwaggons auch deutlich länger dauern kann“. Die Rufe und Schreie der Opfer seien auch außerhalb zu hören gewesen.
Zur Täuschung Arztkittel getragen
Der Angeklagte hört weiter zu, während Andreas Brendel, am anderen Ende des Gerichtssaals stehend, fortfährt. Da geht es um Tötungen durch die Lebensverhältnisse – fehlende schützende Kleidung, die miserablen Unterbringungsverhältnisse in hölzernen und überfüllten Baracken, die schwere Arbeit, unzureichende medizinische Versorgung und vor allem um den Hunger. Der Staatsanwalt kommt auf die Erschießungen in einem Nebenraum des Krematoriums zu sprechen, die vor Inbetriebnahme der Gaskammer gang und gebe gewesen waren. Sie betrafen vor allem Juden, die Brendel „antisemitisch Verfolgte“ nennt.
„Die Opfer wurden jeweils von einem SS-Angehörigen in Empfang genommen, der aus Täuschungsgründen eine weißen Arztmantel trug“, verliest Brendel. Die Opfer seien in einen Nebenraum geschickt worden, wo man ihnen vorgaukelte, ihre Größe zu vermessen. „So traten die Häftlinge jeweils im Glauben, dass man ihre Körpergröße messen wolle, mit dem Rücken zur Messlatte. In einem Schlitz verlief ein Querstab, welcher der Person auf den Kopf gelegt wurde.
War dieser Querstab auf die Größe des Opfers eingestellt, so war durch ein sich verschiebendes Brett eine Öffnung nach hinten abgegrenzt. Diese Öffnung befand sich in Höhe des Genicks des Opfers. Sie mündete in einem weiteren Nebenraum, in den sich die als Schützen betätigenden SS-Männer befanden“, sagt Brendel. Für 40 Menschen benötigte die SS etwa zwei Stunden.
Dem Angeklagten in Münster wird nicht vorgeworfen, selbst gemordet zu haben. Dafür liegen keine Hinweise vor. Es geht um Beihilfe zu Mord, begangen durch seine Wachtätigkeit in Stutthof, Damit, so der Vorwurf, habe R. die arbeitsteilige Tötung von Zehntausenden Menschen ermöglicht. Er habe gewusst, in welcher Art und Weise die Morde durchgeführt wurden. Brendel ist zusammen mit einem LKA-Ermittler selbst in der heutigen Gedenkstätte des ehemaligen KZ Stutthof gewesen. Sie haben Vermessungen durchgeführt und sind auf die Wachtürme gestiegen.
Sie wollten wissen, wie viel ein Wachmann von den Morden mitbekommen musste, selbst wenn niemand bei geselligen Abenden darüber gesprochen hätte. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass der Mord in Stutthof für die Wachmänner ein offenes Geheimnis gewesen ist.
17 Nebenkläger
Der Prozess dauert jetzt bereits fast eine Stunde an, doch der Angeklagte zeigt keine Ermüdungserscheinungen. Wegen seiner eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit sind die Verhandlungen auf jeweils zwei Stunden beschränkt. Zwischen den Verhandlungstagen muss ein Tag Pause eingelegt werden. Warum mussten mehr als 70 Jahre vergehen, bis R. vor Gericht gestellt wurde, nun, im November des Jahres 2018? Warum so viel Zeit?
Diese Frage treibt auch einige der 17 Nebenkläger an. Es sind Opfer, die Stutthof überlebt haben. Keiner von ihnen ist heute vor dem Gericht erschienen, denn auch sie sind sehr alt geworden, zu gebrechlich für die lange Reise aus Israel oder den USA nach Deutschland. Sie werden durch ihre Anwälte vertreten, die ganz links im Saal sitzen.
Tatsächlich hätte es gegen Männer wie R. vor gut zehn Jahren keinen Prozess gegeben. Dafür, so die langjährige und im Sinne der Täter durchaus hilfreiche Begründung, war auch beim Vorwurf der Beihilfe zum Mord ein individueller Mordvorwurf notwendig. Erst seit wenigen Jahren ist die bundesdeutsche Justiz zu der Überzeugung gekommen, dass alleine die Anwesenheit in einem Lager, in dem Menschen planmäßig vernichtet wurden, für eine Verurteilung ausreichen kann. Deshalb muss sich heute in Münster ein Greis verantworten. Die allermeisten seiner SS-Kameraden sind davon gekommen, weil sie längst verstorben sind.
„Diese Gerechtigkeit kommt zu spät“
Die Opfer sprechen heute in Münster – auch wenn sie nicht da sind. Einige ihrer Anwälte verlesen persönliche Erklärungen ihrer Mandanten. Der Angeklagte bekommt Kopfhörer gereicht, damit er die Nebenklagevertreter auch gut verstehen kann. Judith Meisel ist 88 Jahre alt, lebt in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota und hat das KZ Stutthof überlebt. Ihr Anwalt Cornelius Nestler liest ihre Erklärung vor: „Dass der Angeklagte am Ende seines Lebens doch noch mit seiner Beteiligung an diesen mit menschlichen Maßstäben nicht greifbaren Verbrechen konfrontiert wird, ist schlicht eine Frage der Gerechtigkeit. Diese Gerechtigkeit kommt spät, allzu spät. Dieses Strafverfahren bedeutetet für mich Gerechtigkeit, und es bringt späte Gerechtigkeit für meine ermordete Mutter.“
Und dann lässt Marga Griesbach ausrichten, dass sie „kein Groll, keinen Hass und keine Wut“ hege. Dass Gerechtigkeit kein Verfallsdatum habe. Und dass gerade jetzt dieses Verfahren ganz besonders wichtig sei, heute, wo „wieder gegen Minderheiten gehetzt“ werde, und eine „einwandererfeindliche Rhetorik“ in ihrer neuen Heimat, den USA, verbreitet sei.
Die Vertreter der Nebenkläger stellen den Antrag, dass das Gericht nach Stutthof reisen möge, um sich selbst ein Bild zu machen. Die Verteidigung schließt sich dem Begehren an. Gut möglich, dass die Verfahrensbeteiligten bald die KZ-Gedenkstätte in Polen besuchen. Nein, der Angeklagte würde nicht mitreisen. Dann, es ist noch nicht einmal zwölf Uhr, ist das Verfahren für den heutigen Tag beendet. Ein Justizbeamter fährt den Angeklagten in seinem Rollstuhl aus dem Gerichtssaal. Übermorgen, am Donnerstag, geht es weiter. Die Kammer hat Termine bis in den Februar gemacht.
Der angeklagte Dr. Johann R. wird auch nicht jünger.
https://taz.de/
„Ich hörte die Schreie aus der Gaskammer“
Veröffentlicht am 25.10.2019 |
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Von Per Hinrichs
Chefreporter WELT AM SONNTAG
Der heute 93-jährige Bruno D. war SS-Wachmann im KZ Stutthof. Im Prozess gegen ihn hat er sein Migefühl für die Gefangenen in den Konzentrationslagern bekundet. Sein Einsatzort Stutthof bei Danzig sei ein „Ort des Grauens“ gewesen.
Im letzten Kriegsjahr war Bruno D. Wachmann in einem KZ bei Danzig. Im Hamburger NS-Prozess räumt er ein, dass er die Morde in der Gaskammer beobachtet hat. Doch zu einem Detail schweigt er.
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Es geht doch. Er kann sich erinnern, auch an diesen schrecklichsten Teil seiner Erlebnisse im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig, in dem Bruno D. von August 1944 bis April 1945 eingesetzt war. „Vom Wachturm habe ich die Gaskammer gesehen“, berichtet er. „Und Schreie und Poltern habe ich gehört, das war nach ein paar Minuten vorbei.“
Der junge SS-Mann, der im letzten Kriegsjahr mit einem Gewehr bewaffnet auf dem Wachturm seinen Dienst versah, war also gerade Zeuge der Ermordung von Gefangenen mittels Gas geworden. Er hat ihre Todesschreie gehört und den verzweifelten wie aussichtslosen Kampf der Sterbenden wahrgenommen. Doch das will Bruno D. damals nicht verstanden haben.
„Ich wusste nicht, was mit den Leuten geschah. Ich habe gedacht: Was machen sie da mit denen, aber hatte keine Vorstellung gehabt.“
Richterin Anne Meier-Göring hebt die Stimme an. Die Vorsitzende der Jugendstrafkammer bemüht sich auch am vierten Verhandlungstag, den 93 Jahre alten Angeklagten so auszufragen, als ob sie einen bockigen Teenager vor sich hat. Sie lächelt, fragt nach und wirkt in kaum einem Moment wie eine Richterin, die unter allen Umständen die persönliche Schuld eines Angeklagten feststellen will.
Doch nun weicht alle Freundlichkeit aus ihrem Gesicht. „Aber Sie haben doch gerade gesagt, dass die Menschen dort hineingegangen sind. Das können sie mir doch nicht erzählen. Sie haben auch 1982 in einer Vernehmung klar gesagt, wie dort Menschen in die Gaskammer geführt worden sind. Einige Minuten habe es Lärm gegeben, und dann sei es still geworden.“
Ist es möglich, dass der junge Wachmann nicht mitbekommen haben will, dass die Menschen dort getötet worden sind? Hat er sich damals tatsächlich bis zur Grenze des Absurden selbst belogen? Oder lügt Bruno D.?
„Damals, als ich da stand, wusste ich die Antwort noch nicht“, windet er sich. „Heute weiß ich, dass es ...“ Der Satz bleibt unvollendet.
„Sie wurden vergast, umgebracht, ermordet“, hilft ihm die Richterin. „Darüber wurde doch auch gemunkelt, wie sie selbst gesagt haben.“
„Ich konnte nicht hundertprozentig sagen, die werden jetzt vergast, weil ich es nicht gesehen habe“, entgegnet der Greis. „Ich habe häufig gedacht: Hoffentlich passiert da heute nichts. Hoffentlich werden heute keine in die Gaskammer hineingeführt.“
Bruno D. berichtet, wie jeweils 20 bis 30 Männer und Frauen in den Raum hineingeführt worden sind, ohne Gegenwehr, ein Mann in einem weißen Kittel habe sie begleitet. „Ihnen wurde gesagt, die sollen zur Untersuchung, weil sie zu einem Arbeitseinsatz außerhalb des Lagers eingeteilt werden sollten.“ Die Legende, mit denen die Gefangenen in Sicherheit gewiegt werden sollten, hätten seine Kameraden ihm erzählt.
Und Bruno D. erinnert sich auch daran, wie Wachmänner von Eisenbahnwaggons berichtet hätten, die abgedichtet und als Gaskammer benutzt worden seien. „Da wurde mal gesagt, dass das gemacht wurde.“ Gesehen habe er es nicht.
Dass den dort Eingesperrten ein grausiges Schicksal bevorstand, wusste er also. „Die Menschen, die dort eingesperrt waren, hatten nichts verbrochen“, sagt er. „Aber was konnte ich dagegen machen?“
Mit zwei Sätzen verteidigt sich Bruno D. immer wieder: Er habe sich nicht freiwillig zum Lagerdienst gemeldet, sondern sei zur Wehrmacht eingezogen worden, die ihn dann in den Wachdienst der SS überstellt habe. Und er habe nichts ausrichten können, obwohl er mit den „Taten nicht einverstanden war“.
Letztlich nimmt er, der ein Rädchen in der Menschenvernichtungsmaschine gewesen war, für sich in Anspruch, Pech gehabt zu haben. Und daher, folgert er, sei er berechtigt gewesen, all das Erlebte nach dem Krieg zu vergraben und zu vergessen.
Doch mit dieser Haltung nimmt er den Blick der Opfer aus dem Blick, die er zu bewachen hatte, die er beim Gang in die Gaskammer beobachtete und die unter seinen Kameraden zu leiden hatten. Richterin Meier-Göring nimmt sich seine Gewissensbisse vor. „Mit wem haben Sie das besprochen, wenn Sie nicht einverstanden waren?“ „Ich habe alles in mich hineingefressen. Das hat mich damals sehr belastet, und das belastet mich heute noch.“
Soll er konkret werden, bleibt er vage
Aber was genau belastet ihn denn heute noch? Dass die Menschen ermordet worden sind? Dass er dabei zusehen musste? Oder dass er mitgeholfen hat? Immer, wenn er konkrete Situationen oder Wahrnehmungen schildern soll, die seine angebliche Belastungen erklären und unterfüttern könnten, bleibt er vage. Selbst bei Fragen nach seinem Wachdienst, den er ja gute achte Monate jeden Tag ausführte, kommt nur Schemenhaftes zutage.
„Wie sollten Sie ihren Wachdienst ausführen, was wurde Ihnen gesagt“, will Meier-Göring wissen.
„Den Zaun beobachten und aufpassen, dass sich keiner dem Zaun nähert.“
„Haben Sie keine Broschüre bekommen?“
„Nein.“
„Was war der Unterschied zum Gefängnis?“, fragt eine Schülerin
Meier-Göring will wissen, ob er sich an seinen Ausbilder, den Kompanieführer Reddig erinnert; der Angeklagte verneint. Dabei war er der oberste und bekannteste Ausbilder im Lager. Als sie nach der Broschüre fragt, meint sie ein Ausbildungsheftchen namens „Richtig – falsch“, das Wachmannschaften in den Konzentrationslagern als bebilderte Dienstvorschrift überreicht wurde. Dort sollten die Wachleute lernen, wie sie Gefangene zu beaufsichtigen hatten und was bei Fluchtversuchen zu tun ist – nämlich Erschießen des Flüchtenden.
„Was sollten Sie machen, wenn sich jemand dem Zaun nähert?“
„Ich weiß nicht mehr, wie die Befehle da lauteten. Wir sollten auf auf dem Turm Wache stehen und aufpassen, dass nichts passiert.“
„Hat sich mal jemand dem Zaun genähert?“
„Nein“, sagt Bruno D. Sonst hätte er „Alarm“ gegeben; was das bedeutet hätte, wisse er aber angeblich nicht mehr.
Zur Gaskammer hatte Meier-Göring noch eine Frage. „Gab es da nur eine Tür? Oder einen Ausgang?“
Da muss Bruno D., nicht lange überlegen. „Ich habe nie gesehen, dass da jemand herausgekommen wäre.“
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NS-PROZESS
Früherer KZ-Wachmann gibt sich unwissend
Im Prozess um die Morde im ehemaligen Konzentrationslager Stutthof hat der 94-jährige Angeklagte ausgesagt, von systematischen Massentötungen nichts gewusst zu haben. Die Staatsanwaltschaft glaubt ihm nicht.
13.11.2018
Er sei zwar als SS-Wachmann dort gewesen und habe den schlechten Zustand der Insassen bemerkt, ließ der 94-jährige Johann R. über seinen Verteidiger vor Gericht erklären. Von Gaskammern und systematischen Massenmorden habe er aber "nichts gewusst". In seiner Zeit dort habe er auch keine "systematische Tötungsmaschinerie feststellen können".
Durch guten Kontakt zu seinem damaligen Kompanieführer sei er hauptsächlich am ersten Wachturm eingesetzt worden und nicht an der Organisation des Lagers beteiligt gewesen. Gleichwohl gab der Beschuldigte zu, dass alle Wachleute im Lager von einem Krematorium auf dem Gelände gewusst hätten. Auch habe er nur "unter Zwang" in der SS und in dem Lager gedient. Die Staatsanwaltschaft wertete die Aussagen als unglaubwürdig.
Der Mann muss sich vor dem Landgericht im nordrhein-westfälischen Münster verantworten, weil er während des Zweiten Weltkriegs von 1942 bis 1944 als junger Mann in dem früheren KZ bei Danzig als Wachmann tätig gewesen sein soll. In Stutthof hatten die Nazionalsozialisten unter anderem polnische Staatsbürger, sowjetische Kriegsgefangene und Juden inhaftiert und getötet. Von mehr als 100.000 Häftlingen, starben nach Schätzungen etwa 65.000.
Eines der letzten Verfahren
Dem Angeklagten wird Beihilfe zum Mord in mehreren hundert Fällen vorgeworfen. Darunter sollen Vergasungen in Gaskammern, Erschießungen und absichtliches Erfrierenlassen sein. Die Anklage geht davon aus, dass seine Tätigkeit als Wachmann die systematischen Tötungen in dem Konzentrationslager beförderte und er über die Vorgänge im Lager im Bilde war. Der Prozess, bei dem es sich um einen der letzten Verfahren wegen Massenverbrechen während der Nazizeit handeln dürfte, soll bis Februar dauern.
Die Oberstaatsanwalt widersprach den Angaben des Angeklagten. Man gehe schon davon aus, dass die Wachleute deutlich mehr wussten, als im Rahmen der heutigen Einlassung wiedergegeben wurde, heißt es. Auch die Aussage des Angeklagten, er habe nur aus Angst vor Repressalien seinen Dienst bei der SS verrichtet, entspreche nicht der Einschätzung der Anklage. Nun gelte es, die Beweisaufnahme abzuwarten. Dazu werde unter anderem ein Historiker ein Gutachten erstellen.
Prozess vor der Jugendkammer
Der 94-Jährige muss sich vor der Jugendkammer des Landgerichts verantworten, weil er zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Taten noch keine 21 Jahre alt war. Der Prozess ist bis zum 12. Februar angesetzt. Die Staatsanwaltschaft beantragte am Dienstag die Anhörung von vier Überlebenden des KZ Stutthof als Zeugen. Die Frauen, die heute in den USA leben, sollen über Skype zum Prozess zugeschaltet werden, "um den Opfern des Holocaust eine Stimme zu geben", wie es hieß.
Ein weiteres Verfahren gegen einen anderen SS-Mann aus Wuppertal ist noch anhängig. Er soll ebenfalls ab 1942 im KZ Stutthof im Einsatz gewesen sein. Zurzeit wird geklärt, in welchem Umfang der heute über 90-Jährige verhandlungsfähig ist.
cgn/qu (afp, epd)
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NS-Prozess in Münster: Angeklagt nach mehr als 70 Jahren
Johann R. ist fast 95. Er soll geholfen haben, hunderte Häftlinge im KZ Stutthof zu ermorden. Doch den Angehörigen der Opfer geht es nicht um eine hohe Strafe.
Von Claudia von Salzen
07.11.2018, 09:32 Uhr
Der Angeklagte wird im Rollstuhl in den Gerichtssaal geschoben. Als er die vielen Kameras sieht, die auf ihn gerichtet sind, hebt er kurz die linke Hand und winkt. An seinem Platz setzt er den blassgrünen Anglerhut ab und rückt den Kragen seines feinen weißen Hemds zurecht. Das schüttere weiße Haar, das leicht zerzaust ist, lässt ihn noch gebrechlicher wirken. Sein Blick ist allerdings wach. Noch nie ist ein so alter Angeklagter vor einer Jugendkammer erschienen. In zwei Wochen feiert Johann R. seinen 95. Geburtstag.
Doch weil der Angeklagte zur Tatzeit noch keine 21 Jahre alt war, ist die Jugendkammer des Landgerichts Münster für den Greis zuständig. Johann R. steht seit Dienstag vor Gericht, weil er vor mehr als sieben Jahrzehnten Wachmann im nationalsozialistischen Konzentrationslager Stutthof nahe Danzig war. Damit beginnt in Deutschland noch einmal ein großer NS-Prozess. Vielleicht der letzte.
Dass er Wachmann war, hat er zugegeben
Während Johann R. am Ende seines Lebens von seiner Vergangenheit eingeholt wird, haben andere Menschen lange auf diesen Tag gewartet. 17 Nebenkläger sind im Prozess vertreten, jeder von ihnen trauert noch heute um ein Familienmitglied, das in Stutthof ermordet wurde – in der Zeit, in der Johann R. dort Wachmann war. Die Staatsanwaltschaft Dortmund wirft dem ehemaligen SS-Mann Beihilfe zum Mord an mehreren hundert Menschen vor. Dass er Wachmann in Stutthof war, hat Johann R. in einer Befragung zugegeben. Er bestreitet allerdings, an der Tötung von Häftlingen beteiligt gewesen zu sein. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft musste jedem Wachmann jedoch nach kurzer Zeit bekannt gewesen sein, dass dort Häftlinge getötet wurden – und auf welche Weise.
Die 17 Nebenkläger, die in den USA, in Kanada, in Israel und in Deutschland leben, sind für eine Teilnahme an dem Prozess allerdings zu alt und gebrechlich. Die Reise wäre für sie zu beschwerlich. Und so fehlen an diesem ersten Prozesstag diejenigen im Gerichtssaal, die das Grauen in Stutthof noch selbst erlebt oder dort einen engen Angehörigen verloren haben. In den beiden letzten großen NS-Prozessen in Deutschland, dem Verfahren gegen den „Buchhalter von Auschwitz“, Oskar Gröning, in Lüneburg 2015 und dem Detmolder Verfahren gegen den ehemaligen Wachmann in Auschwitz, Reinhold Hanning, ein Jahr später hatten die Nebenkläger eine wichtige Rolle gespielt. Sie waren es, die den Ermordeten eine Stimme und ein Gesicht gaben.
Der Nebenklageanwalt Cornelius Nestler liest allerdings am Dienstagvormittag im Gerichtssaal eine Erklärung seiner 89-jährigen Mandantin Judy Meisel vor, die heute in den USA lebt. Kaum hat er damit begonnen, wird er von der Verteidigung unterbrochen. Der Angeklagte hat Schwierigkeiten, das Gesagte zu verstehen. Schließlich bekommt er Kopfhörer. Ganz langsam und deutlich trägt Nestler nun Judy Meisels Geschichte vor.
"Der Tod wurde in meinem Leben zum täglichen Gefährten"
Schon als Zwölfjährige hatte sie in einem Ghetto im litauischen Kaunas Zwangsarbeit, Hunger, „tägliche Erniedrigung und willkürlichen Terror“ erlebt. „Und dennoch – ich war nicht auf das vorbereitet, was danach kam“, heißt es in der Erklärung der Holocaust-Überlebenden. „Danach kam Stutthof und ich erlebte das Unvorstellbare – die Hölle, eingerichtet und exekutiert von der SS.“ Es gab keine sanitären Einrichtungen, fast kein Essen und nur ein Kleidungsstück für jeden Häftling. „Der Tod wurde in meinem Leben zum täglichen Gefährten.“ Wenn die Gefangenen morgens aufstanden, lag bereits „ein Haufen Leichen aufgestapelt vor den Baracken“. Diejenigen, die noch lebten, aber zu schwach zum Arbeiten waren, wurden in die Gaskammer geschickt.
Beinahe wäre das auch Judy Meisels Schicksal gewesen. „Das letzte Mal, dass ich meine Mutter sah, standen wir schon ohne Kleider zusammen mit einer Gruppe anderer Frauen vor der Gaskammer.“ Doch ihre Mutter drängte sie, zurück zu den Baracken zu laufen, als sich plötzlich dazu eine Gelegenheit ergab. Judy Meisels Mutter wurde in der Gaskammer ermordet.
„Stutthof, das war der organisierte Massenmord durch die SS, ermöglicht mit der Hilfe der Wachmänner.“ Der Angeklagte habe gemeinsam mit den anderen SS-Männern dafür gesorgt, „dass keiner aus der Hölle entkommen“ konnte.
Tor zur Hölle. Im Konzentrationslager Stutthof wurden 65 000 Menschen ermordet, der Angeklagte Johann R. war hier von 1942 bis 1944 Wachmann.
Vielleicht habe er sich nicht selbst entschieden, Wachmann in Stutthof zu werden. „Aber er muss sich der Verantwortung dafür stellen, was er getan hat, als er in Stutthof war. Verantwortung dafür, dass er mitgeholfen hat bei diesem unvorstellbaren Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dafür, dass er mitgeholfen hat, meine geliebte Mutter zu ermorden, die ich mein ganzes Leben lang so vermisst habe.“ Während Nestler die Erklärung vorliest, sitzt Johann R. unbewegt und mit gesenktem Blick auf seinem Platz.
Judy Meisel und den anderen Nebenklägern geht es nicht um eine möglichst hohe Strafe für den Angeklagten. „Dieses Strafverfahren bedeutet für mich Gerechtigkeit, und es bringt späte Gerechtigkeit für meine ermordete Mutter.“ Kein Verständnis hat die heute 89-Jährige dafür, dass die Justiz so lange gebraucht hat, Johann R. vor Gericht zu stellen.
70 Jahre lang blieb er unbehelligt
Das ist auch ein Beleg für die Versäumnisse der deutschen Justiz bei der Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Jahrzehntelang haben die zuständigen Ermittler nach den Wachleuten aus den Konzentrationslagern gar nicht erst gesucht. Nur jene SS-Männer wurden in Deutschland vor Gericht gestellt, denen man einen konkreten Mord nachweisen konnte.
Siebzig Jahre lang blieb Johann R. deshalb völlig unbehelligt von der Justiz. Er führte ein ganz normales Leben in Deutschland, studierte, machte einen Doktortitel und arbeitete später als Beamter in Nordrhein-Westfalen. Er heiratete und wurde Vater von drei Kindern. Heute wohnt er in einem kleinen Ort im Westmünsterland, in der Nähe von Borken.
Vor zwei Jahren bekam er doch noch Besuch von deutschen Ermittlern, die nach seiner Zeit in Stutthof fragten. Im Jahr 2011 hatte das Landgericht München John Demjanjuk, einen früheren Wachmann im Vernichtungslager Sobibor, wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. Das Gericht war der Argumentation der Staatsanwaltschaft gefolgt, wonach die Wachleute durch ihre Tätigkeit das Morden erst möglich machten. Nach diesem Urteil und besonders nach dem Schuldspruch gegen Oskar Gröning 2015 gingen die Ermittler in der Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen noch einmal die alten Akten durch. Suchten gezielt nach Männern und Frauen, die im Dienst der SS die Lager bewachten. Auf diese Weise tauchte der Name Johann R. auf.
Mit 18 ging er zur Waffen-SS
Der Angeklagte wird im November 1923 im rumänischen Sankt Georgen geboren, in einer Familie von Siebenbürger Sachsen. Mit 18 Jahren geht er zur Waffen-SS. Am 7. Juni 1942 wird er als Wachmann ins Lager Stutthof geschickt. Von jetzt an trägt er wie die anderen Wachleute im Dienst der SS einen Totenkopf am Kragen seiner Uniform. Mehr als zwei Jahre lang bleibt Johann R. in Stutthof. Seine Arbeit macht er offenbar zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten, denn er wird befördert. Die SS-Männer stehen Tag und Nacht auf den Wachtürmen, bilden Postenketten rund um das Lager. Außerdem gehört es zu ihren Aufgaben, die Häftlinge zu beaufsichtigen, die außerhalb des Lagers Zwangsarbeit leisten müssen.
Nüchtern und sachlich zeichnet Oberstaatsanwalt Andreas Brendel am Dienstagvormittag in Münster das Grauen im Lager Stutthof nach. Ganz still wird es im Saal des Landgerichts, als er erklärt, wie das tödliche Gas Zyklon B auf den menschlichen Körper wirkt, erst die Zellatmung aussetzt, sodass der Mensch innerlich erstickt, und wie die in der Gaskammer Eingeschlossenen in Angst und Panik verfielen. „Rufe und Schreie der Opfer waren außerhalb der Gaskammer zu hören, und jedem, der dies hörte, war bewusst, dass die Opfer um ihr Leben kämpften.“
Der Angeklagte ist fast 95 Jahre alt - es darf nur an zwei Tagen pro Woche verhandelt werden, jeweils maximal zwei Stunden.
Der Angeklagte sitzt regungslos da, den Blick nach unten gerichtet. Als würde es nicht um ihn gehen und darum, was er selbst in Stutthof gehört, gesehen und getan hat.
Weil aber genau diese Fragen für das Verfahren so wichtig sind, beantragen die Anwälte der Nebenkläger, dass das Gericht die Gedenkstätte des Lagers besucht. Die Verteidigung stimmt überraschend zu. Nun müssen die Richter entscheiden, ob sich die Verfahrensbeteiligten gemeinsam auf die Reise machen – und ob auch der Angeklagte mitkommen muss.
Am ersten Prozesstag zählt der Oberstaatsanwalt auf, für welche Taten Johann R. aus Sicht der Anklage eine Mitverantwortung trägt: Am 21. und 22. Juni 1944 wurden mehr als 100 polnische Häftlinge in der Gaskammer des Lagers Stutthof mit Zyklon B ermordet. Mindestens 77 verwundete sowjetische Kriegsgefangene starben wenig später auf dieselbe Weise. Ab August 1944 wurden mehrere hundert Juden in der Gaskammer und in Eisenbahnwaggons ermordet.
Stutthof gehört heute zu den weniger bekannten nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Das Lager wurde einen Tag nach dem deutschen Überfall auf Polen eröffnet. Bereits am ersten Kriegstag begannen in der Freien Stadt Danzig die Massenverhaftungen polnischer Intellektueller, entsprechende Namenslisten hatten die Nationalsozialisten in der Schublade. Selbst das Lager war schon vor Kriegsbeginn errichtet worden. Später wurde auch Stutthof zu einem der Tatorte des Massenmordes an den europäischen Juden. Im Sommer 1944 trafen dort Deportationszüge aus Ungarn und dem Baltikum ein. Von den 110.000 Häftlingen überlebten etwa 65.000 nicht.
Krankheiten breiteten sich schnell aus
Bevor es in Stutthof eine Gaskammer gab, wurden Häftlinge in einem Nebenraum des Krematoriums durch Genickschüsse getötet. Opfer waren Juden, die als nicht mehr „arbeitsfähig“ galten. Oberstaatsanwalt Brendel beschreibt vor Gericht detailliert, wie die SS-Männer eine ärztliche Untersuchung vortäuschten, wie die Opfer sich in dem Glauben, ihre Körpergröße solle bestimmt werden, an eine Wand stellten und eine Messlatte auf den Kopf legten, dann von SS-Männern, die in einem angrenzenden Raum warteten, erschossen wurden. Anderen Häftlingen, vor allem Frauen und Kindern, gaben SS-Ärzte eine tödliche Benzin- oder Phenolspritze direkt ins Herz.
Allein die Lebensverhältnisse im Lager hätten bewirkt, dass viele Gefangene zu Tode kamen, sagt der Staatsanwalt. Die Häftlinge mussten hungern und zugleich körperlich schwer arbeiten. Ihre Kleidung schützte sie weder vor Regen noch vor Kälte. Krankheiten breiteten sich schnell aus. In menschenverachtenden Experimenten wurden Häftlinge nackt mit Wasser übergossen und dann bei Minusgraden ins Freie geschickt.
Während Brendel das alles schildert, wirkt der Angeklagte noch immer in sich gekehrt und teilnahmslos. Trotz seines hohen Alters hat ihn ein Gutachter als eingeschränkt verhandlungsfähig eingestuft. An maximal zwei Tagen in der Woche solle nicht länger als zwei Stunden verhandelt werden, riet der medizinische Sachverständige. Zwischen den beiden Prozesstagen sei mindestens ein Tag Pause einzuplanen. Als der Vorsitzende Richter Rainer Brackhane die Personalien des Angeklagten feststellt und ihn fragt, ob er Rentner sei, muss Johann R. das erste Mal nachfragen. „Bitte?“ Ja, er sei Pensionär, sagt er dann, mit 65 Jahren in den Ruhestand versetzt worden. Das ist nun auch schon wieder drei Jahrzehnte her.
Der Angeklagte will über seine Vergangenheit reden
Gemeinsam mit Johann R. hatte die Staatsanwaltschaft Dortmund einen weiteren früheren SS-Mann angeklagt, der heute in Wuppertal lebt. Doch an der Verhandlungsfähigkeit des 93-Jährigen gab es Zweifel, unklar war offenbar, ob er wegen seiner Schwerhörigkeit einem Prozess überhaupt folgen könnte. Deswegen steht jetzt Johann R. allein vor Gericht.
In seinem Heimatort weiß offenbar niemand von seiner NS-Vergangenheit. Der Prozess hat noch gar nicht richtig begonnen, da spricht sich der Verteidiger Andreas Tinkl für eine richterliche Anordnung aus, Fotos des Angeklagten zu verpixeln. Er argumentiert nicht nur mit dem Schutz der Privatsphäre, sondern auch mit dem fortgeschrittenen Alter des Angeklagten, der „körperlich nicht in allzu blendender Verfassung“ sei. Das Gericht entscheidet, dass Bilder unkenntlich gemacht werden müssen. Der Angeklagte habe die Öffentlichkeit nicht selbst gesucht und lebe in einer kleinen Gemeinde, was eine Stigmatisierung befürchten lasse.
"Buchhalter von Auschwitz" Früherer SS-Mann Oskar Gröning offenbar gestorben
Johann R. will vor Gericht allerdings über seine Vergangenheit reden. Die Verteidigung hat eine Aussage angekündigt, zu welchem Zeitpunkt im Prozess er sich äußern wird, ist noch unklar. Der Angeklagte, so heißt es, brenne aber geradezu darauf, seine Geschichte zu erzählen.
https://www.tagesspiegel.de/
4.2.3 KZ-Sekretärin Irmgard F.
HAMBURG
NS-PROZESS
Nebenkläger und Verteidiger legen Revision gegen Stutthof-Urteil ein
Veröffentlicht am 28.12.2022 | Lesedauer: 3 Minuten
Der Bundesgerichtshof soll nun darüber befinden, ob in dem Verfahren gegen eine ehemalige Sekretärin des Konzentrationslagers Stutthof gegen Rechtsnormen verstoßen wurde. Erneut vor Gericht erscheinen muss die heute 97-Jährige aber nicht.
Nach Verurteilung einer ehemaligen Zivilangestellten des NS-Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung durch das Landgericht Itzehoe haben die Verteidigung und ein Nebenklagevertreter Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt. Wie das Landgericht Itzehoe am Mittwoch mitteilte, kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Die 3. Große Jugendkammer des Landgerichts Itzehoe hatte die inzwischen 97-jährige Irmgard F. am 20. Dezember wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen schuldig gesprochen.
Das Gesetz ist laut Landgericht Itzehoe verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (§ 337 StPO). Somit handelt es sich um eine reine Rechts- und keine Tatsacheninstanz. Der Bundesgerichtshof prüft, ob Verfahren ordnungsgemäß geführt wurden und das materielle Recht richtig angewendet worden ist. Eine erneute Beweisaufnahme erfolgt nicht.
Irmgard F. war laut Anklage von 1943 bis 1945 als Zivilangestellte in der Verwaltung des Lagers beschäftigt, wo sie als Sekretärin und Stenotypistin arbeitete. Da sie zu dieser Zeit zwischen 18 und 19 Jahren alt war, fand das Verfahren gegen sie vor einer Jugendkammer statt.
Die beiden Verteidiger hatten einen Freispruch für ihre Mandantin gefordert. Sie begründeten dies damit, dass nicht zweifelsfrei habe nachgewiesen werden können, dass Irmgard F. von den systematischen Tötungen im Lager gewusst habe. Die 97-Jährige hatte in ihrem sogenannten letzten Wort erklärt: „Es tut mir leid, was alles geschehen ist. Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen.“
Der Prozess hatte am 30. September 2021 begonnen. An den 40 Verhandlungstagen hatte das Gericht acht der zeitweise 31 Nebenkläger als Zeugen gehört. Die Überlebenden des Lagers berichteten vom Leiden und massenhaften Sterben in Stutthof.
Nach Überzeugung der Anklage hatte Irmgard F. mit ihrer Schreibarbeit dafür gesorgt, dass der Lagerablauf aufrechterhalten werden konnte. Sie sei durch ihre Arbeitsbereitschaft eine wichtige Unterstützung des Lagerkommandanten und seiner Adjutanten gewesen. Die Angeklagte hatte sich in dem Prozess nie zu den Vorwürfen gegen sie geäußert. Nach Erkenntnissen von Historikern kamen im KZ Stutthof rund 65.000 Menschen ums Leben. Unter den Gefangenen waren viele Juden.
„Die Angeklagte saß an der zentralen Schnittstelle“
„Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Angeklagte die Inhalte der von ihr selbst erstellten Texte wahrnahm“, hatte der Richter bei der Urteilsverkündung ausgeführt. „Die Angeklagte saß an der zentralen Schnittstelle; ihr ist nicht verborgen geblieben, was in Stutthof geschah.“ Tatsächlich arbeitete sie in direkter Nähe zum Gefangenenlager. Der Geruch von verbrannten Leichen war damals allgegenwärtig und sogar außerhalb des Lagers wahrzunehmen.
„Es ist schlicht außerhalb jeglicher Vorstellungskraft, dass sie das Sterben nicht bemerkt haben könnte“, sagt der Richter weiter. Und es sei „unvorstellbar“, dass sie nicht bemerkt habe, dass sich an diesen Umständen nichts änderte, diese sich sogar verschlimmerten und die „von ihr unterstützte Lagerleitung“ dies bewusst so betrieben habe. „Sie war keine unbeteiligte Bürgerin, sondern Hilfskraft genau für den Zweck, bei der Durchsetzung der im Lager angestrebten Ziele zu unterstützen.“
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Stutthof-Prozess : Zu viele Nazis ruhen in Frieden
Die KZ-Sekretärin Irmgard F. muss nicht in Haft. Ihr Prozess war sehr wahrscheinlich der letzte gegen Täter aus der NS-Zeit. Dabei wären Tausende weitere möglich gewesen.
Ein Kommentar von Manuel Bogner
20. Dezember 2022, 11:33 Uhr
So endet es also. Zwei Jahre Haft auf Bewährung: Das ist das Urteil, welches das Landgericht Itzehoe im Fall der 97-jährigen Irmgard F. gefällt hat. F. arbeitete bis 1945 als Sekretärin im Konzentrationslager Stutthof und hat sich nach Ansicht des Gerichts der Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen schuldig gemacht. Ein historisches Urteil. Denn es ist vermutlich das letzte gegen Täterinnen und Täter aus der NS-Zeit. Die Bundesrepublik hat jahrzehntelang die Chance verpasst, Tausende noch zu Lebzeiten vor Gericht zu bringen.
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Urteil gegen frühere KZ-Sekretärin
Im »Zentrum der Befehlskette«
Im Alter von 97 Jahren wurde sie verurteilt, weil sie im KZ Stutthof als Sekretärin arbeitete: Irmgard Furchner wusste nach Ansicht des Landgerichts Itzehoe von dem »gravierenden Unrecht«, das den Gefangenen dort widerfuhr.
Aus Itzehoe berichten Julia Jüttner und Fabian Hillebrand
20.12.2022, 16.15 Uhr
Angeklagte Irmgard Furchner am Tag der Urteilsverkündung im Gericht
Bild vergrößern
Angeklagte Irmgard Furchner am Tag der Urteilsverkündung im Gericht Foto: Christian Charisius / dpa
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Frühere KZ-Sekretärin vor Gericht
Warum ein Prozess auch 77 Jahre nach Kriegsende richtig ist
Ein Kommentar von Julia Jüttner
Nach 40 Verhandlungstagen fällt das Urteil: Das Verfahren gegen eine einstige KZ-Sekretärin zeigt, dass mutmaßliche NS-Verbrecher auch jetzt noch vor Gericht stehen müssen. Nicht für Vergeltung, sondern für die Zukunft.
19.12.2022, 10.19 Uhr • aus DER SPIEGEL 51/2022
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Stutthof-Prozess
:Dieses Urteil kommt spät - aber nicht zu spät
von Sarah Tacke
Datum:
20.12.2022 19:49 Uhr
Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen: 77 Jahre nach ihren Taten wird die KZ-Sekretärin Irmgard F. verurteilt. Das ist zwar spät, aber richtig und wichtig - ein Kommentar.
Jetzt, fast 80 Jahre nach Kriegsende, eine Frau zu verurteilen, die als Sekretärin in einem Konzentrationslager gearbeitet hat - ist das gut?
Ganz klar: Nein. Gut wäre gewesen, den Mördern und Helfern vor 50, 60, 70 Jahren den Prozess zu machen. Gut wäre gewesen, die Verbrecher aus der ersten Reihe vorneweg zu verurteilen.
Maschinerie des Massenmords
Aber trotzdem ist der Prozess, in dem die Schuld der heute 97-Jährigen geklärt wurde, richtig und wichtig. Denn es waren auch die kleinen Rädchen, die die große Maschinerie des Massenmords möglich gemacht haben. Auch die damals 18-Jährige musste nicht mit ihrer Schreibarbeit das Morden unterstützen. Sie hatte immer die Wahl. Hätte sich zumindest versetzen lassen können. Das haben Sachverständige auch in diesem Prozess wieder bestätigt.
Wer mitgemacht hat, wer das Morden unterstützt hat, hat sich schuldig gemacht. Auch im juristischen Sinn. Mord ist fast die einzige Straftat, die niemals verjährt. Genau aus diesem Grund, damit Verbrechen der Nazis auch Jahrzehnte später noch bestraft werden können.
Prozess zeigt Versäumnisse der deutschen Justiz
Dieser Prozess zeigt, was die deutsche Justiz und die deutsche Gesellschaft über Jahrzehnte versäumt hat. Und er stellt klar, dass auch diejenigen die einen vergleichsweise kleinen Beitrag geleistet haben, für das Morden mitverantwortlich sind.
Ja, dieses Urteil kommt sehr, sehr spät. Und löst deshalb auch Ablehnung aus: Eine Frau, die mitleidserweckend alt ist und die eine vergleichsweise kleine Schuld auf sich geladen hat, wird verurteilt. Man kann es als Show-Prozess abtun. Aber das wäre leichtfertig. Denn dieser Prozess hat die Verbrechen von damals wieder ins Hier und Jetzt geholt.
Mit einer Angeklagten, die bis zuletzt keine Reue gezeigt hat, nur unverbindliche Worte des Bedauerns am letzten Verhandlungstag vortrug. Genau wie viele Täter, Helfer und Mitläufer, die sich nie schuldig gefühlt haben. Dieses Verfahren zeigt vor allem eins: Es ist nie zu spät, das Richtige zu tun.
Sarah Tacke ist Leiterin der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/
SCHULDSPRUCH IN NS-PROZESS
„Genickschussanlage“ und „Probevergasung“ – Der Richter spricht die Wörter immer wieder aus
Veröffentlicht am 20.12.2022 | Lesedauer: 6 Minuten
Von Frederik Schindler
Politikredakteur
Irmgard Furchner wird wegen Beihilfe zum Mord zu zwei Jahren Bewährungsstrafe verurteilt
Quelle: pa/dpa/dpa/Pool/Christian Charisius
Das Landgericht Itzehoe schreibt Rechtsgeschichte und spricht erstmals eine Zivilangestellte eines Konzentrationslagers schuldig. Die damalige Chefsekretärin habe das Geschehen im KZ Stutthof vorsätzlich gefördert. „Geradezu lehrbuchartig“ sei das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt.
https://www.welt.de/
NS-PROZESSE
Meinung: Ein historisches Urteil in einem der letzten NS-Prozesse
Für ihre Tätigkeit als Sekretärin im Konzentrationslager Stutthof wurde Irmgard F. nun verurteilt. Luisa von Richthofen, die den Prozess für die DW begleitet hat, sieht in dem milden Urteil dennoch Gerechtigkeit.
Datum 20.12.2022
Autorin/Autor Luisa von Richthofen
Es ist kein ganz normaler Tag im ansonsten recht normalen Städtchen Itzehoe. Dort fiel an diesem Dienstag um kurz nach zehn Uhr das Urteil in einem der letzten NS-Prozesse: Irmgard F., 97 Jahre alt, wurde zu einer Strafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Der Vorwurf lautet: Beihilfe zum Mord in Tausenden von Fällen.
Frau F. war in ihrer Jugend Schreibkraft im Konzentrationslager Stutthof. Als Sekretärin des Lagerkommandanten hat sie dazu beigetragen, dass die Tötungsmaschinerie reibungslos lief. Dafür musste sie sich nun verantworten. Das Urteil ist für mich historisch.
Eines der letzten Verfahren dieser Art
Das hat erstmal damit zu tun, dass mit Frau F. eines der letzten Glieder einer langen Kette von Tätern und Mittätern des Massenmordes an den europäischen Juden vor Gericht stand. Sie ist auch die erste Zivilangestellte (d.h. das erste nicht SS-Mitglied), der ein solcher Prozess gemacht wurde. Damit zeigt die deutsche Justiz endlich deutlich: Jeder und jede, der oder die sich in der NS-Zeit am Funktionieren des Lagersystems beteiligt hat, muss dafür eines Tages geradestehen.
Luisa von Richthofen
DW-Redakteurin Luisa von Richthofen
Zweitens wird durch das Urteil mehr über Stutthof bekannt. Derartige Verfahren ziehen immer auch umfassende Ermittlungen mit sich. In den gut 14 Monaten seit Prozessbeginn sind die Akten erheblich angeschwollen. 14 Zeuginnen und Zeugen sagten aus, davon acht, die selbst Überlebende des KZ-Stutthof sind. Manche traten mit ihrer Geschichte zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. All das ist keine juristische Papierschieberei. Es sind wichtige historische Zeugnisse und Erkenntnisse.
Was es den Hinterbliebenen bedeutet
Dieser Prozess hat drittens gerade für die Hinterbliebenen möglicherweise eine heilende Wirkung. Hier, vor einem deutschen Gericht, werden ihr Leid und ihre schrecklichen Erfahrungen im Lager anerkannt. Darauf haben manche ihr Leben lang warten müssen. Sie haben mir persönlich von der Not und den Selbstzweifeln erzählt, die sie über Jahre quälten, bis sie sich gar nicht mehr sicher waren, ob das Grauen der Lager nicht ein schlimmer Traum war. Das hat nun ein Ende. Zum Glück.
Letztens besteht vielleicht die Hoffnung, dass dieses Signal auch ein weltweiter Weckruf und eine Warnung ist. Und dass sich die Täter von Butscha (Ukraine), Mai Kadra (Äthiopien) oder Aleppo (Syrien) nicht mehr so straffrei durch die Welt bewegen können.
Viele Fragen bleiben offen
Ich habe in Gesprächen immer wieder Zweifel wahrgenommen, die auch ich bis zu einem gewissen Punkt teile. Fragen drängen sich auf: Warum erst jetzt, nach 78 Jahren? Warum haben sogar die späten Ermittlungen gegen Irmgard F. noch vier Jahre gedauert? Was macht eine kleine Nummer wie sie, eine alte Frau, zu einem Symbol des Mordsystems? Warum zerrt man eine Greisin ins grelle Licht der Weltöffentlichkeit, während ein wirklicher Täter, wie ihr Chef Lagerkommandant Paul Werner Hoppe, nach drei Jahren Zuchthaus aus dem Gefängnis kam? Wie viele andere NS-Verbrecher führte er von da an ein ungestörtes Leben in der neuen Bundesrepublik.
Video abspielen4:11 min
Stutthof-Überlebender: "Die größten Fische hat man laufen lassen"
Diese Fragen kann und muss man sich stellen. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass mit dem recht milden Urteil der Gerechtigkeit dann doch Genüge getan wurde. Und das ist, bei allen Zweifeln, doch ein Lichtblick in diesen dunklen Tagen.
AUDIO UND VIDEO ZUM THEMA
Prozess gegen frühere KZ-Sekretärin beginnt >>>
Datum 20.12.2022
Autorin/Autor Luisa von Richthofen
https://www.dw.com/de/
Zu viele Nazis ruhen in Frieden
Die KZ-Sekretärin Irmgard F. muss nicht in Haft. Ihr Prozess war sehr wahrscheinlich der letzte gegen Täter aus der NS-Zeit. Dabei wären Tausende weitere möglich gewesen.
Ein Kommentar von Manuel Bogner
20.12.2022, 11:33 Uhr
So endet es also. Zwei Jahre Haft auf Bewährung: Das ist das Urteil, welches das Landgericht Itzehoe im Fall der 97-jährigen Irmgard F. gefällt hat. F. arbeitete bis 1945 als Sekretärin im Konzentrationslager Stutthof und hat sich nach Ansicht des Gerichts der Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen schuldig gemacht. Ein historisches Urteil. Denn es ist vermutlich das letzte gegen Täterinnen und Täter aus der NS-Zeit. Die Bundesrepublik hat jahrzehntelang die Chance verpasst, Tausende noch zu Lebzeiten vor Gericht zu bringen....
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-12/
Stutthof-Prozess
Gericht spricht frühere KZ-Sekretärin schuldig
Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen: Das Landgericht Itzehoe hat die einstige KZ-Sekretärin Irmgard Furchner schuldig gesprochen und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
20.12.2022, 14.03 Uhr
Das Landgericht im schleswig-holsteinischen Itzehoe hat eine frühere Sekretärin des NS-Konzentrationslagers (KZ) Stutthof zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Das Gericht sprach die inzwischen 97-jährige Irmgard Furchner am Dienstag der Beihilfe zum Mord in Tausenden Fällen schuldig.
Nach Feststellung der Strafkammer war die Angeklagte von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur von Stutthof bei Danzig tätig. Damit habe sie den Verantwortlichen des Konzentrationslagers bei der systematischen Tötung von Inhaftierten Hilfe geleistet.
Weil sie zur Tatzeit erst 18 bis 19 Jahre alt war, fand der Prozess vor einer Jugendkammer statt. Diese folgte mit ihrem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die 15 Nebenklagevertreter schlossen sich zum großen Teil der Strafforderung der Staatsanwaltschaft an. Einer von ihnen hat sich jedoch gegen eine Bewährungsstrafe ausgesprochen.
Die beiden Verteidiger hatten hingegen einen Freispruch für ihre Mandantin gefordert. Sie begründeten dies damit, dass nicht zweifelsfrei habe nachgewiesen werden können, dass die Angeklagte von den systematischen Tötungen im Lager gewusst habe.
Die 97-Jährige hatte in ihrem sogenannten letzten Wort erklärt: »Es tut mir leid, was alles geschehen ist und ich bereue, dass ich zu der Zeit in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen.«
40 Verhandlungstage
Im Lager Stutthof bei Danzig hatte die SS während des Zweiten Weltkriegs mehr als hunderttausend Menschen unter erbärmlichen Bedingungen gefangen gehalten, darunter viele Juden. Etwa 65.000 starben nach Erkenntnissen von Historikern. Das Lager war berüchtigt für die absichtlich völlig unzureichende Versorgung der Gefangenen. Die meisten Menschen starben an Seuchen, Entkräftung und Misshandlung. Es gab jedoch auch eine Gaskammer und eine Genickschussanlage.
Der Prozess hatte am 30. September 2021 begonnen. An den 40 Verhandlungstagen hörte das Gericht acht der zeitweise 31 Nebenkläger als Zeugen. Die Überlebenden des Lagers berichteten vom Leiden und massenhaften Sterben in Stutthof. Wichtigster Zeuge war jedoch der historische Sachverständige Stefan Hördler, der sein Gutachten in 14 Sitzungen vorstellte. Die Verteidigung hatte einen Befangenheitsantrag gegen ihn gestellt, den das Gericht aber ablehnte.
Die Angeklagte hatte sich anfangs dem Verfahren nicht stellen wollen. Am ersten Verhandlungstag verschwand sie frühmorgens aus ihrem Seniorenheim in Quickborn (Kreis Pinneberg). Die Polizei griff sie Stunden später auf einer Straße in Hamburg auf. Das Gericht erließ einen Haftbefehl. Die damals 96-Jährige verbrachte fünf Tage in Untersuchungshaft. Erst ganz zum Schluss des Prozesses brach sie ihr Schweigen.
Es ist möglicherweise der letzte Prozess in Deutschland wegen NS-Verbrechen gewesen. Ende Juni 2022 hatte das Landgericht Neuruppin einen ehemaligen Wachmann des KZ Sachsenhausen wegen Beihilfe zum Mord an Tausenden Häftlingen zu fünf Jahren Haft verurteilt. Fünf weitere Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche NS-Täter sind nach Angaben der Zentralstelle in Ludwigsburg (Baden-Württemberg) bei den Staatsanwaltschaften anhängig, davon jeweils eins bei den Behörden in Erfurt, Coburg und Hamburg sowie zwei in Neuruppin.
Die Justiz muss in diesen Fällen ermitteln, weil es um Beihilfe zum Mord geht. 1979 hatte der Bundestag die Verjährung von Mord und Beihilfe zum Mord endgültig aufgehoben. Das bedeutet, dass sich Tatverdächtige bei Verhandlungsfähigkeit bis ins hohe Alter einem Verfahren stellen müssen.
wit/AFP/dpa
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Prozess gegen KZ-Sekretärin
Warum das späte Urteil wichtig ist
Stand: 20.12.2022 15:20 Uhr
Eine ehemalige Sekretärin im NS-Konzentrationslager Stutthof ist wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 10.500 Fällen schuldig gesprochen worden. Warum die Aufarbeitung erst jetzt erfolgt - und dennoch wichtig ist.
Von Michael-Matthias Nordhardt und Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion
Wie lautet das Urteil? Das Landgericht Itzehoe hat die Angeklagte wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen und wegen Beihilfe zum versuchten Mord in weiteren fünf Fällen verurteilt. Die Taten wurden im NS-Konzentrationslager Stutthof östlich von Danzig begangen. Zwischen Juni 1943 und April 1945 sei die Frau Stenotypistin in der Lagerkommandatur gewesen. Nach Überzeugung des Gerichts habe sie "willentlich unterstützt, dass Gefangene durch Vergasungen, durch lebensfeindliche Bedingungen im Lager, durch Transporte in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und durch Verschickung auf sogenannte Todesmärsche" grausam getötet wurden.
Wichtig ist: Ihr war nicht vorgeworfen worden, dass sie selbst gemordet habe - nicht, dass sie etwa selbst auf Menschen geschossen oder die Gaskammern im Lager bedient habe. Aber: Sie soll zu den Schreckenstaten im KZ Hilfe geleistet haben. In der Pressemitteilung des Landgerichts heißt es dazu: "Die Förderung dieser Taten durch die Angeklagte erfolgte durch die Erledigung von Schreibarbeit in der Kommandantur. Diese Tätigkeit war für die Organisation des Lagers und die Durchführung der grausamen, systematischen Tötungshandlungen notwendig." Zum damaligen Zeitpunkt war die Angeklagte 18 bzw. 19 Jahre alt. So ist es zu erklären, dass das Gericht eine Jugendstrafe verhängt hat. Diese wurde zur Bewährung ausgesetzt. Was ist mit einer Verjährung? Für viele Straftaten, die die Menschen in den Lagern erlitten haben, kann heute niemand mehr strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Hunderttausende Freiheitsberaubungen etwa, zahllose Misshandlungen aller Art, Raubtaten - all das ist schon seit Jahrzehnten verjährt. Aber: Mord verjährt nicht. Und auch Beihilfe zum Mord verjährt nicht. Deshalb sind Verurteilungen auch heute, mehr als 75 Jahre später, noch möglich.
Warum ist eine Verurteilung 75 Jahre später wichtig? "Mord verjährt nicht" - damit wird deutlich: Einen Schlussstrich sieht unser Rechtssystem für solche Fälle nicht vor. Diese Grundentscheidung sei gerade vor dem Hintergrund der NS-Verbrechen getroffen worden, erklärt Thomas Will im Podcast "Die Justizreporter*innen" der ARD-Rechtsredaktion. Der Jurist leitet die "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen". Die Ludwigsburger Behörde sorgt mit ihren Ermittlungen dafür, dass die Akteure von damals auch heute noch vor Gericht gestellt werden. Im Strafrecht geht es auch darum, Rechtsfrieden wiederherzustellen. Dafür können solche Prozesse wichtige Beiträge leisten. Das bestätigen auch Hinterbliebene der Ermordeten immer wieder, wenn sie heute an Verfahren gegen die Helfer von damals teilnehmen. Warum gab es direkt nach dem Krieg kaum solche Verfahren? In den Jahren nach 1945 herrschte in der Bundesrepublik eine Art "Schlussstrich-Mentalität", eine Tendenz, eher vergessen als aufarbeiten zu wollen. Ein wichtiger Schritt hin zu mehr Aufarbeitung waren die Auschwitz-Prozesse am Landgericht Frankfurt ab 1963 - initiiert vom Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Ein generelles Umdenken war damit aber nicht verbunden. Später in den 1960er-Jahren entschied der Bundesgerichtshof in Bezug auf Auschwitz: Um das Lagerpersonal von damals wegen Beihilfe zu bestrafen, müsse man den Männern und Frauen konkret nachweisen, welche Morde sie gefördert hätten. Im Kontext der Massenmorde in den Konzentrationslagern eine quasi unlösbare Aufgabe. Deshalb wurden in den folgenden Jahrzehnten viele Verfahren gegen die "kleineren Rädchen" in der Nazi-Tötungsmaschinerie von den Staatsanwaltschaften eingestellt.
Warum sind heute diese Verfahren und Urteile möglich?Eine Art Wende brachte erst das Urteil gegen John Demjanjuk aus dem Jahr 2011. Das Landgericht München entschied: Allein die Anwesenheit des Lageraufsehers Demjanjuk im Vernichtungslager Sobibor und seine Kenntnis von den Morden reichen aus, um ihn wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen.Demjanjuk starb allerdings, bevor sich der Bundesgerichtshof (BGH) als oberstes Strafgericht mit der neuen Linie befassen konnte. 2016 bestätigten die Karlsruher Richterinnen und Richter sie aber im Fall von Oskar Gröning, dem sogenannten Buchhalter von Auschwitz - und zwar nicht nur für reine Vernichtungslager, sondern auch für Konzentrationslager. Wie hat der BGH den wichtigen Gröning-Beschluss begründet?Die zentrale Aussage lautet: Auch die "kleineren Rädchen" haben eine zentrale Rolle beim Völkermord an den Juden gespielt. Für die Nazis sei ein "organisierter Tötungsapparat" mit eingespielten Abläufen Voraussetzung gewesen, um in kürzester Zeit Tausende Morde zu begehen. Wörtlich heißt es im BGH-Beschluss: "Nur weil ihnen eine derart strukturierte und organisierte 'industrielle Tötungsmaschine' mit willigen und gehorsamen Untergebenen zur Verfügung stand, waren die nationalsozialistischen Machthaber in der Lage, die 'Ungarn-Aktion' anzuordnen." Im Rahmen der "Ungarn-Aktion" wurden ungarische Juden massenhaft vor allem nach Auschwitz deportiert. Die rechtliche Bewertung aus dem Gröning-Beschluss dürfte auch im aktuellen Verfahren in Itzehoe eine wichtige Rolle gespielt haben.
Gibt es weitere Ermittlungen? Seit der Entscheidung gibt es immer wieder Prozesse und Urteile gegen ehemalige KZ-Mitarbeiter und KZ-Mitarbeiterinnen: 2016 etwa gegen den Auschwitz-Wachmann Reinhold Hanning oder 2020 gegen Bruno Dey, einen ehemaligen Wachmann im KZ Stutthof. Vor dem Landgericht Neuruppin wurde im Juni 2022 ein ehemaliger KZ-Wachmann zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Ermittlungen der "Zentralen Stelle" in Ludwigsburg laufen weiter. Allerdings werden sie wegen des hohen Alters der möglichen Täterinnen und Täter immer mehr zu einem Wettlauf gegen die Zeit.Wie lief die Aufarbeitung in der DDR? Nach dem Krieg wurde die Entnazifizierung in der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR zunächst besonders rigoros betrieben - was Polizei, Justiz und innere Verwaltung anging. Der Antifaschismus galt als eine der Hauptsäulen der DDR-Staatsideologie. Er wurde nach innen und außen propagiert - auch, um sich als den besseren der beiden deutschen Staaten zu präsentieren. Heute ist allerdings bekannt: DDR-Bürgern soll pauschal Absolution erteilt worden sein, wenn sie sich im Gegenzug dem Sozialismus zuwendeten. Ebenso wurden in der DDR lebende NS-Täter wohl nicht konsequent vor Gericht gebracht.
Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 20. Dezember 2022 um 15:00 Uhr.
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Urteil im Stutthof-Prozess: Zwei Jahre auf Bewährung
Stand: 20.12.2022 13:20 Uhr
Am Dienstag ist am Itzehoer Landgericht ein historischer Prozess zu Ende gegangen. Die ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof Irmgard F. wurde zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren Haft zur Bewährung verurteilt. Der Vorwurf lautete: Beihilfe zum Mord in Tausenden Fällen.
Nach insgesamt 40 Verhandlungstagen am Itzehoer Landgericht wurde die Angeklagte Irmgard F., ehemalige Sekretärin im Konzentrationslager Stutthof, schuldig gesprochen. Der Richter hat die 97 Jahre alte Frau zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt - wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen sowie Beihilfe zum versuchten Mord in fünf Fällen.
Verurteilung nach Jugendstrafrecht
Mittlerweile lebt die Rentnerin in einem Altenheim im Kreis Pinneberg. Von dort aus wurde sie am Dienstag zur Urteilsverkündung gebracht.
Da Irmgard F. zum Zeitpunkt der Tat zwischen 18 und 19 Jahren alt war, wurde gegen sie eine Jugendstrafe verhängt. Von 1943 bis 1945 hatte die heute 97-Jährige im KZ Stutthof bei Danzig als Schreibkraft gearbeitet. Dort soll die Sekretärin in der Kommandantur von den Vorgängen im Lager gewusst haben.
Keine Zweifel an der Schuld
Für die Kammer ist ausgeschlossen, dass die Angeklagte währenddessen nichts von den systematischen Morden gewusst haben soll. Da die Tötungen in Konzentrationslagern systematisch waren, hätten sie viel Schriftverkehr und Bürokratie erfordert - Aufgaben, für die die Angeklagte als einzige Schreibkraft des Lagerchefs verantwortlich war.
AUDIO: Stutthof-Prozess: "Wir sind es den Opfern und Angehörigen schuldig" (7 Min)
So hat sie laut Gericht zum Beispiel die Todesmärsche aus dem Lager Anfang 1945 schriftlich mitorganisiert. Gaskammer und Krematorium hatte die Angeklagte laut Kammer von ihrem Arbeitsplatz zwar nicht direkt im Blick - dagegen aber die Wege dorthin und auch den Sammelplatz, auf dem die Gefangenen ankamen.
Verteidigung könnte Revision einlegen
Während der Urteilsverkündung gab sich die Angeklagte regungslos. Ihr Anwalt sagte im Anschluss an die Urteilsbegründung, dass er nicht einverstanden sei mit dem Schuldspruch: "Wir wollen das schriftliche Urteil lesen und uns damit auseinandersetzen. Wir haben gemeint, dass man der Angeklagten den verbleibenden Zweifel zu Gute halten muss und halten eine solche Verurteilung nicht für richtig." Ob man Revision einlegen werde, wolle die Verteidigung noch prüfen.
Aufwendige Ermittlungsarbeit unter erschwerten Bedingungen
In gut 14 Monaten schwollen die Prozessakten auf ungefähr 3.600 Seiten an. Dazu kam ein USB-Stick mit etwa 2.000 Vernehmungsprotokollen. 14 Zeuginnen und Zeugen wurden gehört, acht davon selbst Überlebende des KZ Stutthof. Alle berichteten über ihre Leidenszeit im Lager.
Im März und April dieses Jahres musste der Prozess fünf Wochen pausieren, weil die Angeklagte krank war. Damals befürchteten vor allem die Überlebenden und deren Anwälte, dass Irmgard F. nicht mehr in den Verhandlungssaal zurückkehren würde. Doch sie wurde wieder gesund und der Prozess wurde am 26. April fortgesetzt.
Außerdem warf die Verteidigung der Nebenklägerinnen und Nebenkläger der Staatsanwaltschaft vor, dass die Anklageerhebung zu lange auf sich habe warten lassen. Die Unterlagen mit den Voruntersuchungen zum Fall waren bereits am 11. Juli 2016 an die Staatsanwaltschaft Itzehoe geschickt worden. Das anschließende Ermittlungsverfahren dauerte vier Jahre. Erst am 27. Januar 2021 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Sechs Nebenklägerinnen und Nebenkläger waren in der Zwischenzeit verstorben.
Die Staatsanwaltschaft erklärte, dass die Ermittlungen im Fall Irmgard F. viel aufwendiger gewesen seien als in Fällen, in denen es beispielsweise um Wachmänner ging. Es habe nie zuvor einen Prozess gegen Zivilangestellte gegeben.
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 20.12.2022 | 12:00 Uhr
https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/
Beihilfe zum Mord – Zweijährige Bewährungsstrafe für frühere KZ-Sekretärin
Stand: 20.12.2022
Von Juni 1943 bis April 1945 arbeitete Irmgard F. als Sekretärin im KZ Stutthof. 77 Jahre später nun der Schuldspruch: Das Landgericht Itzehoe verurteilte sie wegen Beihilfe zum Mord in tausenden Fällen zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe.
Nach 40 Verhandlungstagen im Prozess gegen eine frühere Sekretärin im KZ Stutthof hat das Landgericht Itzehoe am Dienstag das Urteil verkündet. Angeklagt war die 97 Jahre alte Irmgard F. Ihr wird Beihilfe zum heimtückischen und grausamen Mord in mehr als 10.000 Fällen vorgeworfen.
Die Angeklagte habe demnach von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur von Stutthof bei Danzig gearbeitet und damit den Verantwortlichen des Konzentrationslagers bei der systematischen Tötung von Inhaftierten Hilfe geleistet haben. Weil sie zur Tatzeit erst 18 bis 19 Jahre alt war, lief der Prozess vor einer Jugendkammer.
Die Staatsanwaltschaft hatte die Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung beantragt. Die Verteidigung hatte Freispruch gefordert. Die 15 Nebenklagevertreter hatten sich zum großen Teil der Strafforderung der Staatsanwaltschaft angeschlossen. Einer von ihnen hatte sich jedoch gegen eine Bewährungsstrafe ausgesprochen.
Erst ganz zum Schluss brach sie ihr Schweigen
„Die im 98. Lebensjahr stehende Angeklagte hat ihre gerichtliche Schuldig-Sprechung wegen Beihilfe zum mehrtausendfachen Mord erhalten. Mehr kann staatliches Strafrecht inhaltlich nicht leisten“, erklärte Rechtsanwalt Hans-Jürgen Förster, der vier Stutthof-Überlebende als Nebenkläger vertrat.
Seit Beginn des Prozesses am 30. September 2021 hatte das Gericht acht der zeitweise 31 Nebenkläger angehört, meist über eine Videoverbindung in die USA, Israel oder Polen. Sie berichteten vom Leiden und massenhaften Sterben in Stutthof. Wichtigster Zeuge war jedoch der historische Sachverständige Stefan Hördler, der sein Gutachten in 14 Sitzungen vorstellte. Die Verteidigung stellte einen Befangenheitsantrag gegen ihn, den das Gericht aber ablehnte.
Die Angeklagte wollte sich anfangs dem Verfahren nicht stellen. Am ersten Verhandlungstag verschwand sie frühmorgens aus ihrem Seniorenheim in Quickborn (Kreis Pinneberg). Die Polizei griff sie Stunden später auf einer Straße in Hamburg auf. Das Gericht erließ einen Haftbefehl. Die damals 96-Jährige verbrachte fünf Tage in Untersuchungshaft und musste danach wochenlang ein elektronisches Armband tragen.
Erst ganz zum Schluss des Prozesses hatte sie ihr Schweigen gebrochen. „Es tut mir leid, was alles geschehen ist“, sagte sie in ihrem letzten Wort. Die 97-Jährige fügte hinzu: „Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen.“
AFP/dpa/mre/ll
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Stutthof: Ein Prozess, der nachhängt
Stand: 20.12.2022 20:33 Uhr
Vor dem Itzehoer Landgericht ist am Dienstag das Urteil gegen eine ehemalige KZ-Sekretärin gefallen. Wir blicken auf den letzten Tag eines historischen Prozesses.
von Hannah Böhme
Wirklich einladend ist die Außenstelle des Landgericht Itzehoes (Kreis Steinburg) nicht: Grau hängen die Wolken über dem Gelände des Logistikunternehmens, das als Verhandlungsort für den sogenannten Stutthof-Prozess dient. Trotzdem finden sich ab etwa kurz vor neun immer mehr Menschen vor dem Drehtor ein, um bei der Urteilsverkündung gegen die 97-Jährige dabei sein zu können. Darunter zahlreiche Kamerateams, Journalistinnen und Journalisten, nicht nur aus Deutschland, sondern beispielsweise auch aus Großbritannien. Und auch viele Privatleute: Prozessbeobachter, die schon bei einigen Verhandlungsterminen dabei waren und auch eine Gruppe von jungen Rechtsreferendaren aus Itzehoe.
Fast alle Plätze besetzt
Am Ende sind es so viele, dass im Zuschauer- und Pressebereich im Verhandlungssaal kaum noch einer der insgesamt knapp 100 Plätze frei ist. Abgetrennt durch eine Plexiglasscheibe sehen sie, wie um etwa 10 Uhr zunächst die ersten Vertreterinnen und Vertreter der Nebenklage ihre Plätze einnehmen, dann die Staatsanwältin und die beiden Verteidiger. Und sie sehen, wie auch Irmgard F. ein letztes Mal in ihrem Rollstuhl sitzend in den Verhandlungssaal geschoben wird. Von ihrem Gesicht ist dabei nicht viel zu erkennen. Sie trägt einen weißen Hut, eine Brille und eine FFP2-Maske.
AUDIO: Stutthof-Prozess: "Wir sind es den Opfern und Angehörigen schuldig" (7 Min)
Doch nicht ihr Auftritt, sondern erst die Durchsage "Bitte alle eintreten" sorgt dafür, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer zur Ruhe kommen. Wenig später erheben sich alle, als die Richter um Dominik Groß den Saal betreten. Von diesen Momenten dürfen Fotografen und Kameraleute noch Aufnahmen machen - vor der Plexiglasscheibe herrscht Gewusel - dann müssen sie den Saal verlassen. Erwartungsvolle Anspannung auf das Urteil macht sich breit, das Richter Groß nach über 14 Monaten Prozess gleich sprechen wird: Schuldig wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen. Zwei Jahre Jugendstrafe auf Bewährung. Im Saal bleibt es ruhig. Dann verliest Groß etwa eine Stunde lang die Urteilsbegründung. Im Saal herrscht weiter Stille, sowohl bei den Zuschauerinnen und Zuschauern als auch bei den zahlreichen Nebenklagevertreterinnen und -vertretern, die an fünf Tischreihen auf der rechten Saalseite sitzen.
Irmgard F. hört konzentriert aber regungslos zu
Auch Irmgard F. zeigt kaum eine Regung. Ihre Maske setzt sie zwischendurch ab. Aber aus ihrem Gesicht lässt sich nicht ablesen, was sie denkt oder fühlt. Konzentriert, aber regungslos hört sie zu. Ins Gefängnis muss sie nicht. Sie muss das Gericht in den kommenden zwei Jahren aber über jeden Wohnortswechsel informieren und muss straffrei bleiben. Hat sie dieses Urteil erwartet? Das weiß wohl nur sie selbst.
Dann beendet Richter Groß die Urteilsbegründung und damit die Hauptverhandlung in diesem historischen Prozess. Der Startschuss für das wieder trubelige Treiben der Journalistinnen und Journalisten. Die Kameraleute und Fotografen sind zurück im Saal. Es ist Zeit Anwälte, Staatsanwältin und Nebenklagevertreterinnen und -vertreter zu interviewen. Was denken Sie über das Urteil, wie ordnen sie es ein? Sind sie zufrieden?.
Für die Journalistinnen und Journalisten kommt jetzt der Hauptteil ihres Arbeitstages: Fernseh- und Radioliveschalten, Texte schreiben für Online-Seiten und Zeitungen.
Währenddessen können die Prozessbeobachter, die privat da waren, das Gelände wieder verlassen. Aber egal ob aus beruflichen oder privaten Gründen: Das Urteil und der gesamte Prozess wird wohl allen noch nachhängen.
Dieses Thema im Programm:
Nachrichten für Schleswig-Holstein | 20.12.2022 | 20:00 Uhr
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Stutthof-Prozess – Gericht spricht frühere KZ-Sekretärin schuldig
DER SPIEGEL
Artikel von Jens Witte • 20.12.2022
Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen: Das Landgericht Itzehoe hat die einstige KZ-Sekretärin Irmgard Furchner schuldig gesprochen und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Das Landgericht im schleswig-holsteinischen Itzehoe hat eine frühere Sekretärin des NS-Konzentrationslagers (KZ) Stutthof zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Das Gericht sprach die inzwischen 97-jährige Irmgard Furchner am Dienstag der Beihilfe zum Mord in Tausenden Fällen schuldig.
Nach Festellung der Strafkammer war die Angeklagte von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur von Stutthof bei Danzig tätig. Damit habe sie den Verantwortlichen des Konzentrationslagers bei der systematischen Tötung von Inhaftierten Hilfe geleistet.
DER SPIEGEL fasst die wichtigsten News des Tages für Sie zusammen: Was heute wirklich wichtig war - und was es bedeutet. Ihr tägliches Newsletter-Update um 18 Uhr. Jetzt kostenfrei abonnieren.
Weil sie zur Tatzeit erst 18 bis 19 Jahre alt war, fand der Prozess vor einer Jugendkammer statt. Diese folgte mit ihrem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die 15 Nebenklagevertreter schlossen sich zum großen Teil der Strafforderung der Staatsanwaltschaft an. Einer von ihnen hat sich jedoch gegen eine Bewährungsstrafe ausgesprochen.
https://www.msn.com/de-de/nachrichten/panorama/
Stutthof-Prozess
Bewährungsstrafe für frühere KZ-Sekretärin
Stand: 20.12.2022 10:55 Uhr
Wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen hat das Landgericht Itzehoe eine ehemalige Sekretärin des NS-Konzentrationslagers Stutthof schuldig gesprochen. Sie bekommt zwei Jahre auf Bewährung.Das Landgericht im schleswig-holsteinischen Itzehoe hat eine frühere Sekretärin des NS-Konzentrationslagers (KZ) Stutthof bei Danzig zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.Beihilfe zum Mord in mehr als 10.500 FällenDas Gericht sprach die inzwischen 97-jährige Irmgard F. der Beihilfe zum Mord in mehr als 10.500 Fällen schuldig. F. hatte laut Anklage in den Jahren 1943 bis 1945 als Stenotypistin für den Kommandanten im KZ Stutthof gearbeitet. Sie war damals zwischen 18 und 19 Jahre alt. Deshalb fand das Verfahren gegen sie vor einer Jugendkammer statt. Diese folgte mit ihrem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft.
Verteidiger hatten Freispruch gefordert
Die beiden Verteidiger hatten hingegen einen Freispruch für ihre Mandantin gefordert. Sie begründeten dies damit, dass nicht zweifelsfrei habe nachgewiesen werden können, dass F. von den systematischen Tötungen im Lager gewusst habe.Die 97-Jährige hatte in ihrem sogenannten letzten Wort erklärt: "Es tut mir leid, was alles geschehen ist. Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen."
Prozess begann 2021
Der Prozess hatte am 30. September 2021 begonnen. An den 40 Verhandlungstagen hörte das Gericht acht der zeitweise 31 Nebenkläger als Zeugen. Die Überlebenden des Lagers berichteten vom Leiden und massenhaften Sterben in Stutthof.Wichtigster Zeuge war jedoch der historische Sachverständige Stefan Hördler, der sein Gutachten in 14 Sitzungen vorstellte. Die Verteidigung hatte einen Befangenheitsantrag gegen ihn gestellt, den das Gericht aber ablehnte.
Angeklagte wollte sich dem Verfahren nicht stellen
Die Angeklagte hatte sich anfangs dem Verfahren nicht stellen wollen. Am ersten Verhandlungstag verschwand sie frühmorgens aus ihrem Seniorenheim in Quickborn (Kreis Pinneberg). Die Polizei griff sie Stunden später auf einer Straße in Hamburg auf. Das Gericht erließ einen Haftbefehl. Die damals 96-Jährige verbrachte fünf Tage in Untersuchungshaft.Mehr als 65.000 Tote in KZ StutthofIm Lager Stutthof hatte die SS während des Zweiten Weltkriegs mehr als 100.000 Menschen unter erbärmlichen Bedingungen gefangen gehalten, darunter viele Juden. Etwa 65.000 starben nach Erkenntnissen von Historikern.Das Lager war berüchtigt für die absichtlich völlig unzureichende Versorgung der Gefangenen. Die meisten Menschen starben an Seuchen, Entkräftung und Misshandlung. Es gab jedoch auch eine Gaskammer und eine Genickschussanlage.
Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 20. Dezember 2022 um 11:00 Uhr.
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/
Stutthof-Prozess :Bewährungsstrafe für frühere KZ-Sekretärin
von Christoph Schneider
Datum:
20.12.2022 10:24 Uhr
Über ein Jahr dauerte der Prozess, nun ist das Urteil gegen die 97-jährige Irmgard F., Ex-Sekretärin im KZ Stutthof, gefallen. Vorwurf: Beihilfe zum Mord in über 10.000 Fällen.
"Es tut mir leid, was alles geschehen ist. Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen." Es sind die letzten Worte der Angeklagten Irmgard F. am 6. Dezember nach dem Plädoyer ihres Verteidigers – und gleichzeitig ihre einzigen im gesamten Prozess. Sie spricht leise, aber mit klarer Stimme. Lange mussten die Nebenkläger überhaupt auf Worte warten, denn über die gesamte Prozessdauer von einem Jahr und drei Monaten schwieg die Angeklagte.
Urteil: Zwei Jahre auf Bewährung
Nun ist das Urteil gefallen: Wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 10.500 Fällen hat das Landgericht Itzehoe die ehemalige Sekretärin im NS-Konzentrationslager Stutthof bei Danzig schuldig gesprochen. Die Strafkammer verurteilte die 97 Jahre alte Irmgard F. am Dienstag zu einer Strafe von zwei Jahren auf Bewährung.
Mit dem Urteil entsprach das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Die 15 Nebenklagevertreter hatten sich zum großen Teil der Strafforderung der Staatsanwaltschaft angeschlossen.
Die im 98. Lebensjahr stehende Angeklagte hat ihre gerichtliche Schuldig-Sprechung wegen Beihilfe zum mehrtausendfachen Mord erhalten. Mehr kann staatliches Strafrecht inhaltlich nicht leisten.
Hans-Jürgen Förster, Anwalt von vier Nebenklägern
Das erklärte Rechtsanwalt Hans-Jürgen Förster, der vier Stutthof-Überlebende als Nebenkläger vertrat.
Vorwurf: Beihilfe zum Mord in über 10.000 Fällen
Von Juni 1943 bis April 1945 soll sie als Schreibkraft in der Kommandantur des Konzentrationslagers gearbeitet haben. Durch ihre Tätigkeit habe sie den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von Gefangenen Hilfe geleistet, so lautete der Vorwurf. Als sie dort arbeitete war sie 18, behiehungsweise 19 Jahre alt. Der Strafprozess jetzt fand deshalb vor der 3. Großen Jugendkammer des Landgerichts (LG) Itzehoe statt.
Grausame Folter im Auftrag des KZ-Kommandanten
Dreißig Überlebende des KZ Stutthof und Angehörige von Getöteten nahmen als Nebenkläger am Prozess teil. Nach der Anklageverlesung kam Ende Oktober 2021 zunächst ein historischer Sachverständiger zu Wort, der Organisation und Struktur des Lagers Stutthof schilderte. Mehr als 60.000 Menschen wurden dort getötet. Die Insassen wurden gequält und grausam gefoltert; man ließ sie verhungern und erfrieren, weil die Kapazitäten für gezielte Tötungen nicht ausreichten. Alles, um den Auftrag des Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe, so viele Inhaftierte wie möglich zu töten, zu erfüllen.
Dann traten die Nebenkläger auf. Besonders eindrücklich die Schilderungen des KZ-Überlebenden Josef Salomonovic Anfang Dezember vergangenen Jahres, dessen Vater Erich 1944 im KZ Stutthof hingerichtet wurde. Ein Foto seines Vaters hatte er dabei und zeigte es der Angeklagten. "Sie soll etwas Konkretes sehen", sagte er nach seiner Zeugenaussage. "Sie ist indirekt schuldig, auch wenn sie im Büro gesessen hat."
Die Verteidigung forderte Freispruch
So sah es auch die Staatsanwaltschaft. Eine Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung forderte sie wegen Beihilfe zum heimtückischen Mord in 300, heimtückischen und grausamen Mord in 1.076 sowie grausamen Mord in 9.108 tateinheitlich verwirklichten Fällen und in weiteren fünf versuchten Fällen des grausamen Mordes.
Die Nebenkläger hatten sich in ihren Plädoyers der juristischen Bewertung der Ankläger weitgehend angeschlossen. Manche hielten auch eine höhere Strafe für richtig, stellten aber keinen Antrag auf Verhängung einer schärferen Strafe.
Dass Stutthof die Hölle war, konnte schon vorher nicht bezweifelt werden.
Wolf Moltenkin, Verteidiger von Irmgard F.
Die Haupttaten, also die tausendfachen Morde, würden nicht bestritten. Doch es könne nicht zweifelsfrei bewiesen werden, dass Irmgard F. um die systematischen Tötungen im KZ Stutthof gewusst habe. Damit könne der für eine Strafbarkeit erforderliche Vorsatz seiner Mandantin nicht nachgewiesen werden.
Keine Vertrauensbeziehung zu KZ-Kommandantur
Irmgard F. habe auch gegenüber Lagerkommandant Hoppe keine herausgehobene Vertrauensstellung gehabt – es habe mehrere Schreibkräfte im Geschäftszimmer der Kommandantur gegeben. Und die Möglichkeiten zur eigenen Wahrnehmung der Zustände im KZ seien für Irmgard F. sehr viel geringer als für einen Wachmann gewesen.
Christoph Schneider ist Redakteur in der Fachredaktion Recht & Justiz
https://www.zdf.de/
Urteil: Bewährungsstrafe für ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof
20.12.2022, 10:26 Uhr
Das Landgericht Itzehoe hat eine ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Richter stellten fest, dass die 97-jährige Angeklagte von 1943 bis 1945 Beihilfe zum Mord an über 10.000 Menschen leistete.
Von
Die ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof, Irmgard F., ist der Beihilfe zum Mord in über 10 000 Fällen schuldig. Das Landgericht verurteilte die 97-Jährige am Dienstag zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Nach Feststellung der Strafkammer war die Angeklagte von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur von Stutthof bei Danzig tätig. Damit habe sie den Verantwortlichen des Konzentrationslagers bei der systematischen Tötung von Inhaftierten Hilfe geleistet. Weil sie zur Tatzeit erst 18 bis 19 Jahre alt war, fand der Prozess vor einer Jugendkammer statt.
Mit dem Urteil entsprach das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Die 15 Nebenklagevertreter hatten sich zum großen Teil der Strafforderung der Staatsanwaltschaft angeschlossen.
40 Verhandlungstage und 31 Nebenkläger
"Die im 98. Lebensjahr stehende Angeklagte hat ihre gerichtliche Schuldig-Sprechung wegen Beihilfe zum mehrtausendfachen Mord erhalten. Mehr kann staatliches Strafrecht inhaltlich nicht leisten", erklärte Rechtsanwalt Hans-Jürgen Förster, der vier Stutthof-Überlebende als Nebenkläger vertrat.
Der Prozess hatte am 30. September 2021 begonnen. An den 40 Verhandlungstagen hörte das Gericht acht der zeitweise 31 Nebenkläger als Zeugen. Die Überlebenden des Lagers berichteten vom Leiden und massenhaften Sterben in Stutthof. Wichtigster Zeuge war jedoch der historische Sachverständige Stefan Hördler, der sein Gutachten in 14 Sitzungen vorstellte. Die Verteidigung hatte einen Befangenheitsantrag gegen ihn gestellt, den das Gericht aber ablehnte.
Zum Schluss das Schweigen gebrochen
Die Angeklagte hatte sich anfangs dem Verfahren nicht stellen wollen. Am ersten Verhandlungstag verschwand sie frühmorgens aus ihrem Seniorenheim in Quickborn (Kreis Pinneberg). Die Polizei griff sie Stunden später auf einer Straße in Hamburg auf. Das Gericht erließ einen Haftbefehl. Die damals 96-Jährige verbrachte fünf Tage in Untersuchungshaft.
Erst ganz zum Schluss des Prozesses hatte sie ihr Schweigen gebrochen. "Es tut mir leid, was alles geschehen ist", sagte sie in ihrem letzten Wort. Die 97-Jährige fügte hinzu: "Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen."
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Stutthof-Prozess - eine Chronologie der Ereignisse
Stand: 20.12.2022 11:35 Uhr
Die 97-Jährige ist wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen angeklagt. Sie hatte 1943 bis 1945 im KZ Stutthof bei Danzig als Schreibkraft gearbeitet. Dort soll die Sekretärin in der Kommandantur von den Vorgängen im Lager gewusst haben. Irmgard F. war nach Kriegsende nach Schleswig-Holstein gezogen und hatte hier weiter als Schreibkraft gearbeitet. Die Rentnerin lebt in einem Altenheim im Kreis Pinneberg. Wegen des großen Interesses an dem Prozess hat das Landgericht Itzehoe die Verhandlung in eine Halle eines Logistikunternehmens in der Stadt verlegt.
20. Dezember: Urteilsverkündung
Nach 40 Verhandlungstagen fällt am Landgericht Itzehoe das Urteil gegen die Angeklagte: Zwei Jahre Haft auf Bewährung. Die Jugendstrafkammer spricht sie in 10.505 Fällen der Beihilfe zum Mord und in fünf Fällen der Beihilfe zum versuchten Mord schuldig.
6. Dezember: Plädoyer der Verteidigung
Nachdem Staatsanwaltschaft und Nebenklage bereits plädiert hatten, folgt am Ende die Verteidigung. Verteidiger Wolf Molkentin erklärt, dass die Beweisaufnahme in dem seit über 14 Monaten andauernden Verfahren vor dem Landgericht Itzehoe wenig Konkretes erbracht habe. Die Angeklagte sei deswegen freizusprechen. Die Beschuldigte selbst äußert sich zum ersten Mal seit Prozessbeginn: "Es tut mir leid, was alles geschehen ist. Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen."
5. Dezember: Weitere Nebenklage-Plädoyers
Weitere Anwälte von Opfern und Überlebenden kommen zu Wort. Sie appellieren, die Angeklagte schuldig zu sprechen und ein gerechtes Strafmaß zu finden. Ein Anwalt fordert eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung.
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29. November: Plädoyers der Nebenklage
Die Anwälte der Nebenklage halten ihre Plädoyers. Darin fordern sie die Angeklagte unter anderem auf, sich doch noch zu den Vorwürfen zu äußern. Die Überlebenden und Angehörigen hätten ein Recht auf Antworten. Irmgard F. hat sich in Prozess bisher nicht geäußert.
22. November: Staatsanwaltschaft fordert zweijährige Bewährungsstrafe
Die Staatsanwaltschaft fordert eine Jugendstrafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung. Die 97-jährige Angeklagte habe durch ihre Arbeit in der Lagerverwaltung Beihilfe zum grausamen und heimtückischen Mord an mehr als 10.000 Menschen geleistet. Da sie zu dieser Zeit zwischen 18 und 19 Jahren alt war, wird Jugendstrafrecht angewendet. Staatsanwältin Maxi Wantzen beschreibt den Prozess als Verfahren "von herausragender historischer Bedeutung - vielleicht einer der letzten Prozesse dieser Art". Der Prozess wird am 29. November mit den Plädoyers der Nebenklage fortgesetzt.
21. November: Befangenheitsantrag gegen Sachverständigen
Der Verteidiger der Angeklagten stellt einen Befangenheitsantrag gegen den historischen Sachverständigen Stefan Hördler. Er begründet den Antrag unter anderem damit, dass Hördler in einer Doppelfunktion als Gutachter und Ermittler tätig gewesen sei. Außerdem habe er gegenüber der Staatsanwaltschaft Erwartungen zum Ergebnis seines Gutachtens geweckt, die sich dann als nicht haltbar erwiesen hätten. Staatsanwaltschaft und Nebenklagevertreter weisen den Antrag als unbegründet zurück. Der Vorsitzende Richter der Strafkammer kündigt eine Entscheidung über den Befangenheitsantrag zu einem späteren Zeitpunkt an. Außerdem weist die Strafkammer zwei weitere Anträge ab. Dabei geht es um Hördlers Rolle bei einer Inaugenscheinnahme des früheren Konzentrationslagers. Der Historiker hatte Anfang November zwei Richter bei einem Besuch der polnischen Gedenkstätte begleitet. Die Verteidigung stellt die Unbefangenheit des Gutachters dabei in Frage, die Nebenklagevertreter wollen die Bedenken durch eine erneute Ladung des Zeugen ausräumen.
15. November: Vorschlag der Anwendung des Jugendstrafrechts
Die Jugendgerichtshilfe schlägt vor, das Jugendstrafrecht anzuwenden. Grund ist, dass die Angeklagte zu Beginn der ihr vorgeworfenen Taten erst 18 Jahre alt war. Der Sozialpädagoge Josef Lux schließt nicht aus, dass es in der damaligen Gesellschaft zu Entwicklungsverzögerungen bei der Frau gekommen sei. Das erklärt er vor dem Itzehoer Landgericht. Die heute 97-Jährige sei aber nicht bereit gewesen, ein persönliches Gespräch mit ihm zu führen, eine Kontaktaufnahme sei gescheitert.
8. November: Gericht legt Vor-Ort-Bericht vor
Zum ersten Mal in der Geschichte sind die Beteiligten eines Prozesses zum KZ Stutthof in Polen gereist, um zu sehen, wie das Lager aufgebaut war und was genau Irmgard F. von ihrem Arbeitsplatz hätte sehen können. Trotz Widerspruch des Verteidigers wird der Bericht dazu vor der Strafkammer verlesen. Einer der Nebenklagevertreter erklärt, dass die Angeklagte sich als Sekretärin frei im Hauptgebäude bewegt und beispielsweise Akten ins Archiv gebracht hätte. Von dort aus seien Krematorium und Gaskammern klar zu sehen gewesen. Der Verteidiger der 97-Jährigen ehemaligen Schreibkraft legt Widerspruch gegen den Bericht ein. Er will nicht, dass er bei der Urteilsfindung eine Rolle spielen darf. Er hält den Besuch vor Ort für das falsche Mittel der Beweisfindung, vor allem weil nicht das gesamte Gericht vor Ort war und die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde.
27. September: Juristin: Anklage hätte viel früher geschehen können
Eine Juristin, die zwischen 2014 und 2016 zu dem Lager-Komplex Stutthof vorermittelt hatte, sagt aus, dass Irmgard F. und viele andere viel früher hätten angeklagt werden können. Dass die Angeklagte erst jetzt vor Gericht steht, sei ein juristisches, politisches und gesellschaftliches Versagen. Außerdem wird beschlossen, dass es zu einem Ortstermin in Stutthof kommen wird. Am 4. November werden sich zwei Richter und ein Historiker direkt vor Ort ein Bild machen und recherchieren.
13. September: Historiker: "Angeklagte hätte gehen können"
Der historische Sachverständige Stefan Hördler sagt erneut aus. Diesmal geht es um die Frage, ob die Angeklagte hätte kündigen können. Nach den Ausführungen des Historikers wäre das möglich gewesen. Demnach sei es ihre freie Entscheidung gewesen, in dem Lager zu arbeiten. Zudem erklärt der Gutachter, die Kommandantur sei "Drehscheibe" für alle Befehle gewesen - unter anderem für Bestellungen für das Gas Zyklon B. Dies soll belegen, dass die Angeklagte alles mitbekommen haben muss. Zudem kündigt der Vorsitzende Richter an, das das ehemalige Konzentrationslager Stutthof von Prozessbeteiligten besichtigt werden soll.
6. September: Letzter Zeuge der Nebenklage sagt aus
Als letzter Zeuge der Nebenklage wird der 92-Jährige Chaim Golani aus Israel befragt. Nach Angaben seines Anwalts war er 1944 in das Konzentrationslager Danzig verschleppt worden. Golani sagt zunächst, die Angeklagte habe "alles mit angesehen, sie hat uns verflucht und erniedrigt". Weiterhin gibt er an, Irmgard F. habe den Kommandanten im Lager begleitet, häufig SS-Uniform und Stiefel getragen. "Wir hatten Angst vor dieser Frau", so Golani. Später sagt der Zeuge jedoch auf Nachfrage des Richters, dass er die Angeklagte nie selbst gesehen oder mit ihr gesprochen habe.
23. August: ehemaliger KZ-Wachmann sagt erneut aus
Bruno Dey, der mit 17 Jahren als Wachmann im Konzentrationslager Stutthof beschäftigt war, sagt erneut vor dem Landgericht aus. Eine Stunde lang befragt die Nebenklage den heute 95-Jährigen. Sie wollen unter anderem wissen, ob er von seinem Wachturm aus die Kommandantur gesehen hat. Dey sagt, dass er das nicht mehr weiß und bleibt wie bei vielen anderen Fragen schmallippig. Allerdings sagt er aus, dass in dem Lager Unrecht geschehen sei. Er selbst sei bei einer Hinrichtung von drei Männern dabei gewesen. Ein Anwalt der Nebenklage sagt NDR Schleswig-Holstein: Wenn Bruno Dey gesehen hat, dass in dem Lager Unrecht geschehen sei, dann müsse die Angeklagte das eigentlich auch gesehen haben. Irmgard F. schweigt weiter zu den Vorwürfen.
28. Juni: Weiterer Überlebender sagt aus
Der 96-jährige Marek Dunin-Wasowicz ist per Videoverbindung aus Warschau zum Landgericht Itzehoe zugeschaltet. Er war im Mai 1944 zusammen mit seinem Bruder in das Konzentrationslager Stutthof gebracht worden, zuvor war Dunin-Wasowicz nach eigenen Angaben mit seiner Familie im polnischen Widerstand gegen die deutschen Besatzer aktiv. Er spricht von der "Krankheit der Gleichgültigkeit" unter den völlig ausgehungerten Gefangenen. Wenn sie mittags von der Arbeit zurück in das Lager bei Danzig gekommen seien, habe manchmal ein Galgen bereitgestanden. "Keiner dachte, es wird gleich jemand aufgehängt werden, sondern: Jetzt kriegen wir wieder nichts zu essen", sagt der 96-Jährige nach den Worten einer Dolmetscherin. Seit seiner Zeit im KZ wisse er, was Angst und Hunger seien, so Dunin-Wasowicz weiter. Außerdem soll es im Lager durchgehend nach verbrannten Leichen gestunken haben, vor allem dann, wenn der Platz in den Krematorien nicht mehr ausreichte. Dann seien die Ermordeten und Verstorbenen auf Scheiterhaufen verbrannt worden.
14. Juni: KZ-Überlebende berichtet
Vor dem Landgericht Itzehoe berichtet eine Überlebende des Konzentrationslagers Stutthof von ihrer Zeit dort. "Ich wurde geschlagen, ich wurde getreten, ich wurde bespuckt", sagt die im australischen Melbourne lebende Halina Strnad über eine Videoverbindung. Als sie am Boden lag, sei sie vom Kommandanten des Lagers getreten worden. Ihr Schädel und ihre Rippen seien gebrochen gewesen, sie hätte nach dem Krieg zwei Mal operiert werden müssen, sagt die 95-Jährige, die im September 1944 von Auschwitz in das Lager bei Danzig gebracht worden war. Anfang 1945 seien fast alle gefangenen Frauen in ihrer Baracke an Typhus erkrankt, auch sie selbst, erklärte Strnad. Ihre Mutter sei in ihren Armen gestorben. Die vielen Toten seien in einer Grube verbrannt worden, wie sie von Mitgefangenen erfahren habe. Im Lager habe es ständig danach gestunken. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie es möglich war, nicht zu wissen, was passierte, da es diesen permanenten Gestank nach verbrannten Leichen gab", sagte Strnad nach den Worten einer Übersetzerin.
7. Juni 2022: Ehemaliger KZ-Wachmann kennt Angeklagte nicht
Der ehemalige Wachmann des Konzentrationslagers Stutthof, Bruno Dey, betont vor dem Landgericht Itzehoe, dass er keinen Kontakt zur KZ-Kommandantur gehabt habe. "Ich habe gar nicht gewusst, dass es dort Zivilangestellte gibt", sagt der 95-jährige Zeuge.
31. Mai 2022: Ex-LKA-Ermittler berichtet über ähnlichen Fall
Im Prozess gegen eine ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof hat vor dem Landgericht Itzehoe am Dienstag ein pensionierter Kriminalbeamter ausgesagt. Er hatte vor einigen Jahren gegen eine Frau ermittelt, die zwischen 1943 und 1945 mit der jetzt angeklagten Irmgard F. im KZ Stutthof gearbeitet hatte. Auch als Schreibkraft - allerdings in einer anderen Abteilung. Sie habe von den Verbrechen womöglich gewusst, Beweise gab es aber keine. Das Verfahren wurde deshalb damals eingestellt. Der Verteidiger der angeklagten Irmgard F. sagte, dass es sich bei ihrem Fall ähnlich verhalte.
16. und 17. Mai 2022: Angeklagte soll von Deportationen gewusst haben
Ein Historiker berichtet, dass Irmgard F. als Sekretärin des Lagerkommandanten laut Stellenbeschreibung nicht nur Diktiertes abgetippt habe. Sie habe auch selbständig Berichte und Briefe verfassen müssen. Außerdem sagt der Gutachter, über ihren Schreibtisch seien, anders als von ihr behauptet, nicht nur Bestellungen oder Rechnungen gegangen. Als Beispiel präsentiert der Sachverständige Briefe zu Häftlingstransporten. In einem ging es um die Deportation von fast 2.000 jüdischen Häftlingen nach Auschwitz.
26. April 2022: Streit um Gutachter bei erstem Termin nach langer Pause
Nach fast zwei Monaten Pause geht der Prozess weiter. Nach Angaben des Gerichts war die Angeklagte Irmgard F. mehrere Wochen erkrankt gewesen. Vor Gericht zeigt der historische Sachverständige Stefan Hördler anhand von Aussagen, die SS-Männer und Zivilbeschäftigte nach dem Krieg gemacht hatten, dass das Wissen über die Verbrechen im Lager bei den Bediensteten weit verbreitet war. Verteidiger Wolf Molkentin wirft dem Sachverständigen Parteilichkeit vor. Die Exekutionen und Erhängungen in Stutthof bekämen in Hördlers mündlichem Vortrag eine unangemessene Prominenz: "Die Haupttaten sind furchtbar, und da gibt es kein bisschen davon abzustreiten", betonte Molkentin. Sie seien aber nicht Gegenstand der Anklage. Damit bezog sich der Verteidiger auf den Beihilfevorwurf, der der Kern der Anklage gegen Irmgard F. ist.
1. März 2022: Über Vergasungen "sprach man im Kommandanturstab"
Der historische Gutachter Stefan Hördler verliest zahlreiche Zeugenaussagen zu Massenmorden in Stutthof - darunter eine Aussage eines SS-Mannes, der nach dem Krieg die Angeklagte heiratete. Der Ehemann von Irmgard F. hatte demnach 1954 ausgesagt: "Im Lager Stutthof sind Personen vergast worden. Darüber sprach man im Kommandanturstab." Ein anderer SS-Mann aus dem Stab sagte laut Gutachter Hördler 1974 aus, dass er in etwa sechs Fällen beobachtet habe, wie Männer und Frauen in Kleinbahnwaggons steigen mussten. Anschließend seien die Türen geschlossen worden. Erst später habe er erfahren, dass es sich um Vergasungen handelte.
22. Februar 2022: Überlebende berichtet von Hunger und Läuse-Plage
Die 97 Jahre alte Israelin Towa-Magda Rosenbaum sagt per Videoschalte aus. Sie war 1944 gemeinsam mit ihrer Schwester in Stutthof in Gefangenschaft. Rosenbaum berichtet von großem Hunger, einer Läuse-Plage und Schlägen von Aufsehern, wenn sie ihre Baracke verlassen wollte. Nur etwa 900 Frauen seien bei der Befreiung im Januar 1945 noch am Leben gewesen, viele von ihnen wenig später an Krankheiten erlegen, sagt die Nebenklägerin, die aus Ungarn stammt. Die Angeklagte Irmgard F. verfolgt die Aussagen über einen Monitor und einen Kopfhörer, ohne dabei eine Gefühlsregung zu zeigen.
15. Februar 2022: KZ-Überlebender schildert Gräueltaten
Abraham Koryski war damals erst 16 Jahre alt. Für vier Monate war er im KZ Stutthof, von September 1944 bis Ende Januar 1945. Der heute 94-Jährige wurde per Video aus Israel zugeschaltet und schilderte seine Erlebnisse. Koryski erzählt, wie er im Krematorium noch heiße menschliche Knochen einsammeln musste, wie Wachen einen Hund auf Gefangene hetzten und dass er jeden Tag von Leichen umgeben war. Es habe von Anfang an Prügel gegeben und mehrfach habe er Hinrichtungen beobachtet. Von den Taten habe seiner Meinung nach jeder auf dem Gelände gewusst und es auch mitbekommen. Von der Baracke aus, in der er damals untergebracht war, konnte Koryski auch die Kommandantur sehen, den Arbeitsplatz der Angeklagten.
8. Februar 2022: LKA Beamter und Staatsanwalt berichten von früherer Vernehmung
Die Zeugen hatten Irmgard F. vor fünf Jahren in ihrem Zimmer in einem Quickborner Altenheim befragt und ihr erklärt, warum gegen sie ermittelt wird. Sie habe emotional und unwirsch reagiert, berichtet der Staatsanwalt vor dem Landgericht Itzehoe. Dass nach so langer Zeit gegen sie ermittelt werde, bezeichnete sie demnach als lächerlich. Für das Gericht sind die Aussagen der Zeugen deshalb wichtig, weil die Angeklagte im Verfahren bisher schweigt. Ob die Aussagen letztendlich auch verwendet werden dürfen, ist nicht abschließend geklärt. Die Verteidigung hat dagegen Widerspruch eingelegt.
2. Februar 2022: Historiker berichtet von SS-Besuchen bei Angeklagter
Die Angeklagte empfing nach 1945 noch hochrangige SS-Männer in ihrer Wohnung in Schleswig. Der historische Sachverständige Stefan Hördler nennt hier den Kommandanten des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig, Paul Werner Hoppe, und den ehemaligen SS-Rapportführer Arno Chemnitz. Der Verteidiger der Angeklagten, Wolf Molkentin, bestätigt, dass der Ehemann seiner Mandantin in einer Zeugenaussage den Besuch von Hoppe einst erwähnt habe. Der Kommandant war nach dem Krieg untergetaucht, wurde aber in den 50er Jahren vor Gericht gestellt. Chemnitz, der nach Angaben von Hördler zahlreiche Gefangene im KZ Buchenwald und in Stutthof erschoss, blieb untergetaucht.
25. Januar 2022: KZ-Überlebende berichtet von Todesmarsch
Die in den USA lebende Asia Shindelman schildert im Prozess ihre Erlebnisse auf einem sogenannten Todesmarsch aus dem Lager Stutthof bei Danzig. Die 93-jährige Zeugin ist dem Prozess per Video-Stream zugeschaltet und berichtet, wie sie als damals 15-Jährige zusammen mit ihrer Mutter als Zwangsarbeiterin in den bitterkalten letzten Kriegsmonaten beim Ausheben von Schützengräben sowie beim Bau von Panzerfallen helfen musste.
18. Januar 2022: Verteidiger scheitern mit Anträgen
Im ersten Prozesstag des Jahres 2022 entscheidet das Landgericht Itzehoe über zwei Anträge der Verteidigung. Dazu gehört laut einer Gerichtssprecherin, dass die Aussagen von Irmgard F. aus einem Prozess im Jahr 2017 verwendet werden sollen. Bei der damaligen Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Itzehoe sei Irmgard F. wie vorgeschrieben darüber belehrt worden, dass sie als Beschuldigte das Recht habe zu schweigen. Außerdem beschließt das Gericht, eine Kritik der Verteidigung an der Darstellung des historischen Sachverständigen Stefan Hördler nicht in das Verhandlungsprotokoll aufzunehmen.
14. Dezember 2021: KZ-Überlebende schildert per Video-Schalte ihren Leidensweg
Die 1928 in Litauen geborene Asia Shindelman war 1941 nach der deutschen Besetzung des baltischen Landes zunächst mit ihren Eltern in ein Ghetto und drei Jahre später in das KZ bei Danzig gebracht worden. Die heute 93-Jährige lebt in den USA und schildert per Videoschalte, wie SS-Bewacher sie und ihre Eltern, einen Onkel und die Großmutter mit Peitschen und Hunden empfingen. Den SS-Männern sei alles erlaubt gewesen, sagt sie nach den Worten einer Dolmetscherin. "Die Deutschen konnten uns auch totschlagen." Nach einem Monat sei sie in ein Außenlager gebracht worden, wo sie und andere jüdische Frauen Gräben zur militärischen Verteidigung ausheben mussten. Zu Beginn dieses Verhandlungstages kritisiert die Verteidigung die ihrer Ansicht nach unvollständigen Schilderungen des Historikers Hördler an drei Prozesstagen.
7. Dezember 2021: KZ-Überlebender berichtet über Deportation und Leid
Der Überlebende Josef Salomonovic wird als Zeuge gehört. Seine Aussage fällt ihm nicht leicht. Salomonovic war als Sechsjähriger mit seiner Familie im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig interniert. Er hat sehr lange gezögert, vor Gericht auszusagen. "Angenehm ist es nicht, das aufzuwühlen", sagt der 83-Jährige. Er kommt in Begleitung seiner Frau aus Wien in das Landgericht. Dort berichtet er über Deportation und Leid seiner Familie. Salomonovic kam zuerst von Prag nach Auschwitz und dann nach Stutthof - gemeinsam mit seiner Mutter, seinem Vater und seinem drei Jahre älteren Bruder. Sein Vater wurde im September 1944 in Stutthof mit einer Phenol-Injektion ins Herz ermordet.
23. November 2021: Historiker beschreibt Kommandostruktur im KZ
Der Gutachter erzählt, wie die Kommandostrukturen und die Verwaltung des Konzentrationslagers damals funktionieren. Das Gericht muss sich ein Bild davon machen, ob und wieviel die heute 96-jährige Angeklagte von den Vorgängen und Vorkommnissen wusste. Nebenklage-Vertreter Stefan Lode ist sich sicher, dass die damals 17-Jährige viel mitbekommen haben muss. "Das war schon sehr interessant heute, dass ja vieles über ihren Schreibtisch gelaufen ist. Sie hat direkt zwischen dem Kommandanten und dem Adjutanten gesessen. Das heißt also, das war die Schaltzentrale des KZ", sagt Lode. Die Verteidigung hingegen ist der Auffassung, dass bisher in keinem einzigen Fall nachgewiesen werden konnte, dass die Angeklagte auch nur ein einziges Schriftstück selbst bearbeitet, hergestellt oder verteilt hätte.
16. November 2021: Keine Verwertung früherer Aussagen
Der Verteidiger der damals 96 Jahren alten Angeklagten lehnt die Verwertung der Aussagen aus vorangegangenen NS-Prozessen zu Stutthof ab. Die Frau hatte in mehreren anderen Strafprozessen als Zeugin ausgesagt. Die Verwertung wird aus formalen Gründen ausgeschlossen. Irmgard F. war bereits 1954 vor dem Prozess gegen den KZ-Kommandant Paul Werner Hoppe als Zeugin gehört worden. Weitere Zeugenaussagen hatte sie 1964, 1966 und 1982 gemacht. Im Anschluss setzt das Gericht die Anhörung eines Historikers fort.
9. November 2021: Nebenklage will Zeugenaussagen vorziehen
Während ein Historiker die Rollen der Frauen als Stenotypistinnen in Konzentrationslagern erläutert, reicht die Nebenklage einen Antrag ein. So soll erreicht werden, dass der Gutachter seine Aussage unterbricht, damit Zeugen vernommen werden können. Die seien bereits alle hochbetagt und man wisse nicht, wie lange sie noch Aussagen treffen können. Es sei, so heißt es im Antrag, Aufgabe des Gerichts, diese Aussagen für die Zukunft zu sichern. Der Richter entscheidet über diesen Antrag noch nicht.
26. Oktober 2021: Nebenklage-Anwalt kritisiert Gericht scharf
Am zweiten Tag des Prozesses erheben mehrere Nebenklage-Vertreter schwere Vorwürfe gegen das Gericht. Rechtsanwalt Onur Özata, der drei Überlebende des KZ Stutthof bei Danzig vertritt, hat eine Eröffnungserklärung abgeben wollen, was das Gericht ablehnte. Daraufhin wirft Özata dem Vorsitzenden Richter Dominik Groß vor, die Nebenklage "mundtot" machen zu wollen. Nebenklage-Vertreter Christoph Rückel appelliert an das Gericht, auf Kooperation statt Konfrontation zu setzen. Es dürfe den Opfern nicht das Wort abschneiden. Groß erwidert, dass selbstverständlich geplant sei, die Zeugen zu hören. Die langfristige Terminplanung sei in dem Verfahren jedoch schwierig.
19. Oktober 2021: Die Angeklagte schweigt
Vor dem Landgericht Itzehoe wird die Anklage verlesen. Die Staatsanwältin beschreibt die Zustände im Lager Stutthof in der Zeit von Juni 1943 und April 1945 - unter anderem ist von Genickschüssen die Rede, von Vergasungen und Todesmärschen der Gefangenen. Die damals 96-Jährige sagt nicht aus. Ihre Anwälte zweifeln in einem Statement jedoch an einer Beihilfe zum Mord der Angeklagten. Dazu hätte die damalige Sekretärin viel mehr wissen und aktiver an den Morden beteiligt gewesen sein müssen. Der Prozesstag endet nach zwei Stunden.
5. Oktober 2021: Irmgard F. aus U-Haft entlassen
Nach Angaben einer Sprecherin des Landgerichts Itzehoe hat die Angeklagte Haftbeschwerde eingereicht. Daraufhin sei sie dem Gericht erneut vorgeführt worden. Die dritte große Jugendkammer des Landgerichts Itzehoe prüft die Beschwerde und setzt anschließend den Haftbefehl außer Vollzug. Das hat zur Folge, dass die ehemalige KZ-Sekretärin bis zum Prozessbeginn am 19. Oktober aus der Untersuchungshaft entlassen wird.
30. September 2021: Nach Flucht: Ehemalige KZ-Sekretärin in U-Haft
Vor dem Landgericht in Itzehoe startet der Prozess gegen die mutmaßliche NS-Täterin - allerdings ohne die Angeklagte. Die verschwindet mit dem Taxi aus ihrem Pflegeheim in Quickborn. Am frühen Nachmittag gibt Gerichtssprecherin Frederike Milhoffer bekannt, dass die Angeklagte gefunden wurde. Polizisten griffen die mittlerweile 96-Jährige in der Langenhorner Chaussee in Hamburg auf. Mit einem Zivilfahrzeug wird die Rentnerin zum Itzehoer Landgericht gebracht. Am Abend teilt das Gericht mit, dass die Angeklagte in Untersuchungshaft muss.
17. Juni 2021: Hauptverfahren eröffnet
Die 3. Große Jugendkammer des Landgerichts Itzehoe eröffnet das Hauptverfahren. Es wird vor der Jugendkammer verhandelt, weil die Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat 18 beziehungsweise 19 Jahre alt und somit eine Heranwachsende im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes war. Die Hauptverhandlung beginnt am 30. September 2021.
28. April 2021: Streit um Gutachten
Im Verfahren gegen die ehemalige Sekretärin des KZ Stutthof vor dem Landgericht Itzehoe gibt es nach NDR Informationen Streit. Es geht um ein medizinisches Gutachten zur Verhandlungsfähigkeit der Beschuldigten. Dem Landgericht liegt das Gutachten der Amtsärztin inzwischen vor, bestätigt eine Gerichtssprecherin auf NDR Anfrage. Die Strafkammer prüfe, ob das Gutachten ausreichend sei oder ob weitere Sachverständige angehört werden müssten.
5. Februar 2021: Staatsanwaltschaft klagt ehemalige KZ-Sekretärin an
Die Behörde wirft der damals 95-Jährigen Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen vor. Sie war Schreibkraft im KZ Stutthof. Als Sekretärin und Stenotypistin des Kommandanten des Konzentrationslagers in der Nähe von Danzig soll F. zwischen Juni 1943 und April 1945 die Mordtaten unterstützt haben. Die Frau soll "den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von jüdischen Gefangenen, polnischen Partisanen und sowjetrussischen Kriegsgefangenen" Hilfe geleistet haben, sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Außerdem wirft ihr die Anklage in weiteren Fällen Beihilfe zu versuchtem Mord vor. Dabei geht es um KZ-Häftlinge, die das Lager überlebt haben.
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 20.12.2022 | 11:00 Uhr
https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/
Holocaust-Überlebender blickt auf Stutthof-Prozess zurück
Stand: 19.12.2022 06:00 Uhr
Im Alter von drei Jahren wird Josef Salomonovic deportiert, er überlebt acht Konzentrationslager - darunter auch jenes in Stutthof. Fast 80 Jahre später tritt als Zeuge im Prozess gegen die ehemalige Sekretärin des KZ auf - morgen wird das Urteil erwartet. Hier erzählt der heute 84-Jährige seine Geschichte.
von Corinna Below
Am liebsten möchte er alles erzählen. Jedes Detail. Alle Details seien wichtig. Die Deportation von Märisch-Ostrau ins Ghetto Łódź (Litzmannstadt) und von da aus nach Auschwitz und in viele weitere Lager - acht waren es insgesamt. Auf dem Wohnzimmertisch liegen Akten dazu bereit, Fotos und Zeitungsartikel.
Aber erstmal soll es um die Gegenwart gehen. Mit seiner Frau Elisabeth sitzt er am Esstisch ihrer Wohnung im dritten Stock eines großen genossenschaftlichen Mietshauses in Wien, Österreich. Hier leben sie seit 1971. Der Laptop ist aufgeklappt, seine Frau liest ihm vor:
"All the women working at the camp were part of the SS organization ..."
Mit ihr zusammen hält er sich seit mehr als 14 Monaten über den Stutthof-Prozess auf dem Laufenden. Er bekommt regelmäßig Berichte von seinem Anwalt. Sie sind auf Englisch geschrieben, weil andere Mandanten zum Teil kein Deutsch sprechen.
Er weiß, dass die Staatsanwaltschaft zwei Jahre Jugendstrafe auf Bewährung für die 97 Jahre alte Angeklagte fordert. Wie das Landgericht am Ende entscheidet, dazu könne er nicht viel sagen. Dazu fehlten ihm die juristischen Kenntnisse. "Das liegt bei dem Richter. Nicht bei mir. Ich sage nur, es ist 80 Jahre zu spät und jetzt wühlt das in meinem Kopf und in meiner Seele", erklärt er.
Salomonovic wollte nicht als Zeuge auftreten
Josef Salomonovic war der erste Überlebende, der in Itzehoe (Kreis Steinburg) vorm Landgericht als Zeuge ausgesagt hat. Und der einzige, der persönlich im Gericht erschienen ist. Vor ziemlich genau einem Jahr. Es war der siebte Prozesstag im Verfahren gegen die Stenotypistin des Lagerleiters im KZ Stutthof, Irmgard F.
Josef Salomonovic erinnert sich an seinen Widerwillen, nach Itzehoe zu fahren: "Meine Frau wollte das, der Rechtsanwalt wollte das. Ich wollte es nicht. Die F. zu sehen und zwei Stunden zu reden, in einem Saal, persönlich. Das hat wehgetan." Seine Frau erwidert: "Aber du siehst ein, dass es wichtig war." Und er sagt: "Wichtig war's."
Deportation im Kindesalter
Er nimmt einen silbernen Teelöffel aus einer Schachtel. Den hatte er immer bei sich. Damit konnte er wässrige Suppe im KZ essen. Dann nimmt er noch etwas aus der Schachtel: ein kleines Metall-Flugzeug mit Propeller. Das hatte er nach der Befreiung von einem amerikanischen Soldaten geschenkt bekommen - sein erstes Spielzeug nach drei Jahren. Der Löffel und das Flugzeug: seine einzigen Habseligkeiten von damals.
Josef Salomonovic war drei Jahre alt, als er 1941 mit seiner Familie deportiert wurde. Insgesamt acht Lager hat er als Kind überlebt. "Es ist eine schwere Last," sagt er, "natürlich. Aber die muss ich schlucken. Mit der kann man nicht auf der Straße herumgehen und jemandem erzählen." Wenn er spricht, ist zu hören, dass Deutsch nicht seine Muttersprache ist. Als Kind sprach Salomonovic vor allem Tschechisch und Jiddisch.
Mord am Vater in Stutthof
Von seiner Zeit als Gefangener der Nazis erzählt Salomonovic regelmäßig in Schulen. Außerdem hat er vor vier Jahren mit einem österreichischen Dokumentarfilmer einen Film über seine Leidensgeschichte gedreht - für seine Kinder und alle jungen Menschen, die Interesse daran haben. Auch nach Stutthof ist er dafür gefahren. Stutthof hat für ihn eine große Bedeutung, "weil dort wurde mein Vater ermordet."
Er sitzt auf seinem blauen Ledersofa und schaut den Film, der den Titel "Pepek" trägt. Pepek war sein Spitzname, als er klein war. In einer Szene filmt die Kamera, wie er an einem Stacheldrahtzaun entlanggeht und in ein Gebäude hineingeht. Es ist die Krankenbaracke im KZ Stutthof. Dann steht er in dem ehemaligen Behandlungszimmer, darin ein Behandlungstisch, dahinter ein Foto. Darauf sind Spritzen zu sehen und er sagt: "Da hatte sich mein Vater gemeldet, dass er Medizin möchte. Dann hat er sich auf diesen Tisch gelegt. Mit einer Benzol-Spritze ins Herz haben sie ihn umgebracht. Dort sieht man sogar die Trage."
Keine Zweifel an Schuld von Irmgard F.
Er öffnet einen Ordner und zieht ein Dokument aus einer Klarsichthülle. Es ist ein Dokument, das bei der Ankunft von Familie Salomonovic über Josefs Vater Erich angelegt wurde. Mit all seinen Daten. Bei Wohnort steht "Tod", in der oberen Ecke ist ein rotes Kreuz aufgemalt und der Todestag mit einem Stempel vermerkt: 17. September 1944. "Das ist der Stempel von F. gemacht", sagt er. Er meint die Angeklagte Irmgard F. und ergänzt: "Das hat sie gestempelt." Einen Beweis gibt es dafür nicht.
Sechs Jahre alt war Josef Salomonovic, als sein Vater heimtückisch ermordet wurde. Irmgard F. war zu diesem Zeitpunkt nur 13 Jahre älter als er. Aber es lagen Welten zwischen den beiden. Laut Staatsanwaltschaft ist bewiesen, dass sie als Sekretärin eine Schlüsselposition innerhalb des Mordsystems im KZ Stutthof hatte, dass alle Schriftstücke über ihren Schreibtisch gegangen sind.
Das Strafmaß spielt keine Rolle
Josef Salomonovic und seine Frau sind von ihrer Schuld überzeugt. Morgen wird in dem Prozess vor dem Landgericht Itzehoe das Urteil gegen die frühere Sekretärin erwartet. Das Strafmaß ist ihnen aber nicht so wichtig. Wichtig ist ihnen nur, dass sie verurteilt wird. "Das ist eine symbolische Sache", erklärt Josef Salomonovic und seine Stimme bekommt mehr Nachdruck, als er fast ruft: "Es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Für den Staat. Für Deutschland. Für das Gewissen." Und auch für die nachfolgenden Generationen, sagt er. Damit sie begreifen, dass auch die Beihilfe an einem Verbrechen wie dem Holocaust zu bestrafen ist.
Dieses Thema im Programm:
Schleswig-Holstein Magazin | 19.12.2022 | 19:30 Uhr
https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/
Wegen Beihilfe zum Mord muss sich eine ehemalige KZ-Sekretärin verantworten. Der Überlebende Josef Salomonovic wurde als Zeuge gehört.
Stutthof-Prozess: KZ-Überlebender berichtet über Deportation und Leid >>>
DEUTSCHLAND
KZ-SEKRETÄRIN
„Sie haben Hilfe zu grausamem Morden geleistet“
Veröffentlicht am 22.11.2022 | Lesedauer: 6 Minuten
Von Per Hinrichs, Itzehoe
Irmgard F. ließ sich nicht anmerken, ob sie den Ausführungen der Anklagevertreterin folgte oder nicht
Die Angeklagte ließ sich nicht anmerken, ob sie den Ausführungen der Anklagevertreterin folgte oder nicht
Quelle: dpa
Die Staatsanwältin im Stutthof-Verfahren fordert eine zweijährige Bewährungsstrafe für eine ehemalige KZ-Sekretärin. Sie habe durch ihre Schreibtätigkeit den Massenmord im Lager Stutthof gefördert – und gewusst, was sie getan habe.
Das Plädoyer in einem Strafverfahren gilt als Höhepunkt eines Prozesses. Staatsanwaltschaft und Verteidigung legen ihre Sicht auf die abgeschlossene Beweisaufnahme dar, fassen den Stand zusammen und fordern das aus ihrer Sicht richtige Urteil ein. In den Schlussvortrag ans Gericht legen die grundsätzlich nicht von Eitelkeit freien Juristen ihr ganzes rhetorisches und fachliches Gewicht; es ist auch immer der öffentliche Beweis ihres Könnens – oder ihrer Mittelmäßigkeit.
So gesehen hatte die Staatsanwältin Maxi Wantzen aus Itzehoe am Dienstag einen guten Tag.
Im Stutthof-Verfahren gegen die 97-jährige ehemalige Lager-Sekretärin Irmgard Furchner forderte sie in ihrem Plädoyer eine zweijährige Jugendstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden sollte. Etwa 90 Minuten lang referierte sie über den Prozess am Landgericht Itzehoe, die persönliche Schuld der Angeklagten und das jahrzehntelange Desinteresse der deutschen Justiz, die Täter und Helfer des Holocaust zur Verantwortung zu ziehen.
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Wantzen berichtete von der „Hölle“, die die Gefangenen dort erleben mussten, sie referierte die Tötungsarten und das Verhältnis der SS und seiner Gefolgschaft dazu. Ein Urteil in diesem „historischen Verfahren“ habe nach so vielen Jahrzehnten „nur symbolischen Charakter“, sei aber „unabdingbar“.
Ein kleiner, aber unverzichtbarer Beitrag zum Töten
Mit Irmgard Furchner steht eines der letzten Glieder der langen Kette von Tätern und Helfern des Massenmordes an den europäischen Juden vor Gericht. Sie war von April 1943 bis April 1945 die Chef-Stenotypistin des damaligen Leiters des Lagers von Stutthof bei Danzig, Paul Werner Hoppe, und tippte seinen gesamten Schriftverkehr – seien es Briefe oder Befehle. Das jedenfalls hält Wantzen nach dem Gutachten des historischen Sachverständigen, Stefan Hördler, für erwiesen.
Der Blick in den Gerichtssaal
Quelle: AFP
Für Wantzen leistete auch Furchner damit einen kleinen, aber unverzichtbaren Beitrag dafür, dass das Töten im „hochgradig strukturierten und organisierten Lager“ reibungslos funktionierte. „Es ist ausgeschlossen, dass sie nicht auch Schreiben mit unmittelbaren Bezug zum Konzentrationslager verfasst hat“, so Wantzen – also dass das Töten nicht auch im pedantisch-bürokratischen Bürobetrieb eine Rolle spielte.
Sie sei für alle Geheimhaltungsstufen freigegeben gewesen, zitierte die Staatsanwältin den Sachverständigen Hördler, auch wenn sie keine eigene Zeichnungsbefugnis hatte oder selbstständig Briefe verfasste.
1954 sagte die Angeklagte selbst als Zeugin aus
Furchner selbst äußerte sich 1954 in einem Ermittlungsverfahren gegen Hoppe als Zeugin. Damals sagte sie, dass sie „der gesamte Schriftverkehr über meinen Schreibtisch gegangen ist“. Doch weil die Ermittler sie damals nicht richtig belehrten und ihr das Zeugnisverweigerungsrecht erklärten, durfte diese Aussage im jetzigen Verfahren nicht verwendet werden. Während einer Hausdurchsuchung im Jahre 2017 bestätigte sie dem Staatsanwalt dann, dass sie im Konzentrationslager tätig gewesen sei und dort für Hoppe gearbeitet habe – weil sie angeblich dienstverpflichtet worden sei.
Staatsanwaältin Maxi Wantzen
Quelle: AFP
Wantzen hielt das für falsch. Zwar konnte in der Beweisaufnahme nicht geklärt werden, wie genau Furchner nach Stutthof kam. Doch nach Hördler sah das Einstellungsprozedere vor, dass man sich bewerben musste. Von Zwangsverpflichtungen könne keine Rede sein, zumal die SS in diesem sensiblen Bereich nur handverlesene Mitarbeiter beschäftigen wollte.
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Was damals geschah, wie das Leben und Sterben im Lager aussah und wie die SS und ihre Gefolgschaft sich aufführten, das hat Furchner nicht gesagt. Sie entschied sich, zu schweigen. Einmal mehr war es in diesem dritten neueren Stutthof-Verfahren nach Münster (2017) und Hamburg (2020) an den Überlebenden, aus dem Konzentrationslager zu berichten.
Die Zeugen holen ihren Schmerz noch einmal hervor
Ihre Schilderungen sind seit Jahrzehnten bekannt. Schon 1945 begann der erste Prozess in Danzig gegen ehemalige Mitglieder der Wachmannschaften, in dem Überlebende aussagten. Historiker haben die Struktur und Funktionsweise der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager seit den 1960er-Jahren aufgearbeitet und analysiert. Nichts von den erschütternden Schilderungen, die im Gerichtssaal von Itzehoe zu hören waren, war neu.
So holten die Nebenkläger und Zeugen „ihren Schmerz noch einmal hervor“ und berichteten von der Genickschussanlage, der Gaskammer und den grausamen Tötungen in Stutthof.
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Grünspan, Herschel poln. Jude, erschoß am 7.11.1938 in der deutschen Botschaft in Paris den Legationssekretär Ernst vom Rath. 28.3.1921 Hannover – vermutl. 1942 (KZ-Sachsenhausen). Erkennungsdienstliche Fotos der Pariser Polizei vom 14.11.1938. Frankreich, Privatsammlung.
HERSCHEL GRYNSZPAN
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Sie schilderten die lebensfeindlichen Bedingungen und das planmäßige Morden ab Oktober 1944, als eine Fleckfieberepidemie so viele Gefangene dahin raffte, dass die Leichen mit Handkarren auf dem Gelände eingesammelt und auf Scheiterhaufen verbrannt wurden.
„Wenn die Angeklagte aus dem Fenster sah, konnte sie die neuen Gefangenen sehen, die selektiert wurden", hieß es über Irmgard Furchner
Quelle: AFP
Furchner behauptete in früheren Vernehmungen, davon nichts gewusst oder gesehen zu haben. Wantzen hielt auch das für eine Schutzbehauptung. „Wenn die Angeklagte aus dem Fenster sah, konnte sie die neuen Gefangenen sehen, die selektiert wurden. Und niemand konnte den Rauch aus dem Krematorium übersehen oder den Gestank der verbrannten Leichen nicht bemerken“, so die Staatsanwältin.
Kaum jemand wollte die Erzählungen der Menschen, die sich dem Mordversuch der Deutschen widersetzen konnten, in den vergangenen Jahrzehnten hören – und schon gar nicht die deutsche Justiz.
Die Vernichtung als arbeitsteiliger Prozess
Auch darauf ging Wantzen ein. Der Durchbruch in der Änderung der Rechtsprechung erfolgte 2011, als das Landgericht München II den ehemaligen SS-Helfer John Demjanjuk, der im Vernichtungslager Sobibor als Wachmann eingesetzt worden war, wegen Beihilfe zum Mord verurteilte. Zu diesem Zeitpunkt setzte sich die Sichtweise des ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalts und Initiator der Frankfurter Auschwitz-Prozesse aus den 60er-Jahren, Fritz Bauer, durch: Jeder, der aufseiten der SS das Mordgeschehen in einem Lager unterstützte, und sei es auf noch so kleine und unscheinbare Weise, machte sich mitschuldig am Massenmord. Die arbeitsteilige Vernichtung, das Verteilen der Last auf unzähligen Schultern, sollte in der Logik der SS die Verantwortung jedes Einzelnen verschleiern. Bauer forderte, sie zu benennen und zu beweisen.
Hans-Jürgen Förster, der Anwalt des Nebenklägers und Zeugen Chaim Golani
Quelle: AFP
Für Wantzen war klar, dass Furchner eines der kleinen Rädchen im Getriebe war, die die Mordmaschine brauchte, um die zehntausenden Menschen, die in Stutthof starben, zu ermorden. Der Angeklagten sei bewusst, dass sie für den Lagerkommandanten arbeitete, Schreibtätigkeiten für ihn ausübte und somit zum Funktionieren des Lagers beitrug. „Sie hat während ihrer Dienstzeit Hilfe geleistet zu grausamen Morden“, sagte Wantzen. Und wenn sei auch keine eigenen Gedanken zu Papier gebracht, sondern nur abgeschrieben habe, sei dies dennoch als Beihilfe zu werten. Hoppe selbst räumte in einer Vernehmung ein, dass etwa über Vergasungen schriftlich kommuniziert worden sei.
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Eine Arbeitskollegin von Furchner, die erst vor wenigen Jahren verstorbene Ellen Steußloff, sagte in einer Vernehmung aus den 50er-Jahren folgendes: Es sei in Stutthof allgemein bekannt gewesen, dass jüdische Gefangene vergast wurden. Wer behauptete, das nicht gewusst zu haben, dürfte nicht die Wahrheit sagen, zitierte Wantzen aus der Aussage.
Irmgard Furchner ließ sich nicht anmerken, ob sie den Ausführungen der Anklagevertreterin folgte oder nicht. Regungslos saß sie in ihrem Rollstuhl und rührte sich nicht.
Am kommenden Dienstag beginnen die Plädoyers der Nebenkläger.
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STUTTHOF-PROZESS
Zeugenaussage zu angeklagter KZ-Sekretärin sorgt für Aufsehen
Veröffentlicht am 06.09.2022 | Lesedauer: 4 Minuten
23.08.2022, Schleswig-Holstein, Itzehoe: Die Angeklagte Irmgard F. wird zu Beginn des Prozesstages von einer Mitarbeiterin des Gerichtsmedizinischen Dienstes in den Gerichtssaal begleitet. Der Prozess gegen die ehemalige KZ-Sekretärin vor dem Landgericht Itzehoe wird fortgesetzt. Der 97-Jährigen wird Beihilfe zum Mord in über 11.000 Fällen im Konzentrationslager Stutthof zur Last gelegt. Foto: Christian Charisius/dpa/Pool/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Die Angeklagte Irmgard F. – bald endet der Prozess gegen sie
Quelle: dpa
Als 15-Jähriger kommt Chaim Golani ins KZ Stutthof und muss dort im Krematorium arbeiten. Vor dem Lagerkommandanten und einer Frau in SS-Uniform hat er große Angst. Könnte diese Frau die KZ-Sekretärin gewesen sein, die jetzt vor dem Landgericht Itzehoe angeklagt ist?
Mit einer vermeintlichen Erinnerung an die Angeklagte hat ein Zeuge im Itzehoer Prozess gegen eine ehemalige KZ-Sekretärin für Aufsehen gesorgt. „Diese Frau, die dort sitzt, hat immer den Kommandanten begleitet, morgens und abends, sie hat alles mit angesehen, sie hat uns verflucht und erniedrigt“, sagte am Dienstag der Nebenkläger Chaim Golani über eine Videoverbindung aus Israel. Der 92-Jährige ergänzte nach den Worten eines Dolmetschers: „Sie hat häufig SS-Uniform getragen, Stiefel. Wir hatten Angst vor dieser Frau.“
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Als der Vorsitzende Richter Dominik Groß einige Zeit später nachfragte, wo er diese Frau gesehen habe, antwortete Golani: „Ich persönlich kannte sie nicht, ich weiß nichts über sie. Ich habe sie nie gesprochen oder direkt gesehen.“ Während der Anhörung des Zeugen in dessen Wohnung saß neben ihm nach Angaben seines Anwalts Hans-Jürgen Förster der Direktor des Simon Wiesenthal Centers in Israel, Efraim Zuroff.
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Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz mit der Aufschrift "Arbeit macht frei". Photographie. Um 1943. Entrance of the concentration camp Auschwitz with the sign: Arbeit macht frei". Around 1943
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„Worauf wartest du Arsch noch? Zieh die Schranke hoch!“
Angeklagt in dem Prozess vor dem Landgericht Itzehoe ist die 97 Jahre alte Irmgard F. Sie soll von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig gearbeitet haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, durch ihre Schreibarbeit Beihilfe zum systematischen Mord an mehr als 11 000 Gefangenen geleistet zu haben.
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EX-WACHMANN IM KZ STUTTHOF
„Es geschah Unrecht“
Förster erklärte nach der Gerichtsverhandlung zu der Aussage seines Mandanten: „Das ist mit Sicherheit ein Erinnerungsfehler.“ Aufgrund der Macht und der Bedrohung, die von dem SS-Mann ausging, werde er ihn für den KZ-Kommandanten gehalten haben. „In Wirklichkeit wird es sich um einen Befehlsgeber unterhalb des Kommandanten gehandelt haben, der sehr wohl von einer Frau in Stiefeln und SS-Uniform begleitet worden sein könnte.“
Golani war nach eigenen Angaben zwischen dem 15. und 20. Dezember 1943 zusammen mit seinem Vater nach Stutthof gebracht worden. Zuvor sei er in einem KZ in Tallinn (Estland) gefangen gehalten worden. In Stutthof habe er zunächst im Wald und dann zwei bis drei Wochen im Krematorium arbeiten müssen. „Jeden Tag hat man dort Leichen verbrannt, und ich war dabei“, sagte Golani. Unter Bewachung durch SS-Leute hätten sie den Toten die Schuhe ausziehen und nach Wertsachen suchen müssen. Die Leichen seien aus Stutthof und anderen Lagern zur Verbrennung gebracht worden. Der Gestank sei unerträglich gewesen.
„Es wurde immer verprügelt“
Der Zeuge erinnerte sich an Appelle, zu denen die Gefangenen dreimal am Tag in langen Reihen antreten mussten. Dabei seien sie von SS-Leuten verprügelt und mit der Peitsche geschlagen worden. „Es wurde immer verprügelt, egal was wir gemacht haben.“ Viele Gefangene seien infolge der Prügel und der harten Arbeit gestorben. Mitte Februar 1944 sei er von Stutthof weggebracht worden, in Richtung Freiburg. Bei seiner Befreiung durch die französische Armee habe er nur noch 30 Kilogramm gewogen.
Im KZ älter gemacht
Auf Frage des Richters bestätigte Golani, dass er früher Lewin geheißen und seinen Namen nach dem Krieg geändert habe. Laut einem Dokument aus dem Forschungszentrum der Gedenkstätte Stutthof seien er und sein Vater am 23. August 1944 in das KZ gebracht worden, sagte Groß. „Nein, wir kamen im Winter nach Stutthof“, widersprach der Zeuge. Sein Anwalt machte ihn auch auf das abweichende Geburtsdatum auf dem Dokument aufmerksam, wonach er bereits im Juni 1926 geboren worden sei, und fragte, ob er sich im KZ älter gemacht habe. „Ja, das war das System, wie man am Leben bleiben konnte“, sagte Golani.
Auf weitere Nachfragen von Förster erwiderte der Zeuge: „Keiner von Ihnen hat das mitgemacht, was ich erlebt habe. Vielleicht ist das nicht kohärent, aber es ist wie es ist.“ Das Gericht hat bereits sieben andere Überlebende und einen ehemaligen Wachmann des Lagers vernommen. Keiner von ihnen konnte Angaben zu der Angeklagten machen. Golani ist nach Angaben des Gerichts voraussichtlich der letzte Nebenkläger, der in dem Prozess als Zeuge ausgesagt hat.
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Prozess gegen ehemalige KZ-Sekretärin
„Es war die Hölle“: KZ-Überlebende berichtet von Kannibalismus in Stutthof
Die Angeklagte Irmgard F. wird zu Beginn des Prozesstages in den Gerichtssaal gebracht.
Die KZ-Überlebende Risa Silbert kann die Unmenschlichkeiten im Lager Stutthof nicht vergessen. Im Prozess gegen eine ehemalige KZ-Sekretärin hat sie davon berichtet. Die Details sind so grausam, dass man sie kaum ertragen kann.
30.08.2022, 15:50 Uhr
Itzehoe. Im Prozess gegen eine ehemalige KZ-Sekretärin vor dem Landgericht Itzehoe hat eine Überlebende von der Unmenschlichkeit im Lager Stutthof bei Danzig berichtet. „Stutthof war die Hölle“, sagte die 93 Jahre alte Risa Silbert am Dienstag über eine Videoverbindung an ihrem Wohnort in Australien. Es habe Kannibalismus im Lager gegeben, weil die Menschen hungrig gewesen seien, sagte die Zeugin und Nebenklägerin nach den Worten einer Dolmetscherin. „Das war jeden Tag“, fügte Silbert hinzu. Auf Nachfragen des Vorsitzenden Richters Dominik Groß sowie des Nebenklagevertreters Günter Feld bekräftigte die Überlebende ihre Schilderung.
Sie habe sich 1944 als 15-Jährige zusammen mit ihrer älteren Schwester unter Leichen vor den SS-Aufseherinnen versteckt, erklärte die Zeugin. Wegen einer Typhus-Epidemie hätten überall Tote herumgelegen. Die russischen Kriegsgefangenen, die die Leichen einsammeln mussten, hätten sie und ihre Schwester gesehen und in Ruhe gelassen.
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„Wir wurden nur ‚Schweinehunde‘ genannt“
Risa Silbert, 1929 in Memel (Klaipeda) geboren, wuchs in einer jüdischen Familie auf. Ihr Vater und ihr Bruder seien 1941 von Kollaborateuren der Deutschen in Kaunas ermordet, sagte sie. Zusammen mit ihrer Mutter und Schwester sei sie in ein Ghetto gekommen. Im August 1944 sei sie von Estland aus nach Stutthof gebracht worden.
Jeden Morgen hätten die Gefangenen um 4.00 oder 5.00 Uhr zum Appell antreten müssen. Wer dabei nicht stillstand, sei von den SS-Aufseherinnen mit der Peitsche geschlagen worden. „Keine von uns wurde mit dem Namen angeredet. Wir wurden nur „Schweinehunde“ genannt“, sagte Silbert. Jeden Tag seien Menschen weggebracht worden und man habe nie wieder etwas von ihnen gehört. Am 25. Januar 1945 sei ihre Mutter an Typhus gestorben. Mitte April 1945 hätten die Gefangenen nach Danzig marschieren müssen, von da aus seien sie mit Lastkähnen über die Ostsee nach Holstein gebracht worden. In Neustadt seien sie am 3. Mai von britischen Soldaten befreit worden. Von den Schlägen im Lager habe sie bis heute Narben zurückbehalten.
Auf die Frage ihres Anwalts Christoph Rückel, ob sie der Angeklagten etwas sagen wolle, erklärte Silbert, dass diese sich schuldig bekennen sollte. „Wenn sie als Sekretärin des Kommandanten gearbeitet hat, dann wusste sie ganz genau, was passiert ist.“
Appell an Angeklagte
Rückels Kollege Stefan Lode verlas im Anschluss eine Erklärung, in der er im Namen auch der anderen Nebenkläger die Angeklagte aufforderte, ihr Schweigen zu brechen. Sie habe für den KZ-Kommandanten Paul Werner Hoppe gearbeitet und sei eine Zeitzeugin. Daraus erwachse eine Verantwortung. Alle im Gerichtssaal seien sich einig, dass sich die Verbrechen von Stutthof nicht wiederholen dürften. „Schweigen wird der Sache nicht gerecht“, erklärte Lode. Nebenklagevertreter Onur Özata appellierte an die Angeklagte: „Offenbaren Sie sich! Tun Sie Ihren Dienst an der Menschheit, solange Sie noch leben!“
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RND/dpa
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NS-PROZESS
„Die Leute waren hungrig und haben die Leichen aufgeschnitten“
Veröffentlicht am 30.08.2022 | Lesedauer: 6 Minuten
Frederik Schindler
Von Frederik Schindler
Politikredakteur
Der 97-jährigen Angeklagten Irmgard Furchner wird Beihilfe zum Mord in 11.412 Fällen im Konzentrationslager Stutthof zur Last gelegt
Quelle: picture alliance/dpa/dpa-Pool
Risa Silbert war 14, als sie ins KZ Stutthof deportiert wurde. Im Prozess gegen dessen Chefsekretärin berichtet die 93-Jährige erstmals als Zeugin von der „Hölle“ der Nationalsozialisten: Die Bilder von Leichenbergen, SS-Morden an Babys und Kannibalismus verfolgten sie bis heute.
„Es gibt in keinem Wörterbuch irgendein Wort, was das beschreiben könnte. Meine Gefühle halten bis zum heutigen Tag an“, sagt Zeugin Risa Silbert im NS-Prozess gegen die frühere Chefsekretärin des Konzentrationslagers Stutthof.
Bilder von Menschen, die sich im elektrischen Lagerzaun suizidierten, weil sie das Leiden nicht mehr aushielten.
Bilder von jungen SS-Männern, die Köpfe von Babys...
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EX-WACHMANN IM KZ STUTTHOF
„Es geschah Unrecht“
Veröffentlicht am 23.08.2022 | Lesedauer: 3 Minuten
Die Angeklagte Irmgard F. sitzt zu Beginn des Prozesstages im Gerichtssaal. Der Prozess gegen die ehemalige KZ-Sekretärin vor dem Landgericht Itzehoe wird fortgesetzt
Quelle: dpa
Was konnte eine junge Sekretärin im KZ Stutthof von den Verbrechen der SS wissen? Als Zeuge vor dem Landgericht Itzehoe kann ein ehemaliger Wachmann des Lagers nur vage Angaben zu seinem damaligen Wissen machen. Dass Unrecht geschah, sei ihm aber klar gewesen.
Ein wegen Beihilfe zum Mord an rund 5000 Menschen verurteilter ehemaliger SS-Wachmann hat am Dienstag zum zweiten Mal als Zeuge im Prozess gegen eine frühere Sekretärin im KZ Stutthof ausgesagt. Mehrere Nebenklägervertreter fragten den 95-Jährigen vor dem Landgericht Itzehoe, was er damals von den Verbrechen in dem Lager bei Danzig mitbekommen habe.
„Es geschah Unrecht, sicher“, sagte Bruno D. Ob er gewusst habe, dass Menschen getötet und vergast wurden, wollte der Zeuge nicht klar sagen. „Wir haben ganz selten oder gar nicht darüber gesprochen“, sagte er über die Unterhaltungen unter Wachleuten. Im weiteren Verlauf der Befragung erklärte der 95-Jährige, dass er einmal antreten musste, um die Hinrichtung zweier Häftlinge und eines Soldaten zu beobachten.
Die angeklagte Irmgard F. soll von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur des deutschen Konzentrationslagers gearbeitet haben. Die Anklage wirft der 97-Jährigen vor, sie habe als Sekretärin Beihilfe zum systematischen Mord an mehr als 11.000 Gefangenen geleistet. Die Beschuldigte hat sich im Prozess bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert. Für eine Verurteilung müsste das Gericht ihr nachweisen, dass sie damals von den Verbrechen der SS wusste und bei den Morden Hilfe leisten wollte.
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Warum dürfen mutmaßliche NS-Täter ihr Gesicht verstecken?
Bruno D. ist bereits rechtskräftig wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 5000 Fällen verurteilt worden. Im Juli 2020 hatte das Landgericht Hamburg eine Jugendstrafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung gegen ihn verhängt. Er war nach Feststellung des Gerichts von August 1944 bis April 1945 als Wachmann in Stutthof.
Das Landgericht Itzehoe hatte ihn bereits am vergangenen 7. Juni zu seiner Dienstzeit im KZ befragt. Der angeklagten Sekretärin sei er nie begegnet, hatte er erklärt. Er habe zwar Frauen auf dem Gelände des Konzentrationslagers gesehen, aber das seien Angestellte der SS gewesen. „Zu denen haben wir nicht mal Kontakt gehabt.“
Die Nebenklagevertreter versuchten am Dienstag, an die Vernehmungen von Bruno D. vor dem Landgericht Hamburg im Jahr 2018 anzuknüpfen. Der ehemalige Wachmann, der in Begleitung seiner Tochter und seines Anwalts im Gerichtssaal erschien, konnte sich erneut an die Existenz einer Gaskammer, eines Krematoriums und eines Scheiterhaufens zur Verbrennung der vielen Leichen im Herbst 1944 erinnern.
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Täglich seien die Toten auf Karren geladen und zum Krematorium gebracht worden. Ob es auf dem gesamten Lagergelände nach verbranntem Menschfleisch roch - wie er es 2018 gesagt hatte -, konnte er jetzt nicht mehr bestätigen.
Gut erinnern konnte sich der 95-Jährige an eine Begegnung mit Gefangenen außerhalb des eigentlichen Lagers. Er habe einen Trupp von zehn Häftlingen bewachen sollen, die dort einen Bunker bauten. Zwei hätten ihn gefragt, ob sie ihr „Geschäft“ im Wald verrichten dürften. Dabei hätten sie einen noch ziemlich frischen Pferdekadaver gefunden.
„Großes Risiko eingegangen“
Er habe den Häftlingen erlaubt, sich Fleisch davon abzuschneiden und ins Lager zu schmuggeln. Damit sei er „ein großes Risiko“ für sich selbst eingegangen. „Ich hätte die gar nicht allein in den Wald gehen lassen dürfen“, sagte der Zeuge.
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Auch von den letzten Kriegstagen im Jahr 1945 berichtete Bruno D. detailliert. Am 26. April habe er zusammen mit anderen Wachmännern eine größere Gruppe Häftlinge auf die Halbinsel Hel gebracht. Von dort seien sie in einem Schleppkahn über die Ostsee bis nach Neustadt in Holstein gefahren. Es habe kaum Proviant gegeben, die Wachmannschaften hatten wie die Gefangenen Meerwasser getrunken.
Nach der siebentägigen Fahrt seien die Wachleute von einem Schlepper an Land gebracht worden. Die Häftlinge seien danach an den Strand gekommen. Während „der Ami“ schon ganz in der Nähe gewesen sei, habe er noch Leichen auf einen Lastwagen am Strand laden müssen. Von Erschießungen habe er nichts mitbekommen. Er selbst habe sein Gewehr seit seiner Ausbildung zum Soldaten nie wieder benutzt.
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Die 96-jährige Angeklagte Irmgard F. muss sich vor Gericht wegen der Beihilfe zum Mord in über 11.000 Fällen im Konzentrationslager Stutthof behaupten. Nun sagt ein Zeuge über die Nazi-Verbrechen aus.
Im Rahmen eines Prozesses gegen eine ehemalige KZ-Sekretärin hat ein früherer Wachmann des Konzentrationslagers Stutthof ausgesagt. „Es geschah Unrecht, sicher“, sagte der 95-Jährige über die Nazi-Verbrechen.
23.08.2022, 17:25 Uhr
Itzehoe. Im Prozess gegen eine ehemalige KZ-Sekretärin vor dem Landgericht Itzehoe hat am Dienstag ein früherer Wachmann des Konzentrationslagers Stutthof ausgesagt. „Es geschah Unrecht, sicher“, sagte der 95-jährige Bruno D. auf eine Frage eines Nebenklagevertreters. Ob er gewusst habe, dass in dem KZ Menschen getötet und vergast wurden, wollte der Zeuge nicht klar sagen. „Wir haben ganz selten oder gar nicht darüber gesprochen“, sagte er über den damaligen Kontakt zur SS. Im weiteren Verlauf der Befragung erklärte der ehemalige Wachmann, dass er einmal antreten musste, um die Hinrichtung zweier Häftlinge und eines Soldaten zu beobachten.
Die angeklagte Irmgard F. soll von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur des deutschen Konzentrationslagers bei Danzig gearbeitet haben. Die Anklage wirft ihr vor, sie habe als Sekretärin Beihilfe zum systematischen Mord an mehr als 11 000 Gefangenen geleistet. Die Beschuldigte hat sich im Prozess bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert.
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Der Zeuge Bruno D. ist bereits rechtskräftig wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 5000 Fällen verurteilt worden. Im Juli 2020 hatte das Landgericht Hamburg eine Jugendstrafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung gegen ihn verhängt.
RND/dpa
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Veröffentlicht am 07.11.2022 | Lesedauer: 6 Minuten
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Von Per Hinrichs
Chefreporter WELT AM SONNTAG
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Quelle: picture alliance/NurPhoto/Michal Fludra
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Veröffentlicht am 06.09.2022 | Lesedauer: 6 Minuten
Frederik Schindler
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Es könnte das letzte Mal sein, dass ein KZ-Überlebender vor Gericht über NS-Gräueltaten berichtet: Chaim Golani, 92, wurde zur Arbeit im Krematorium des KZ Stutthof gezwungen – und sagt nun gegen dessen Chefsekretärin aus. Das Grauen lässt ihn nicht los.
Chaim Golani sitzt vor seinem Computer in seiner Wohnung in Binjamina im Nordwesten Israels. Er trägt ein blaues Polohemd, im Ohr ist ein Hörgerät eingesetzt. Golani schaut in die Kamera und sagt: „Meine Seele ist eine Wunde.“
Gerade ist er von der Staatsanwältin Maxi Wantzen gefragt worden, ob er von seiner Zeit im Konzentrationslager Stutthof nahe dem annektierten Danzig Verletzungen davongetragen habe. Der 92-Jährige sagt, dass er damals auf dem gesamten Körper Wunden gehabt habe. „Ich sah wie eine Wunde aus. Ich war nur eine große Wunde“, sagt er. Auf seinem Körper trage er heute aber keine Zeichen mehr davon. Aber seine Seele, die sei eine Wunde, wiederholt er.
Chaim Golani
Quelle: via Chaim Golani
Das Landgericht Itzehoe vernimmt Golani am Dienstagvormittag via Video im Strafprozess gegen die frühere Chefsekretärin des KZ Stutthof, die heutige 97-jährige Irmgard Furchner. Seine Aussage wird durch einen Dolmetscher aus dem Hebräischen ins Deutsche übersetzt. Furchner arbeitete dem Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe zu und muss sich seit einem Jahr wegen des Vorwurfs der Beihilfe zum Massenmord verantworten. 11.380 Fälle sind angeklagt.
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NS-PROZESS
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Es könnte das letzte Mal sein, dass ein Überlebender der nationalsozialistischen Judenvernichtung vor einem deutschen Gericht als Zeuge aussagt. WELT hatte im April dieses Jahres berichtet, dass bundesweit zu diesem Zeitpunkt gegen fünf Wachleute der Konzentrationslager Buchenwald, Neuengamme, Sachsenhausen und Ravensbrück ermittelt wurde. Die Ermittlungen dauern weiter an. Bislang gibt es aber keine weitere Anklageerhebung und folglich auch keinen weiteren Prozess.
Bis heute weiß er nicht, was mit seiner Mutter passierte
Golani wurde im Oktober 1929 in Wilna im damaligen Polen geboren. Die Stadt heißt heute Vilnius und ist die Hauptstadt Litauens. Nur eine Woche nach dem Angriff auf die Sowjetunion erreichte die Wehrmacht Wilna und besetzte die Stadt. Kurz darauf errichteten sie zwei Gettos für die jüdische Bevölkerung.
Chaim Golani, damals Chaim Levin, lebte im sogenannten Kleinen Getto, mit seiner Familie und 11.000 weiteren Juden. Später wurde die Familie in das Außenlager Narwa des Konzentrationslagers Vaivara in Estland verschleppt. Auch in den Außenlagern Kiviõli und Kunda wurden sie zur Arbeit gezwungen. Seine Mutter sah er nie wieder; bis heute weiß er nicht, was mit ihr passiert ist.
Im August 1944 wurde der 14-jährige Chaim mit seinem Vater Moshe aus Estland nach Stutthof verschleppt. „Direkt nach der Ankunft mussten wir Reihen stehen“, sagt Golani auf Hebräisch. Und dann auf Deutsch: „Appell. Appell.“
SS-Offiziere hätten sie mit Ochsenziemern geschlagen. Dabei handelt es sich um Schlagwaffen, die aus gedörrten Stierpenissen hergestellt werden und auch in Dachau und Mauthausen zur Misshandlung von Häftlingen eingesetzt wurden.
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Von diesen Schlägen erzählt Golani am Dienstag immer wieder. „Egal ob wir gehorchten, wir wurden immer verprügelt“, sagt er. Schon in den ersten Tagen seien viele Menschen durch die Schläge gestorben. Jede Baracke sei voll mit Pritschen gewesen. Drei Etagen übereinander, so erinnert sich Golani. „Wir lagen auf dem Holz“, sagt er. „Wir hatten gar nichts. Nur das Holz war da.“ Zu essen habe es nur Wasser und Brot gegeben. Von den SS-Leuten seien die Häftlinge nie mit dem Namen angesprochen worden. „Wir wurden die ganze Zeit nur ,Schweine‘ genannt. Oder ,verfluchte Juden‘.“
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Nach einer Woche im Lager wurde der Jugendliche zur Arbeit im Krematorium gezwungen. Golani erinnert sich, wie er die Schuhe der Toten ausziehen und sortieren und die Leichen nach Wertsachen durchsuchen musste. Alles unter den Augen der SS-Männer.
„Wir waren wie null, nichtig. Nichts waren wir, wir waren so gut wie tot.“ Als der Vorsitzende Richter Dominik Groß ihn fragt, ob er wisse, wie diese Menschen ums Leben gekommen seien, sagt Golani: „Sie waren dünn und kaputt. Sie waren buchstäblich am Ende.“
Als er in der zweiten Woche in den Wald fliehen wollte, wurde er entdeckt. „Ich war komplett nackt und wurde mit kaltem Wasser bespritzt“, sagt der 92-Jährige. Ungefähr drei Wochen lang habe er im Krematorium arbeiten müssen. „Diese drei Wochen dauerten wie ein ganzes Leben. Ich habe gedacht, ich werde diesen Ort nie verlassen.“
Am Ende wog er nur noch 30 Kilo
Die Angeklagte Furchner verfolgt Golanis Aussage über einen direkt vor ihr stehenden Bildschirm. Auch an diesem Verhandlungstag macht sie von ihrem Recht zu schweigen Gebrauch. Ein Gutachter hatte an einem vorherigen Prozesstag gesagt, dass Furchner täglich mit altgedienten und erfahrenen SS-Männern zusammengearbeitet habe.
Noch in den 1950er-Jahren bekam sie in Schleswig mehrfach Besuch von Mitgliedern der Führungsmannschaft, auch vom Kommandanten Hoppe. In Stutthof lernte Furchner auch ihren späteren Mann kennen, einen SS-Oberscharführer. Heinz Furchner sagte in einem Verfahren gegen den Lagerkommandanten aus: „Im Lager Stutthof sind Personen vergast worden. Darüber sprach man im Kommandanturstab.“
Die systematischen Tötungen und Vernichtungstransporte wurden damals in Furchners Abteilung gesteuert. Die Staatsanwaltschaft wirft Furchner vor, dass diese „die reibungslose Funktionstüchtigkeit des Lagers“ gesichert habe. Die Ausführung des Massenmordes habe sie „durch ihre Schreibtätigkeit unterstützt“.
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Welt Redaktion Hamburg Per Hinrichs
MEINUNG
STUTTHOF-PROZESS
Wer im KZ eingesetzt war, muss vor Gericht
In seiner Zeugenaussage spricht der Überlebende Chaim Golani auch über die Angeklagte. Sie habe den Kommandanten im Lager begleitet und die Häftlinge verflucht und erniedrigt. Immer wieder habe sie auf Menschen gezeigt, die beim Appell nicht aufrichtig gestanden seien. „Sie war grausam, wir hatten Angst vor ihr“, so Golani.
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Hans-Jürgen Förster, Golanis Zeugenbeistand und früherer Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, sagt WELT nach Verhandlungsende: „Er irrt sich mit dieser Erinnerung mit Sicherheit.“ Aus der Machtfülle und Einschüchterung eines Mannes habe er geschlossen, dass dies der Kommandant sein müsse. Ansonsten habe aber niemand bekundet, eine Zivilangestellte innerhalb des Konzentrationslagers gesehen zu haben. Daher sei es wahrscheinlich, dass der Mann aus Golanis Erinnerung ein unter dem Kommandanten stehender Befehlshaber gewesen sei, in Begleitung einer SS-Frau.
Ein neuer Nachname als Ehrung seiner Kameraden
Nach 37 Tagen in Stutthof wurde Chaim Golani gemeinsam mit seinem Vater ins Konzentrationslager Natzweiler-Struthof im besetzten französischen Elsass deportiert. Dies geht aus einem Dokument der Sicherheitspolizei hervor, das WELT einsehen konnte. Dort wurde er in mehreren Außenlagern, unter anderem im KZ Dautmergen, zur Treibstoffgewinnung aus Ölschiefer gezwungen.
Dann wurde er aus Dautmergen auf einen Todesmarsch geschickt. Die Bewacher verflüchtigten sich nach 80 Kilometern angesichts der anrückenden französischen Armee. Die Franzosen befreiten Golani, der zu diesem Zeitpunkt nur noch 30 Kilo wog. Es war der 22. April 1945 – wenige Tage vor der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht und dem Ende des nationalsozialistischen Terrors.
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Josef S. soll als Wachmann im Konzentrationslager Sachsenhausen Beihilfe am Mord in 3518 Fällen geleistet haben. Verteidiger Stefan Waterkamp verdeckte im Prozess sein Gesicht.
KZ-PROZESSE
Warum dürfen mutmaßliche NS-Täter ihr Gesicht verstecken?
Noch vor der Staatsgründung Israels kam er im Jahr 1947 in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina, schloss sich der zionistischen paramilitärischen Untergrundorganisation Hagana an, aus der später die israelische Armee wurde. Im Unabhängigkeitskrieg, der einen Tag nach der Staatsgründung im Mai 1948 beginnt, kämpfte er gegen die angreifende jordanische Armee.
Seine Einheit trug den Namen Golani. Aus Verbundenheit zu seinen Kameraden nahm er den Namen als Nachnamen an.
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STUTTHOF-PROZESS
KZ-Überlebende schildert ständige Schläge und Hunger
Veröffentlicht am 22.02.2022 | Lesedauer: 3 Minuten
Defendant Irmgard F (2ndR), a former secretary for the SS commander of the Stutthof concentration camp, is led by an employee of the forensic medical service into a courtroom of the District Court in Itzehoe, northern Germany, for the continuation of her trial on February 22, 2022. - The first woman to be prosecuted for Nazi-era crimes in decades, Irmgard F. is charged with complicity in the murder of more than 10,000 people at Stutthof camp in then occupied Poland. (Photo by Christian Charisius / POOL / AFP)
Die 96 Jahre alte Irmgard F. im Gerichtssaal
Quelle: AFP
Im Itzehoer Prozess gegen eine ehemalige KZ-Sekretärin beschreibt eine 97-Jährige Zeugin, was sie ihr Leben lang nicht vergessen konnte.
Im Prozess gegen eine ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof hat eine 97 Jahre alte Überlebende des Lagers von ständigen Schlägen und Hunger berichtet. Beim Herausgehen aus ihrer Baracke sei sie 1944 täglich geschlagen worden, sagte die Israelin Towa-Magda Rosenbaum am Dienstag über eine Videoschalte vor dem Landgericht Itzehoe. „Ohne Schlag kam man nicht heraus.“ Der ganze Körper habe stundenlang von dem Peitschenschlag einer Blockaufseherin gebrannt. „Die Angst kann man nicht vergessen. Die Angst ist das ganze Leben geblieben, bis zum heutigen Tage“, sagte Rosenbaum auf Deutsch.
Beihilfe zum systematischen Mord
Angeklagt ist die 96 Jahre alte Irmgard F. Sie soll von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur des deutschen Konzentrationslagers bei Danzig gearbeitet haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, durch ihre Schreibarbeit Beihilfe zum systematischen Mord an über 11.000 Gefangenen geleistet zu haben. Weil sei zur Tatzeit erst 18 bis 19 Jahre alt war, findet der Prozess vor einer Jugendkammer statt.
Nach drei Monaten in Stutthof sei sie im Oktober 1944 in ein Außenlager nach Thorn (heute Torun) gekommen, sagte Rosenbaum. Dort sei es am schlimmsten gewesen. Sie habe Schützengräben ausheben müssen, eine sehr schwere Arbeit. Von den 3000 weiblichen Gefangenen seien die meisten verhungert. „Immer war der Hunger in unserem Kopf, ob früh oder spät.“ Morgens habe man die Gefangenen links und rechts neben sich angeschaut. Wenn die Läuse den Körper verließen, sei der Mensch tot gewesen. „Wir waren jealous (neidisch) auf die Toten, die brauchten nicht aufzustehen.“ Bei der Befreiung im Januar 1945 seien nur noch 900 am Leben gewesen, sagte die aus Ungarn stammende Nebenklägerin. Und viele von diesen seien wenig später an Krankheiten gestorben.
„Ich will nicht noch einmal 20 Jahre alt werden“
Rosenbaum war nach eigenen Angaben mit ihrer Familie im Juli 1944 nach Auschwitz deportiert worden. Dort habe der SS-Arzt Josef Mengele sie und ihre Schwester von der Mutter getrennt. „Pass auf Magda auf!“, seien die letzten Worte ihrer Mutter gewesen. Im August 1944 seien sie und ihre Schwester nach Stutthof gekommen. Es fiel der Zeugin schwer, konkrete Daten zu nennen. Sie erinnere sich, dass sie an ihrem 20. Geburtstag in Stutthof ein ungarisches Geburtstagslied gesungen und dabei ein „nicht“ eingefügt habe: „Ich will nicht noch einmal 20 Jahre alt werden.“
Barbara, die Barbarin
Um den Schlägen der Blockaufseherin zu entgehen, seien andere Gefangene durch ein Fenster der Baracke geklettert. Sie sei dazu aber zu schwach gewesen. Die Blockaufseherin, die nach Angaben von Rosenbaum auch eine Gefangene war, habe geglaubt: „Wenn sie zu uns schlimmer ist, wird sie eher frei sein.“ Rosenbaum fügte hinzu: „Ihr Name war Barbara, aber sie war ein Barbar.“
In Stutthof habe sie auch gehört: „Wir werden Seife sein.“ Das habe sie erst später verstanden. Aus den Körpern von Menschen sei Seife hergestellt worden, sagte die 97-Jährige. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob sie wahrgenommen, gesehen oder gehört habe, dass Menschen in Stutthof verbrannt wurden, sagte Rosenbaum: „Nein, nur gehört.“ Auch von einer Gaskammer habe sie nicht gewusst.
Nach dem Krieg sei sie mit ihrer Schwester nach Ungarn zurückgegangen. Das Haus der Familie sei nach ihrer Deportation bei einem Pogrom zerstört worden. Dennoch hätten sie neu angefangen. Sie habe geheiratet und zwei Kinder bekommen. Weil Ungarn kommunistisch wurde, sei sie mit ihrem Mann und den Kindern nach Palästina (Israel) ausgewandert.
jlau
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ANKLAGE GEGEN IRMGARD F.
Prozess gegen ehemalige KZ-Sekretärin verzögert sich weiter
Veröffentlicht am 10.01.2022 | Lesedauer: 4 Minuten
Von Bernhard Sprengel
Die 96-jährige Angeklagte Irmgard F. sitzt Mitte Dezember im Gerichtssaal in Itzehoe
Quelle: dpa/Christian Charisius
Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitete Irmgard F. als Schreibkraft in der Kommandantur des KZ Stutthof. Nun steht sie wegen Beihilfe zum Mord an 11.000 Gefangenen vor Gericht. Doch der Prozess droht nicht nur wegen der Corona-Pandemie ins Stocken zu geraten.
Vor gut drei Monaten sollte in Itzehoe der Prozess gegen eine frühere Schreibkraft im KZ Stutthof beginnen. Doch mehr als 76 Jahre nach dem Ende ihrer Tätigkeit für die SS wollte Irmgard F. nicht auf der Anklagebank Platz nehmen. Am Morgen des geplanten Prozessauftakts am 30. September verschwand die 96-Jährige aus ihrem Seniorenwohnheim in Quickborn (Kreis Pinneberg). Ihre Flucht dauerte nur wenige Stunden, bis sie von der Polizei in Hamburg festgenommen und für fünf Tage in Untersuchungshaft gebracht wurde.
Knapp drei Wochen später, am 19. Oktober, wurde sie erstmals im Rollstuhl in den Gerichtssaal geschoben. Es folgten sechs weitere Verhandlungstage. Die Ergebnisse des bisherigen Prozessverlaufs beurteilen Verteidigung und Nebenklagevertreter unterschiedlich.
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Der Vorsitzende Richter Dominik Groß kommt in den Gerichtssaal. Irmgard Irmgard Furchner wird Beihilfe zum Mord in über 11.000 Fällen zur Last gelegt
NS-PROZESS IN ITZEHOE
„Sie konnte verbranntes Menschenfleisch riechen“
Die Anklage gegen Irmgard F. lautet auf Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen. Von Juni 1943 bis April 1945 soll sie in der Kommandantur des deutschen Konzentrationslagers bei Danzig als Zivilangestellte gearbeitet haben. Ihr wird zur Last gelegt, durch ihre Schreibarbeit den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von Gefangenen Hilfe geleistet zu haben.
Irmgard F. schweigt zu den Vorwürfen. Für eine Verurteilung müsste das Gericht ihr nachweisen, dass sie damals als 18 bis 19 Jahre alte Zivilangestellte von den Verbrechen der SS in dem Lager wusste und bei den Morden Hilfe leisten wollte. Dass Menschen in Stutthof zu Tausenden ermordet wurden, steht für alle Prozessbeteiligten außer Frage und wird auch von der Verteidigung nicht bestritten. Seine Mandantin sei keine Holocaust-Leugnerin, hatte Anwalt Wolf Molkentin gleich nach Verlesung der Anklage betont.
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Himmler besucht das KZ-Stutthof, 1941. Himmler, Heinrich, Politiker (NSDAP), Muenchen 7.10.1900 - (Selbstmord) nahe Lueneburg 23.5.1945. - Himmler (5.v.l.), waehrend eines Besuchs im Konzentrationslager Stutthof, bei der Begruessung des Fuehrungskorps der SS-Wachmannschaften.- Foto, 23. November 1941. |
KZ STUTTHOF
Tausende wurden durch Genickschuss getötet
Womit könnte der Anklagevorwurf belegt werden? Das Gericht hat bislang einen Historiker als Sachverständigen und zwei Überlebende als Zeugen angehört. Der Historiker Stefan Hördler kann sich auf Dokumente aus Stutthof und aus anderen Archiven stützen. Der Verwendung früherer Aussagen der Angeklagten als Zeugin in NS-Verfahren hat die Verteidigung widersprochen.
Krampfadern entfernen: In Hamburg setzen Experten auf moderne Methoden
Josef Salomonovic, einer der beiden Zeugen, war damals erst fünf oder sechs Jahre alt. Die ehemalige Gefangene Asia Shindelman kam als 15-Jährige nach Stutthof und wurde nach einem Monat in ein Außenlager gebracht. Ihre Erinnerungen zeugen von der Unmenschlichkeit in dem KZ. Zur Rolle von Irmgard F. können die beiden Überlebenden konkret nichts sagen.
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„Vielleicht schläft sie so wie ich. Schlecht“
„Die Geschichten der Überlebenden lassen niemanden unberührt und werden von der Verteidigung nicht in Zweifel gezogen“, erklärte Molkentin. Er hatte aber bereits vor der Aussage Shindelmans mit Blick auf die Darstellungen Hördlers festgestellt: „Nach der bisherigen Beweisaufnahme kann (...) mitnichten davon ausgegangen werden, dass die entscheidenden Fragen zur persönlichen Verantwortlichkeit der Angeklagten, insbesondere zu ihrer Kenntnis von den im Lagerbereich durchgeführten Mordtaten, bereits im Sinne der Anklage beantwortet wären.“
Rechtsanwalt Christoph Rückel, der Salomonovic und Shindelman als Nebenkläger vertritt, sieht das anders. Hördler habe gezeigt, dass Irmgard F. zur SS-Organisation gehört habe. Die Exekutionsanordnungen des Reichssicherheitshauptamtes der SS in Berlin seien in Stutthof per Fernschreiben eingegangen. In den Akten fänden sich Abschriften mit dem Namenskürzel der Angeklagten. Allerdings sind diese Dokumente noch nicht im Prozess erörtert worden.
Zudem habe das Gericht den Prozessbeteiligten die Protokolle von Aussagen bereits gestorbener Zeugen zum Lesen gegeben, sagte Rückel. Eine andere ehemalige Zivilangestellte des KZ habe ausgesagt: „Es war uns allgemein bekannt, dass jüdische Personen vergast wurden.“ Rückel ist optimistisch, dass es zu einer Verurteilung von Irmgard F. kommen wird. „Der Zeiger geht eher in Richtung Schuld als in Richtung Unschuld.“
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IRMGARD FURCHNER
„Sie hatte bis ins Detail Kenntnis von den praktizierten Tötungsarten“
Allerdings ist der Prozess vorerst ins Stocken geraten. Im Dezember wurde ein Termin aus Infektionsschutzgründen aufgehoben. Auch für den 11. Januar wurde die geplante Verhandlung abgesagt. Auf dem Programm stand die weitere Anhörung der Zeugin Shindelman. Den Haftbefehl gegen die Angeklagte hob die Strafkammer bereits vor Weihnachten auf, wie eine Gerichtssprecherin sagte. Bis dahin war die 96-Jährige nur von der Haft verschont gewesen.
Sollte das Gericht wie angekündigt am 18. Januar wieder verhandeln, so müssten die Richter zunächst über einen Antrag der Verteidigung entscheiden. Molkentins Kollege Niklas Weber hatte am 14. Dezember kritisiert, dass Hördler einen für den Prozess wichtigen Befehl des KZ-Kommandanten von Stutthof unvollständig zitiert habe und beantragt, dies gerichtlich zu protokollieren. Eine Protokollierung könnte der erste Schritt sein, um einen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen zu begründen.
https://www.welt.de/
„Sie hatte bis ins Detail Kenntnis von den praktizierten Tötungsarten“
Veröffentlicht am 19.10.2021 |
per_hinrichs_WELT
Von Per Hinrichs
Chefreporter WELT AM SONNTAG
Am zweiten Verhandlungstag des NS-Prozesses von Itzehoe ist auch die 96-jährige angeklagte Irmgard Furchner zugegen. Sie zeigt sich nur vermummt und spricht nicht. Ihr Verteidiger betont: Sie habe keine strafrechtliche Schuld auf sich geladen.
Sie hat die knochigen Hände gefaltet, darin liegt eine Sonnenbrille. Ab und an fasst sie sich durchs weiße, lockige Haar, blickt an die Decke oder schaut in den Zuschauerraum. Als ihre Maske auf den Boden fällt, hebt die Angeklagte sie rasch wieder auf. Kein Zweifel, Irmgard Furchner weiß, wo sie ist. Einer der letzten NS-Verfahren begann vor drei Wochen mit einer Peinlichkeit für das Landgericht Itzehoe.
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Stutthof-Prozess in Itzehoe: Die Aussagen der KZ-Sekretärin
Stand: 19.10.2021 10:31 Uhr
Die ehemalige KZ-Sekretärin Irmgard F. steht vor Gericht, weil sie den Massenmord im Konzentrationslager Stutthof unterstützt haben soll. Was sagt die Angeklagte zu den Vorwürfen? NDR.de konnte umfangreiche Ermittlungsunterlagen einsehen.
von Julian Feldmann
Der Prozess gegen die 96 Jahre alte Irmgard F. vor dem Landgericht Itzehoe hat am Dienstag im zweiten Anlauf begonnen. Zum eigentlichen Prozessbeginn am 30. September war die Angeklagte nicht erschienen.
Irmgard F. muss sich wegen Beihilfe zum Mord in 11.380 Fällen und Beihilfe zum versuchten Mord in sieben Fällen verantworten. Als Sekretärin des Kommandanten des Konzentrationslagers (KZ) Stutthof bei Danzig sollen über ihren Schreibtisch Dokumente zum systematischen Mord gegangen sein. Wie sich die Angeklagte eingelassen habe, wollte der Sprecher der Staatsanwaltschaft in einer Pressekonferenz am ersten Prozesstag Ende September nicht sagen.
Die 96-jährige Angeklagte Irmgard F. sitzt in einem Krankentransportstuhl hinter einer Plexiglasscheibe im Gerichtssaal neben ihren Anwälten Niklas Weber und Wolf Molkentin (r). © dpa Foto: Christian Charisius
Stutthof-Prozess in Anwesenheit der ehemaligen KZ-Sekretärin gestartet
Irmgard F. steht seit Dienstag wegen Beihilfe zum Mord vor Gericht. Sie soll den Massenmord im Konzentrationslager Stutthof unterstützt haben.
Nach Recherchen des NDR hat sich Irmgard F. 2017 umfassend gegenüber den Ermittlern geäußert. Auch als ihr am 30. September der Haftbefehl eröffnet wurde, sagte F. zu den Vorwürfen aus.
Mehrmals als Zeugin vernommen
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde F. mehrfach von Ermittlungsbehörden vernommen. Diese Aussagen machte F. jedoch als Zeugin. Weil sie nicht als Beschuldigte belehrt wurde, können diese Aussagen im Strafverfahren gegen sie nicht ohne Weiteres verwendet werden.
Wohl zum ersten Mal sagte F. im September 1954 zum KZ Stutthof aus. Damals gab sie zu Protokoll, dass sie Mitte 1943 als Stenotypistin in das KZ kam und im Geschäftszimmer des Kommandanten Paul Werner Hoppe gearbeitet habe. Durch ihre Hände, so beschrieb sie es damals gegenüber einem Ermittlungsrichter, der sie als Zeugin vernahm, sei der gesamte Schriftverkehr mit dem SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt gegangen. Auch Fernschreiben und Funksprüche habe der KZ-Kommandant diktiert. Auch die eingehende Post ging über das Geschäftszimmer, sagte F. aus.
Rädchen in der Todesmaschinerie: Prozess gegen KZ-Sekretärin
Vor dem Landgericht Itzehoe sollte sich ab Donnerstag die ehemalige Sekretärin des Konzentrationslagers Stutthof verantworten. Doch die Angeklagte kam nicht.
Dokumente über Vergasungen von Menschen seien ihr nicht bekannt geworden. Dass im Lager Häftlinge vergast wurden, habe sie nicht gewusst. Aber ihr Vorgesetzter Hoppe habe in einigen Fällen Exekutionen beantragt, erinnerte sie sich. An die Begründungen würde sie sich zwar nicht mehr erinnern, aber die Häftlinge hätten sich angeblich etwas zuschulden kommen lassen. Über die Exekutionen sei unter dem Personal auch gesprochen worden.
Auch im Prozess gegen ihren Vorgesetzten Hoppe sagte F. als Zeugin aus. Hoppe wurde 1957 vom Landgericht Bochum zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt, die er jedoch nicht vollständig absitzen musste.
Irmgard F., Stenotypistin des KZ Stutthof, in ihren jungen Jahren. Sie beteuert, dass sie von der Todesmaschinerie nichts gewusst hat.
Im Jahr 1964 wurde F. erneut als Zeugin in einem Verfahren befragt, außerdem äußerte sie sich gegenüber einem Staatsanwalt in einem Schreiben 1966 zu ihrer Tätigkeit im KZ. Das Krematorium des Konzentrationslagers habe sie aus der Entfernung gesehen, sagte sie in einer Vernehmung im April 1982. Ermittler des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen befragten F. damals auch zu den SS-Männern im Lager, mit denen F. angeblich kaum Kontakt gehabt habe.
Ermittlungen laufen seit 2016
Die Staatsanwaltschaft Itzehoe ermittelte seit 2016 gegen Irmgard F. wegen Beihilfe zum Mord im KZ Stutthof. Im Februar 2017 besuchten ein Itzehoer Staatsanwalt, eine Beamtin des Landeskriminalamtes aus Kiel und ein Beamter die Beschuldigte in ihrem Zimmer in ihrem Pflegeheim in Quickborn (Kreis Pinneberg). Knapp drei Jahre zuvor war F. von Schleswig in das Heim gezogen.
Gegenüber den Ermittlern äußerte F. vor allem ihr Unverständnis über die Vorwürfe. Die Ermittlungen bezeichnete F. laut eines Vermerks des Staatsanwalts mehrmals als lächerlich. Sie verstehe nicht, was ein solches Verfahren am Ende ihres Lebens bringe, sagte die damals 92-Jährige. Auch nachdem der Staatsanwalt ihr erklärte, dass die späten Ermittlungen aufgrund einer geänderten Rechtsauffassung stattfänden, konnte F. den Vorwurf der Beihilfe zum Mord nicht nachvollziehen. Sie habe ein reines Gewissen und niemanden getötet, sagte sie. Bei der Durchsuchung ihres Zimmers fanden die Beamten keine Beweise wie etwa alte Unterlagen. Diese seien, so erklärte F., bei ihrem Umzug ins Heim vernichtet worden.
Auch im Gespräch mit dem NDR: "Habe nichts gewusst"
Als Irmgard F. Ende 2019 von einem NDR Reporter im Pflegeheim besucht wurde, bestätigte sie auch hier, dass sie im KZ Stutthof tätig war. Damals lief noch das Ermittlungsverfahren gegen sie. F. glaubte nicht daran, dass sie sich für ihre Tätigkeit in Stutthof vor Gericht verantworten müsste. Von Mordtaten habe sie nichts gewusst. Ihr Bürofenster, erklärte F. dem NDR, habe in die vom Lager abgewandte Richtung gezeigt. Von der Tötungsmaschinerie, der während ihrer Dienstzeit nur wenige Meter von ihr Zigtausende Menschen zum Opfer fielen, habe sie nichts gewusst.
Die jüngsten Äußerungen von Irmgard F.
Am ersten Prozesstag in Itzehoe Ende September bleibt die Angeklagte dem Gericht fern.
In der nichtöffentlichen Sitzung machte F. nach NDR Informationen auch Angaben zu dem Tatvorwurf. Sie habe im KZ Stutthof nur in der Verwaltung gearbeitet, sagte sie dem Gericht. Dabei habe sie sich nichts zuschulden kommen lassen. Sie sei unschuldig, beteuerte die ehemalige KZ-Sekretärin. Häftlinge des Lagers habe sie gar nicht gesehen.
Sie sei dienstverpflichtet worden und habe im KZ Stutthof arbeiten müssen. Das Lager habe sie auch nicht betreten, erklärte die Angeklagte dem Gericht. Lagerkommandant Hoppe sei immer ganz menschlich zu ihr gewesen, sagte F. am Abend nach ihrer Flucht. Die 96-Jährige wies auch darauf hin, dass sie bereits bei Verfahren in der Vergangenheit ausgesagt habe. Wieso hätte man sie dann dort nicht festgenommen, wollte F. wissen.
Verteidigung zweifelt Tatverdacht an
Ihr Verteidiger Wolf Molkentin zweifelte im Zuge der Eröffnung des Haftbefehls daran, dass überhaupt ein dringender Tatverdacht gegen seine Mandantin wegen Beihilfe zum Mord bestehe. Damit ein Gericht einen Verdächtigen in Untersuchungshaft nehmen kann, bedarf es laut Gesetz eines dringenden Verdachts, dass der Beschuldigte die Tat begangen hat.
U-Haft wegen Unwillens, zum Prozess zu erscheinen
Weil F. erklärte, sie werde auch zu weiteren Prozesstagen nicht erscheinen, schickte das Gericht die Rentnerin zunächst in Untersuchungshaft. Vier Tage später gab die Strafkammer einer Haftbeschwerde von F.s Verteidigern statt und setzte den Haftbefehl außer Vollzug. Nun will das Gericht mithilfe einer "elektronischen Sicherungsmaßnahme", etwa einer Fußfessel, sicherstellen, dass die Angeklagte zum Prozess kommen wird.
Dieses Thema im Programm:
Schleswig-Holstein Magazin | 19.10.2021 | 19:30 Uhr
https://www.ndr.de/
HAMBURG
PROZESS GEGEN KZ-SEKRETÄRIN
„Sie zeigt sich ohne jedwede Einsicht“
Veröffentlicht am 05.12.2022 | Lesedauer: 3 Minuten
Von Bernhard Sprengel
Irmgard F. am Montag im Gerichtssaal. Der 97-Jährigen wird Beihilfe zum heimtückischen und grausamen Mord in mehr als 10.000 Fällen vorgeworfen
Quelle: AFP/MARCUS BRANDT
Als Sekretärin im KZ Stutthoff soll sich Irmgard F. (97) der Beihilfe zum tausendfachen Mord schuldig gemacht haben. Dessen sind sich Vertreter der Überlebenden sicher. Beim Strafmaß gehen die Forderungen auseinander. Für einen wäre eine Bewährungsstrafe das falsche Signal.
Im Prozess gegen eine frühere Sekretärin im KZ Stutthof hat sich einer der 15 Nebenklagevertreter gegen eine Bewährungsstrafe für die 97 Jahre alte Angeklagte ausgesprochen. „Eine Bewährungsstrafe ist das falsche Signal“, sagte Anwalt Christoph Rückel am Montag in seinem Plädoyer vor dem Landgericht Itzehoe.
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Defendant Irmgard F, a former secretary for the SS commander of the Stutthof concentration camp, waits for the continuation of her trial at court in Itzehoe, northern Germany, on December 6, 2022. - The first woman to be prosecuted for Nazi-era crimes in decades, Irmgard F. is charged with complicity in the murder of more than 10,000 people at Stutthof concentration camp in then occupied Poland. (Photo by Marcus Brandt / POOL / AFP) / GERMAN COURT REQUESTS THAT THE FACE OF THE DEFENDANT MUST BE MADE UNRECOGNISABLE
STUTTHOF-PROZESS
Ehemalige KZ-Sekretärin bricht doch noch ihr Schweigen
Der Strafzweck der Generalprävention müsse beachtet werden, auch mit Blick auf aktuelle Folter, Morde und Entführungen von Kindern in der Ukraine. Ausgrenzung, Diskriminierung und Antisemitismus fänden jeden Tag statt. Eine Strafaussetzung zur Bewährung würde zudem signalisieren, dass sich das lange Warten bei der Strafverfolgung auszahlen würde.
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Das Tor zum ehemaligen KZ Stutthof in Polen: Die Deutschen ermordeten hier etwa 65.000 Frauen, Männer und Kinder
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Dann lässt es der Richter beim Besuch des früheren KZ fast zum Eklat kommen
Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass die Angeklagte sich im Alter von 18 und 19 Jahren der Beihilfe zum heimtückischen und grausamen Mord in mehr als 10.000 Fällen schuldig gemacht hat. Irmgard F. soll von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur des Konzentrationslagers bei Danzig gearbeitet haben. Die Staatsanwältin hatte am 22. November eine Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung gefordert. Die Angeklagte hat seit Beginn des Prozesses vor über 14 Monaten geschwiegen.
Appell an die Angeklagte, ihr Schweigen doch noch zu brechen
Die meisten Nebenklagevertreter haben sich bereits der Strafforderung der Staatsanwaltschaft angeschlossen. Rechtsanwalt Günther Feld, der die Stutthof-Überlebende Rose Zimler vertritt, erinnerte am Montag an die Geschichte des Holocaust. „Keine Strafe, die nach unserem Recht möglich wäre, wird dem gerecht, was da passiert ist, diesem einzigartigen Menschheitsverbrechen, dessen Teil auch Stutthof war“, sagte Feld.
Nebenklagevertreter Onur Özata warf der Angeklagten vor, sie sei Teil eines Unternehmens gewesen, dessen Geschäftsmodell der Mord gewesen sei. „Sie waren ein Handlanger des Bösen.“ Er appellierte an die 97-Jährige, ihr Schweigen zu brechen: „Helfen Sie uns, das Unvorstellbare zu begreifen!“
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„Die Leute waren hungrig und haben die Leichen aufgeschnitten“
Auch Rückel kritisierte das Schweigen der Angeklagten. Das dürfe ihr zwar nicht zum Nachteil ausgelegt werden. Aber sie habe auch den Erklärungen ihrer Verteidiger nicht ein einziges Mal widersprochen. „Sie zeigt sich ohne jedwede Einsicht.“ Dem Prozess habe sie sich zunächst nicht stellen wollen.
Dabei sei die Angeklagte damals in Stutthof nicht einfach nur morgens die Treppe zu ihrem Arbeitszimmer in der Kommandantur hinauf- und abends wieder hinabgestiegen. Das Leiden im Lager sei für jeden sichtbar gewesen, auch vom Kommandanturgebäude aus. „Das war kein Ferienlager“, sagte Rückel, der sechs Überlebende vertritt. Drei von ihnen, Josef Salomonovic, Asia Shindelman und Risa Silbert, haben im Prozess eindrucksvoll als Zeugen ausgesagt.
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23.08.2022, Schleswig-Holstein, Itzehoe: Die Angeklagte Irmgard F. wird zu Beginn des Prozesstages von einer Mitarbeiterin des Gerichtsmedizinischen Dienstes in den Gerichtssaal begleitet. Der Prozess gegen die ehemalige KZ-Sekretärin vor dem Landgericht Itzehoe wird fortgesetzt. Der 97-Jährigen wird Beihilfe zum Mord in über 11.000 Fällen im Konzentrationslager Stutthof zur Last gelegt. Foto: Christian Charisius/dpa/Pool/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
STUTTHOF-PROZESS
Zeugenaussage zu angeklagter KZ-Sekretärin sorgt für Aufsehen
Rückels Kollege Hans-Jürgen Förster stellte fest, dass die Angeklagte ihre Hilfsleistungen zum staatlich organisierten Massenmord „bewusst und gewollt“ erbracht habe. Sie habe zum reibungslosen Funktionieren des Lagers beigetragen, obwohl sie sich über die Verbrechen im Klaren gewesen sein müsse.
„Es war unausweichlich, dass sie die Grausamkeiten, die konkret lebensfeindlichen Bedingungen im Lager wahrgenommen hat.“ Der historische Sachverständige Stefan Hördler habe zudem ausgeführt, dass die Angeklagte sich um eine andere Arbeitsstelle hätte bewerben können.
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Förster stellte die Höhe der Strafe ins Ermessen des Gerichts. Der ehemalige Bundesanwalt betonte dabei: „Genugtuung erfahren die Opfer nur aus einem auch für die Angeklagte gerechten Urteil.“ Er bemängelte zugleich die lange Dauer des Verfahrens.
Kritik an Länge des Verfahrens
Allein das Ermittlungsverfahren habe vier Jahre gedauert. Das Hauptverfahren hätte beschleunigt werden können, indem der Verhandlungsort in die Nähe des Wohnorts der Angeklagten in Quickborn bei Hamburg verlegt worden wäre. Einer sogenannten Verzögerungsrüge von Förster schloss sich auch der Nebenklagevertreter Rajmund Niwinski an.
An diesem Dienstag soll die Verteidigung ihr Plädoyer halten und die Angeklagte Gelegenheit zu einem letzten Wort bekommen. Die Urteilsverkündung wird für den 20. Dezember erwartet.
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Prozess gegen frühere KZ-Sekretärin :Bewährungsstrafe gefordert
22. 11. 2022, 17:14 Uhr
Über ein Jahr läuft die Verhandlung gegen eine 97-jährige ehemalige KZ-Sekretärin. Nun forderte die Staatsanwaltschaft eine Jugend-Bewährungsstrafe.
Die Angeklagte Irmgard F. (l) sitzt zu Beginn des Prozesstages neben ihren AnwältenFoto: Marcus Brandt/dpa
BERLIN taz | Zwei Jahre Haft auf Bewährung wegen Beihilfe zum Mord im KZ: So lautet die Strafforderung der Staatsanwaltschaft gegen eine ehemalige Sekretärin des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig (heute Gdansk). In dem Prozess vor dem Landgericht Itzehoe trug Staatsanwältin Maxi Wantzen in ihrem Plädoyer zur Begründung vor, die heute 97-jährige Angeklagte habe sich der Beihilfe zum heimtückischen und grausamen Mord in mehr als 10.000 Fällen schuldig gemacht.
Nach Überzeugung der Anklage hat Irmgard F. mit ihrer Schreibarbeit in der Kommandantur des KZ dafür gesorgt, dass der Lagerablauf aufrecht erhalten werden konnte. Sie sei durch ihre Arbeitsbereitschaft eine wichtige Unterstützung des Lagerkommandanten und seiner Adjutanten gewesen.
Irmgard F., so die Staatsanwältin, habe als einzige Sekretärin des Kommandanten von den lebensfeindlichen Bedingungen und den Morden im KZ wissen müssen. Sie habe den Rauch beim Verbrennen der Leichen im Krematorium und auf einem Scheiterhaufen sehen können. Zwar habe sie das eingezäunte Lager selbst nicht betreten. „Das war aus meiner Sicht nicht erforderlich, um Kenntnis von den Massenmorden zu haben“, sagte Wantzen.
Seit einem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom September 2016 ist eine Verurteilung von KZ-Bediensteten auch dann möglich, wenn diesen kein individueller Mordvorwurf nachgewiesen werden kann. Es genügt, wenn diese mit ihrer Arbeit das mörderische Tun in einem Lager unterstützten.
Die vergleichsweise geringe Strafe entspricht exakt einem Urteil, dass vor gut zwei Jahren in einem anderen Stutthof-Prozess verhängt wurde. Das Landgericht Hamburg hatte im Juli 2020 den ehemaligen KZ-Wachmann Bruno D. ebenfalls zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt.
Flucht vor dem Prozess
Wie bei D. wird auch in dem Itzehoer Verfahren das Jugendstrafrecht verwandt. Irmgard F. war zum Zeitpunkt der ihr vorgeworfenen Taten erst 18 und 19 Jahre alt. Sie hat sich in ihrem Prozess bisher kein einziges Mal zu den Vorwürfen geäußert. Allerdings machte sie zu Beginn des Verfahren im September 2021 mehr als deutlich, was sie von dem Verfahren hält: Damals tauchte die in einem Seniorenheim lebende Frau nicht im Gerichtssaal auf, sondern entzog sich dem Prozess durch eine Flucht mit dem Taxi an die Hamburger Stadtgrenze. Dort wurde sie noch am gleichen Tag von der Polizei gefasst und kam wegen drohender Fluchtgefahr anschließend kurzzeitig in Untersuchungshaft.
Irmgard F. arbeitete von Juni 1943 bis zum April 1945 als sogenannte Zivilangestellte in der KZ-Kommandantur. In Vernehmungen vor dem Prozessbeginn hatte sie davon gesprochen, für die „Wehrmacht Danzig“ gearbeitet zu haben. Ein historischer Sachverständiger in dem Verfahren widersprach dieser Version des Tatgeschehens.
Anfang November hatte das Gericht die Gedenkstätte Stutthof in Polen besucht und dabei auch das frühere Gebäude der Kommandantur besichtigt. Dem Protokoll dieses Ortstermins zufolge habe die Angeklagte damals beim Blick aus dem Fenster des Geschäftszimmers das sogenannte Neue Lager sehen können, zu dem auch das „Judenlager“ mit besonders furchtbaren Haftbedingungen gehörte. Ähnlich war die Aussicht aus dem Raum des KZ-Kommandanten Werner Hoppe. Der Blick aus einem dritten Raum, der in der NS-Zeit als Magazin diente, ließ die Baracken des Alten Lagers, das Krematorium und die Vergasungsanlage erkennen.
Der Prozess wird in der nächsten Woche mit den Plädoyers der Nebenklage fortgesetzt. Mit einem Urteil ist für das Jahresende zu rechnen. Die Anklage äußerte die Vermutung, dass dies das letzte Verfahren gegen einen mutmaßlichen NS-Täter sein könnte. Doch im bayerischen Coburg ermittelt die Staatsanwaltschaft derzeit gegen einen Wachmann des KZ Ravensbrück.
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Prozess gegen frühere KZ-Sekretärin :Menschen und Brennholz, geschichtet
Per Video sagte ein Zeuge im Verfahren gegen die KZ-Sekretärin Irmgard F. aus. Er schilderte die systematische Vernichtung von Juden detailliert.
1. 7. 2022, 17:00 Uhr
ITZEHOE taz | Die Worte fallen leise – und hallen nach. „In meinem Herzen, in meinem Kopf, in meiner Seele gibt es das Lager immer noch“, sagte Marek Dunin-Wasowicz. Im Verfahren vor dem Landgericht Itzehoe gegen die die ehemalige Sekretärin des Kommandanten, Irmgard Furchner, berichtete der Überlebende – wegen „meines Rechts und meiner Pflicht gegenüber den Ermordeten“. Er wolle auch ein mahnendes „Zeugnis“ ablegen „wegen des wiedergekommenen Nationalismus“ und „der imperialistischen Attacke Russlands“ gegen die Ukraine.
Von weit her aus einem Amtsgericht in Warschau sprach er am Dienstag via Videoschaltung zu dem Landgericht. Gut 900 Kilometer entfernt, 77 Jahre nach der gelungenen Flucht. Entfernung und Zeit gehen bei den Schilderungen des 96-Jährigen aber in Nähe und Gegenwart über. „Der Geruch von verbrannten, menschlichen Leichen war überall.“ Die schwarze Rauchsäule der Öfen habe über dem Lager gestanden. Der Schornstein sei „der einzige Weg zur Freiheit“ gewesen, sagte Dunin-Wasowicz.
Dieser Gestank wurde noch stärker, als die SS wegen der vielen toten jüdischen Frauen Scheiterhaufen errichtete. Eine Schicht Holz, eine Schicht Menschen, eine Schicht Holz, eine Schicht Menschen, erinnert sich der Pensionär im dunklen Anzug und hellen Hemd.
Er erzählte auch von der allgegenwärtigen Gewalt und den ständigen Selektionen, von Vernichtung durch Gas oder Arbeit. Im Wald musste er zuerst arbeiten, verletzte sich selbst einen Fuß schwer, um zu überleben. Er kam in die Krankenstation, später arbeitete er als Lagerist.
Die letzten Lebenden mussten auf einen Todesmarsch
Im Januar 1944 zwang die Gestapo die noch Lebenden zum „Todesmarsch“, einzelne Menschen wollten ihnen Essen geben, das Wachpersonal aber schmiss es in den kniehohen Schnee, schilderte Dunin-Wasowicz. Mit seinem älteren Bruder war er im Mai des Jahres 1944 in das KZ gekommen. Sie hatten den Widerstand gegen die Wehrmacht unterstützt – wie die Eltern.
Dass es für ihn anstrengend war – auch nicht zu „emotional zu werden“, wie er einwarf – war ihm deutlich anzumerken. Am 30. Oktober 2019 wirkte Dunin-Wasowicz noch körperlich gesünder, da hatte er schon einmal als Zeuge ausgesagt – gegen den SS-Wachmann Bruno Dey im KZ Stutthof. Vor dem Landgericht schilderte er damals sehr genau, wie Tausende jüdische Menschen im Herbst 1944 streng bewacht ankamen, aber „nicht registriert“ wurden. Sie „bekamen keine Nummer wie andere Inhaftierte, sie blieben anonym, nur gekennzeichnet durch einen Davidstern“. „Auf einmal“ seien sie „weg“ gewesen. Und er beklagte eine „Krankheit“: „Gleichgültigkeit“ gegenüber dem Leid anderer, froh zu sein, nicht selbst misshandelt zu werden.
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2020 hatte das Gericht Dey wegen Beihilfe zum Mord in 5.232 Fällen und wegen Beihilfe zu einem versuchten Mord zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. In Itzehoe erschien Dey nun als Zeuge. Dass in der Kommandantur „Zivilangestellte“ tätig waren, wollte der 95-Jährige nicht gewusst haben.
Seit dem 19. Oktober 2021 muss sich Elisabeth Furchner wegen Beihilfe zum Mord in 11.380 Fällen zwischen 1943 und 1945 in dem KZ vor Gericht verantworten. Die 97-Jährige, die vor Prozessauftakt fliehen wollte, hatte sich zu Beginn des Verfahrens gebrechlich gegeben. Den Worten von Dunin-Wasowicz aber hörte sie konzentriert zu.
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Richter und Anwälte nehmen ehemaliges KZ in Augenschein
77 Jahre nach NS-Verbrechen im KZ Stutthof verschafft sich ein Gericht einen Eindruck von dem ehemaligen Lager. Die Richter wollen wissen, was eine Sekretärin damals von ihrem Arbeitsplatz aus sehen konnte.
04. November 2022 - 20:10 Uhr | dpa
Richter des Landgerichts Itzehoe und historische Experten besichtigen das ehemalige Konzentrationslager im Rahmen eines Prozesses gegen die ehemalige KZ-Sekretärin Irmgard F..
Itzehoe
Im Prozess gegen eine frühere Sekretärin im KZ Stutthof haben am Freitag zwei Richter das ehemalige deutsche Lager bei Danzig in Polen besucht. Ein historischer Sachverständiger, der sie begleitete, wollte ihnen die Örtlichkeiten zur Zeit der NS-Herrschaft erläutern.
Der Besuch in dem ehemaligen KZ war Teil des Prozesses gegen Irmgard F., die 1943 bis 1945 als Zivilangestellte in dem Lager gearbeitet haben soll. Die Staatsanwaltschaft wirft der 97-Jährigen vor, als Schreibkraft Beihilfe zum systematischen Mord an mehr als 11 000 Gefangenen geleistet zu haben. Die Angeklagte äußerte sich bislang nicht vor Gericht.
Bei ihrem Besuch wollten die Richter klären, welche Bereiche des Lagers die Angeklagte damals von ihrem Arbeitsplatz aus sehen konnte. Zentral für den Prozess ist die Frage, was für sie als Schreibkraft von den verübten Verbrechen wahrnehmbar war. Die Richter wollen nach Angaben der Sprecherin beim nächsten Prozesstermin über die Inaugenscheinnahme des ehemaligen Lagers berichten.
Ungewöhnlicher Besuch eines deutschen Gerichts
Offizielle Besuche von deutschen Gerichten an den Orten der NS-Verbrechen in Polen sind ungewöhnlich. Im Frankfurter Auschwitz-Prozess hatte das Gericht 1964 das ehemalige Vernichtungslager in Augenschein genommen. Auch im über fünf Jahre dauernden Majdanek-Prozess vor dem Landgericht Düsseldorf (1975-1981) waren die Richter an den Tatort gereist, wie der Anwalt und ehemalige Kölner Staatsanwalt Günther Feld erklärte. In einem weiteren Prozess gegen den SS-Unterscharführer Heinrich Kühnemann begab sich das Gericht Anfang der 90er Jahre nach Auschwitz.
Stutthof sei ein relativ überschaubares Lager gewesen, hatte eine Richterin als Zeugin in Itzehoe gesagt. Vom zweiten Stock der Kommandantur aus habe man "einen ganz guten Überblick" gehabt. Die Berliner Juristin war 2014 bis 2016 bei der Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg tätig gewesen und hatte die Vorermittlungen gegen Irmgard F. eingeleitet.
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Stutthof-Prozess: Verteidigung stellt Befangenheitsantrag
Stand: 21.11.2022 17:02 Uhr
Der Stutthof-Prozess gegen eine 97 Jahre alte Frau vor dem Landgericht Itzehoe geht langsam dem Ende entgegen. Doch bevor die Plädoyers gehalten werden können, muss die Strafkammer noch über einen Befangenheitsantrag entscheiden.
Sachverständiger Stefan Hördler spielt im Prozess eine zentrale Rolle.
Zum Ende der Beweisaufnahme im Prozess gegen eine ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof hat die Verteidigung vor dem Landgericht Itzehoe (Kreis Steinburg) am Montag beantragt, den historischen Sachverständigen Stefan Hördler wegen Befangenheit abzulehnen. Rechtsanwalt Wolf Molkentin begründete den Antrag unter anderem damit, dass Hördler in einer problematischen Doppelrolle als Gutachter und Ermittler tätig gewesen sei. Bei seiner Mandantin bestehe die Sorge, dass Hördler nicht ausreichend unvoreingenommen sei. Hördler habe gegenüber der Staatsanwaltschaft Erwartungen zum Ergebnis seines Gutachtens geweckt, die sich dann als nicht haltbar erwiesen hätten.
Richter kündigt Entscheidung für Dienstag an
Der Vertreter der Nebenklage, Christoph Rückel, hielt Rechtsanwalt Molkentin entgegen, dass Historiker auf Quellen angewiesen seien. Deren Auswertung sei keine staatsanwaltschaftliche Ermittlung, sondern wissenschaftliches Arbeiten. Auch die Staatsanwaltschaft wies den Antrag als unbegründet und nicht nachvollziehbar zurück. Der Vorsitzende Richter der Strafkammer, Dominik Groß, kündigte eine Entscheidung für Dienstag an. Sollte das Gericht den Antrag ablehnen und keine weiteren Beweisanträge gestellt werden, könnte die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer halten.
Weitere Anträge gegen Sachverständigen Hördler
Die Strafkammer wies am Montag weitere Anträge ab. Dabei ging es um Hördlers Rolle bei einer Inaugenscheinnahme des früheren Konzentrationslagers. Der Historiker hatte Anfang November zwei Richter bei einem Besuch der polnischen Gedenkstätte begleitet. Die Verteidigung stellte die Unbefangenheit des Gutachters dabei in Frage, die Nebenklagevertreter wollten die Bedenken durch eine erneute Ladung des Zeugen ausräumen.
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STUTTHOF-PROZESS
Befangenheitsantrag gegen Historiker gestellt
21.11.2022, 15:44
Der Stutthof-Prozess gegen eine 97 Jahre alte Frau in Itzehoe geht langsam dem Ende entgegen. Doch bevor die Plädoyers gehalten werden können, muss die Strafkammer des Landgerichts Itzehoe noch über einen Befangenheitsantrag entscheiden.
Zum Ende der Beweisaufnahme im Prozess gegen eine ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof hat die Verteidigung beantragt, den historischen Sachverständigen Stefan Hördler wegen Befangenheit abzulehnen. Rechtsanwalt Wolf Molkentin begründete den Antrag vor dem Landgericht Itzehoe am Montag unter anderem damit, dass Hördler in einer problematische Doppelrolle als Gutachter und Ermittler tätig gewesen sei. Bei seiner Mandantin bestehe die Besorgnis, dass Hördler nicht ausreichend unvoreingenommen sei.
Hördler habe gegenüber der Staatsanwaltschaft Erwartungen zum Ergebnis seines Gutachtens geweckt, die sich dann als nicht haltbar erwiesen hätten.
Nebenklagevertreter Christoph Rückel hielt Molkentin entgegen, Historiker seien auf Quellen angewiesen. Deren Auswertung sei keine staatsanwaltschaftliche Ermittlung, sondern wissenschaftliches Arbeiten. Auch die Staatsanwaltschaft wies den Antrag als unbegründet und nicht nachvollziehbar zurück.
Der Vorsitzende Richter der Strafkammer, Dominik Groß, kündigte eine Entscheidung für Dienstag an. Sollte das Gericht den Antrag ablehnen und keine weiteren Beweisanträge gestellt werden, könnte die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer halten.
Die Angeklagte Irmgard F. soll von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig gearbeitet haben. Die Staatsanwaltschaft wirft der 97-Jährigen vor, durch ihre Schreibarbeit Beihilfe zum systematischen Mord an mehr als 11.000 Gefangenen geleistet zu haben. Die Angeklagte hat sich in dem seit über einem Jahr laufenden Prozess bislang nicht zu dem Vorwurf geäußert.
Die Strafkammer wies am Montag weitere Anträge ab. Dabei ging es um Hördlers Rolle bei einer Inaugenscheinnahme des früheren Konzentrationslagers. Der Historiker hatte Anfang November zwei Richter bei einem Besuch der polnischen Gedenkstätte begleitet. Die Verteidigung stellte die Unbefangenheit des Gutachters dabei in Frage, die Nebenklagevertreter wollten die Bedenken durch eine erneute Ladung des Zeugen ausräumen.
Außerdem verlas der Vorsitzende Richter die schriftliche Zeugenaussage einer Stutthof-Überlebenden. Darin schilderte die nach dem Krieg in die USA ausgewanderte Frau, auf welch grausame Weise ihre Eltern, ihr jüngerer Bruder und sie selbst von den Nazis in verschiedenen Lagern, darunter dem KZ Stutthof, behandelt wurden. Ihr Vater und ihr Bruder wurden ermordet. Sie selbst entkam wenige Tage vor Kriegsende gemeinsam mit ihrer Mutter nur knapp dem Tod. "Wir sind trotz allem Menschen geblieben, als die Nazis längst aufgehört hatten, Menschen zu sein", schrieb die Zeugin. Sie habe später nie mit ihrer Mutter, die 1991 im Alter von 93 Jahren starb, über die Ereignisse sprechen können.
Mitteilung des Gerichts vom 17.11.22 Mitteilung des Gerichts zur Eröffnung des Hauptverfahrens vom 16.7.21
dpa
https://www.stern.de
Stutthof: Verteidigung verblüfft im KZ-Prozess mit Last-Minute-Antrag
STUTTHOF
Aktualisiert: 21.11.2022, 18:15 |
Arne Kolarczyk
Die Angeklagte Irmgard F. sitzt zu Beginn des Prozesstages im Gerichtssaal. Der Prozess gegen die frühere Sekretärin im Konzentrationslager Stutthof wird vor dem Landgericht Itzehoe fortgesetzt. Der 97-Jährigen wird Beihilfe zum Mord in über 11.000 Fällen zur Last gelegt.
Ein Ablehnungsgesuch soll die Verurteilung der 97-jährigen Angeklagten verhindern. Die Staatsanwältin weist den Vorwurf zurück.
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ÜBERLEBENDER IM NS-PROZESS
„Vielleicht schläft sie so wie ich. Schlecht“
Veröffentlicht am 07.12.2021 | Lesedauer: 5 Minuten
Frederik Schindler
Von Frederik Schindler
Politikredakteur
Josef Salomonovic hat als Sechsjähriger das KZ Stutthof überlebt: „Ich durfte nicht weinen, weil meine Mutter es mir verboten hat“
Josef Salomonovic: „Ich durfte nicht weinen, weil meine Mutter es mir verboten hat“
Quelle: AFP
Als Sechsjähriger überlebt Josef Salomonovic das Konzentrationslager Stutthof. Für den Prozess gegen die einstige dortige Chefsekretärin Irmgard Furchner kommt er aus Wien und sagt als Zeuge aus. Seine Erinnerungen spiegeln das Grauen seiner Kindheit.
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Es ist das erste Mal, dass Josef Salomonovic vor Gericht über das Grauen spricht, das er im Nationalsozialismus erlebt hat. Der Holocaust-Überlebende ist aus Wien nach Itzehoe in Schleswig-Holstein angereist, um vor dem dortigen Landgericht als Zeuge auszusagen. Angeklagt ist die Chefsekretärin des Konzentrationslagers Stutthof, Irmgard Furchner. Der 96-Jährigen wird vorgeworfen, in Stutthof zwischen Juni 1943 und April 1945 Beihilfe zum Mord in 11.430 Fällen sowie Beihilfe zum versuchten Mord in 18 Fällen geleistet zu haben.
„Ich erzähle das nicht gerne“, sagt Salomonovic, als der Vorsitzende Richter Dominik Groß ihn bittet, von seiner Kindheit zu berichten. Der im tschechischen Ostrau Geborene wird im Alter von dreieinhalb Jahren gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder ins Getto Litzmannstadt nach Lodz deportiert. „Ich habe eine Frau brüllen gehört, der man ihr Kind weggenommen hat“, sagt der 83-Jährige. „Ich durfte nicht weinen, weil meine Mutter es mir verboten hat.“
„Dieser Dreck muss weg“
Als das Getto während des Vorrückens der Roten Armee geräumt wird, kommt die Familie im Juni 1944 für eine Zwischenstation in das Konzentrationslager Auschwitz. Bei der Ankunft sieht Salomonovic seinen Vater zum letzten Mal. „Seine linke Hand war gelb von Zigaretten. Er hat mich geküsst, und ich habe seine Hand gehalten. Die Deutschen standen zehn Meter weiter mit einem Hund.“ Die Köpfe der Häftlinge werden rasiert, Kleidung und Schmuck müssen abgegeben werden.
Nach wenigen Tagen werden die Salomonovics dann nach Stutthof gebracht – der sechsjährige Josef mit seiner Mutter Dora in den Frauenblock, sein älterer Bruder Michal mit seinem Vater Erich in den Männerblock. „Das Schlimmste waren der Hunger und die Kälte“, berichtet der Zeuge. „Es ist schwer, heute Kindern dieses Gefühl zu erklären.“ Bei ständigen Zählappellen kann er meist zwischen den Beinen seiner Mutter stehen. „Sie hat mich gewärmt, ich habe sie gewärmt. Das ist mir geblieben, das weiß ich noch.“ Weil der Vater erkrankt, wird er nach einigen Wochen mit einer Benzolspritze ins Herz ermordet.
Josef Salomonovic zeigt ein Foto seines Vaters: „Er wurde nur 41 Jahre alt“
Quelle: Frederik Schindler
Salomonovic hat ein ausgedrucktes Foto seines Vaters mit nach Itzehoe gebracht. Er zeigt es dem Richter und wendet sich dann der Angeklagten zu. „Das ist mein Vater. Er wurde nur 41 Jahre alt.“ Irmgard Furchner sieht das Foto an, reagiert jedoch nicht. „Vielleicht schläft sie so wie ich. Schlecht“, sagt Salomonovic.
Für den Kommandanten des Konzentrationslagers, SS-Sturmbannführer Paul Werner Hoppe, erstellt Furchner in Stutthof Deportationslisten, tippt Exekutionsbefehle ab und „arbeitete dem Chef in die Hand“, wie es der Sachverständige Stefan Hördler an einem früheren Verhandlungstag ausdrückte. „Das Geschäftszimmer war die zentrale Drehscheibe.“ Die systematischen Tötungen und Vernichtungstransporte werden damals in ihrer Abteilung gesteuert.
Irmgard Furchner, 96: Laut Anklage hat sie „die reibungslose Funktionstüchtigkeit des Lagers“ gesichert
Quelle: Getty Images
In der Anklage heißt es, dass Furchner „die reibungslose Funktionstüchtigkeit des Lagers“ gesichert habe und sie aus ihrer Tätigkeit heraus „Kenntnis von allen Geschehnissen und Vorgängen im Konzentrationslager“ gehabt habe, die dem Lagerkommandanten bekannt waren. Die Ausführung des staatlich angeordneten Massenmordes – Tötungen durch Genickschüsse, Vergasungen und der „Herbeiführung und Aufrechterhaltung lebensfeindlicher Bedingungen – habe sie „durch ihre Schreibtätigkeit unterstützt“. Furchner gibt ihre Tätigkeit für den Lagerkommandanten zwar zu, bestreitet jedoch, das Häftlingslager jemals betreten zu haben. Auch an diesem Prozesstag schweigt sie zu den Vorwürfen. Lediglich ihr Verteidiger Wolf Molkentin erklärt nach der Zeugenaussage, dass er auch für seine Mandantin seinen „Respekt und tiefes Mitgefühl“ versichern wolle.
Gescheiterte Flucht – 96-Jährige gefasst
Die zwischenzeitlich geflohene 96-jährige Angeklagte im Prozess um NS-Verbrechen im Konzentrationslager Stutthof ist gefasst worden. Ihr wird Beihilfe zum Mord in über 11.000 Fällen vorgeworfen.
Quelle: WELT
Salomonovics Leidensgeschichte endet nicht in Stutthof. Nach knapp drei Monaten wird er mit seiner Mutter und seinem Bruder in einem Viehwaggon in ein Außenlager des KZ Flossenbürg gebracht, eine Zwangsarbeiterfabrik in Dresden. Dort muss seine Familie Munition für die Deutschen herstellen. Als am 12. Februar 1945 die Fabrik kontrolliert wird und der Junge in einem Wäschekübel kauert, sagt nach Salomonovics Angaben ein SS-Mann: „Dieser Dreck muss weg.“ Salomonovic soll am nächsten Tag erschossen werden – doch weil die Luftstreitkräfte Großbritanniens und der USA ab diesem Tag Dresden bombardieren, überlebt der Junge.
„Alle Häuser waren kaputt“, erinnert er sich. „Das erste Mal nach Jahren habe ich wieder schöne Menschen mit Haaren gesehen, aber sie waren tot. Sie lagen in zwei Schichten auf der Straße, bis sie abtransportiert wurden.“
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Der Vorsitzende Richter Dominik Groß kommt in den Gerichtssaal. Irmgard Irmgard Furchner wird Beihilfe zum Mord in über 11.000 Fällen zur Last gelegt
NS-PROZESS IN ITZEHOE
„Sie konnte verbranntes Menschenfleisch riechen“
Die SS jagt die Familie Richtung Zwodau. „Die Deutschen haben uns nicht aus Liebe mitgenommen, es war der Todesmarsch“, sagt Salomonovic. „Lieber Gott, lass mich sterben, ich kann nicht mehr“, fleht er damals. Es ist das letzte Mal in seinem Leben, dass er zu Gott spricht. Als Bomben fallen, können Mutter und Söhne sich in einen Straßengraben retten und fliehen. Drei Tage später werden sie in einer Scheune von den Amerikanern befreit.
Nach der Verhandlung erzählt Salomonovic, dass es für ihn unangenehm gewesen sei, mit der angeklagten KZ-Sekretärin in einem Raum zu sein. Zuvor hatte er seinen Anwalt gefragt, ob es auch möglich sei, dass Furchner sich während seiner Aussage in einem anderen Raum befindet. „Sie ist indirekt schuldig, auch wenn sie nur im Büro gesessen und einen Stempel auf den Todesschein meines Vaters gesetzt hat“, sagt er. „Es war eine absolute Überwindung, hierherzukommen. Doch es ist eine moralische Pflicht.“
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NS-Verbrechen: Sie waren Mörder
16. November 2021, 18:40 Uhr
Die bis heute geltende deutsche Rechtsprechung zum Holocaust kennt nur drei Täter. Aber was ist mit den Zehntausenden, die ihnen assistiert haben?
Kommentar von Ronen Steinke
Der gesamte Holocaust, das System aus etwa 7000 Konzentrations- und Vernichtungslagern sowie Ghettos, dieses gesamte Massenverbrechen kann man bis heute nur drei Tätern vorwerfen. Ja, richtig gelesen: Mehr waren es nicht, nur diese drei Täter tragen die alleinige Verantwortung, ihre Namen sind Hitler, Himmler und Heydrich. All die anderen, die Tausenden, die Genickschüsse abgefeuert haben, Menschen in Gruben getreten, bespuckt, beschimpft und ausgelacht haben, in Gaskammern hineingeprügelt und mit Giftgas ermordet, all die, die nach 1945 noch am Leben waren, sie waren bloß willenlose Gehilfen.
Bitte, was?! Was soll das sein, eine selbstgerechte deutsche Apologie aus den 1950er-Jahren? Verniedlichendes Gerede, wie man es von AfD-Politikern wie Alexander Gauland kennt? Nein, schlimmer: Dies ist, zusammengefasst, die bis heute geltende deutsche Rechtsprechung zum Holocaust, bis hinauf zum Bundesgerichtshof. Nur drei Täter hätten das Menschheitsverbrechen ins Werk gesetzt, diese seltsame, konstruierte Sichtweise haben in den Nachkriegsjahren deutsche Gerichte ersonnen. So schufen sie einen bequemen Ausweg, der es ihnen ermöglichte, Zehntausende von KZ-Mördern als bloße "Gehilfen" einzustufen und billig davonkommen zu lassen oder ihre Verfahren gleich von vornherein einzustellen.
Der 96-jährigen Irmgard F. wird nur Beihilfe zum Mord vorgeworfen - warum eigentlich?
Man vergisst heute leicht, wie weit neben der Spur die deutsche Rechtsprechung zu den NS-Verbrechen jahrzehntelang gewesen ist, wenn man sich jetzt, da vereinzelt über 90-Jährige vor Gericht stehen, vor allem in kleinen Nahaufnahmen mit einzelnen, mitunter auch positiven Entwicklungen der jüngeren Rechtsprechung beschäftigt. Man übersieht auch leicht, wie weit neben der Spur sie im Großen und Ganzen bis heute ist. Auch wenn man nach Itzehoe blickt, wo eine mutmaßliche ehemalige KZ-Sekretärin angeklagt ist, Irmgard F. Die 96-Jährige muss sich vor dem Landgericht in Schleswig-Holstein verantworten.
[...]
Der Vorwurf: Sie soll als Assistentin des Lagerkommandanten das Morden mitorganisiert haben. Aus ihrem Fenster konnte sie direkt hinabsehen auf das Geschehen im Konzentrationslager Stutthof, das sie durch den von ihr verfassten Schriftverkehr mit am Laufen hielt. Aber angeklagt ist Irmgard F. nun wegen keines einzigen der vielen Morde, die in diesem KZ tagein, tagaus verübt wurden. Von einer lebenslangen Freiheitsstrafe spricht niemand, nicht einmal die Staatsanwaltschaft. Sondern nur von Beihilfe, zu rechnen ist mit ein, zwei Jahren Gefängnis, wahrscheinlich zur Bewährung, fast so, als sei das Irmgard F. vorgeworfene Delikt - der Betrieb eines Mordunternehmens - klein.
Fast alle, die am Holocaust beteiligt waren, sind zu Gehilfen herunterdefiniert worden
So sind bis heute die juristischen Maßstäbe in Deutschland, wenn es um den Holocaust geht. Beinahe alle, die daran beteiligt waren, sind zu bloßen Gehilfen herunterdefiniert worden. Die Schützen am Gewehr, weil sie in der Hierarchie so weit unten gestanden und nichts zu melden gehabt hätten; die Schreibtischtäter in der Stube, weil sie in der Hierarchie so weit entrückt gewesen seien und kein Blut an den Händen gehabt hätten; selbst der stellvertretende Kommandant von Auschwitz, Robert Mulka, ist 1965 wegen bloßer Beihilfe verurteilt worden - gegen den lautstarken Protest des couragierten Anklägers Fritz Bauer. Allenfalls die wenigen Beschuldigten, die eigenmächtig über den NS-Tötungsplan hinausgingen, sind von Gerichten als "Exzesstäter" zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Und das ist die Ausnahme.
Die Regel ist: Wenn ein Mensch einen anderen tötet, dann ist das Mord; wenn aber ein paar Hundert Menschen eine rassistische Tötungsfabrik betreiben, ist fast keiner von ihnen ein Mörder, die Verantwortung diffundiert sozusagen gnädig in der Luft. Fast alle gelten dann nur noch als Gehilfen. Dieser juristische Dreh hat es der deutschen Justiz ermöglicht, bis zum heutigen Tag von etwa 140 000 NS-Verdächtigen, gegen die ermittelt wurde, nur etwa 2000 wegen Tötungsdelikten anzuklagen, wie der Historiker Andreas Eichmüller vor ein paar Jahren recherchierte. In nur etwas mehr als 200 Fällen erkannten die Richter dabei auf Mord, in knapp 500 Fällen auf Beihilfe zum Mord, in gut 300 auf Totschlag oder Beihilfe dazu. Mehr nicht.
https://www.sueddeutsche.de/
NATIONALSOZIALISMUS
Stutthof-Prozess: "Meine ganze Seele ist eine Wunde"
Chaim Golani überlebte den Holocaust und ist Zeuge im Prozess gegen eine Sekretärin im KZ-Stutthof. Dass er meint, sich an sie zu erinnern, wirft Fragen auf für das Gericht.
06.09.2022
Eine Stunde lang schildert Chaim Golani per Video-Schalte aus Israel seine Erinnerungen an das deutsche Konzentrationslager in der Nähe von Danzig. Das stundenlange Appell-Stehen in der Dezemberkälte. Die Angst davor, von SS-Männern verprügelt und ausgepeitscht zu werden. Die Schale dünner Brühe und das Stück Brot, das Häftlinge als Tagesmahlzeit erhielten. Golani war damals 13 Jahre jung und Stutthof bereits sein drittes Lager. Seine Familie sollte er bis auf seinen Vater nie wieder sehen. Sie wurden in Litauen von den Deutschen ermordet.
Sklavenarbeit im Krematorium des KZs
Besonders erdrückend für die Mithörenden im Landgericht Itzehoe waren Golanis Erinnerungen aus dem Herzen der "Tötungsmaschinerie" Stutthof. Bereits wenige Wochen nach seiner Ankunft im Dezember 1943 wurde er zur Sklavenarbeit im Krematorium des KZs gezwungen. Dort musste er die Leichen anderer Häftlinge auf Wertgegenstände durchsuchen, ihre Schuhe abnehmen und sortieren.
"Den Gestank kann man sich nicht vorstellen, es war so schrecklich", sagt er, greift nach einem Taschentuch. Auf die Frage der Staatsanwältin, ob er noch Wunden aus dieser Zeit trage, antwortet er: "Körperlich nicht, zum Glück. Aber meine ganze Seele ist eine Wunde."
Hilfe bei systematischer Tötung
Zu der Zeit war die damals 18-jährige Irmgard F. in Stutthof im Dienst. Sie war die Sekretärin des Lagerkommandanten Paul-Werner Hoppe und steht deshalb seit Oktober 2021 vor Gericht. Laut Anklage der Staatsanwaltschaft soll sie "in ihrer Funktion als Stenotypistin und Schreibkraft [...] Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von dort Inhaftierten Hilfe geleistet haben". Über ihren Schreibtisch sollen auch Befehle von Exekutionen und Fernschreiben über Deportationen aus Warschau nach Stutthof oder aus Stutthof nach Auschwitz-Birkenau gegangen sein.
Von der Tötungsmaschinerie, der in unmittelbarer Nähe ihres Arbeitsplatzes Zehntausende zum Opfer fielen, will F. nichts gewusst haben. Sie leugne nicht die Shoa, habe jedoch keine Schuld auf sich geladen. Das ließ sie anfangs des Prozesses von ihrem Anwalt kundtun. Seitdem schweigt sie. Auch an diesem Dienstag. Mal schaut die 96-jährige mit einer FFP2-Maske vor Mund und Nase auf den Bildschirm, mal auf ihre Armbanduhr. Nur sichtlich irritiert wirkt sie, als Golani behauptet, er könne sich an sie erinnern.
"Wir hatten Angst vor dieser Frau"
Golani sagt, er könne sich an eine Frau in SS-Uniform und Stiefeln erinnern, die einen hochrangigen SS-Mann - den "Kommandanten" - immer begleitete. Ihn habe sie auf zu bestrafende Häftlinge hingewiesen. "Wir hatten Angst vor dieser Frau. Angst, ihr in die Augen zu schauen."
Dass es sich bei dieser Erinnerung um F. handelt, gilt allerdings unter Prozessbegleitern als unwahrscheinlich. Nach bisherigen Erkenntnissen spricht kaum etwas dafür, dass sich der Kommandant mit einer Zivilangestellten wie F. unter die Häftlinge begeben haben könnte. Golanis Anwalt, Hans-Jürgen Förster, erklärt, die Aussage reflektiere lediglich die "Machtfülle", die Häftlinge bei einem Befehlshaber - vermutlich aber nicht dem Lagerkommandanten - wahrgenommen hätten. Es sei also ein "Erinnerungsfehler".
Der Wettlauf gegen die Zeit in NS-Prozessen
Auch der 92-jährige Golani räumt später ein, dass er nicht mehr in der Lage sei, den Kommandanten oder seine Begleitung genauer zu beschreiben. Das liege auch daran, dass er aus eigener Erfahrung wusste, "dass es lebensgefährlich werden konnte, SS-Personal ins Gesicht zu schauen". Andere Punkte seiner Aussage bleiben ebenfalls offen. Beispielsweise das Datum der Ankunft Golanis und seines Vaters im KZ. Golani gibt an, es sei im Winter gewesen. Akten der Gedenkstätte Stutthof legen nahe, dass er zwischen August und September im Lager eingetroffen war.
Fast 80 Jahre nach den Ereignissen werden sich Golanis Erinnerungen kaum verifizieren lassen. Das ist jedem Gericht bewusst, dass späte NS-Prozesse verhandelt. Wichtig sei vor allem, dass die Betroffenen noch die Möglichkeit haben, ihre Geschichte zu erzählen, sagt Anwalt Onur Özata, der drei weitere KZ-Überlebende vor Gericht vertritt. Denn die Zeit läuft davon: Von 31 ursprünglichen Nebenklägern, Opfern und Familienmitgliedern, sind noch 29 am Leben. Ein Urteil ist jedoch nicht absehbar.
Chaim Golanis Geschichte wäre ohne den Prozess nie an die Öffentlichkeit gelangt. Zunächst hatte er jedoch nicht aussagen wollen. Erst nach mehreren Besuchen konnten der Direktor des Simon Wiesenthal Centers in Israel, Efraim Zuroff und dessen Frau ihn überreden. Nun sei er erleichtert, sagt Golani nach seiner Zeugenaussage im DW-Interview. Und ihm ginge es gar nicht mal um F.: "Ich habe es für meine Mutter, meine Schwestern, für die Opfer der Shoah getan. Jetzt ist es gut."
https://www.dw.com/de/
Katholische Kirche: Berufsverbrecher oder mildernde Umstände?
Jan Thieme
15. Februar 2022
Diskurs Hamburg
herausgegeben von Ulrike Trebesius & Jörn Kruse
Kommentare und Beiträge an: diskurshamburg@gmail.com
Was ist Beihilfe?
Dieser Tage muss sich eine 96 Jahre alte Frau vor dem Landgericht im holsteinischen Itzehoe wegen Beihilfe zum Mord in 11.000 Fällen verantworten. Die Angeklagte hatte von 1943 bis 1945 als Schreibkraft in der Kommandantur des KZ Stutthoff im damaligen Ostpreußen gearbeitet. Der Fall wird nach Jugendstrafrecht verhandelt, da die Angeklagte damals erst 17 Jahre alt war. Ihr wird keine direkte Tatbeteiligung vorgeworfen, sondern dass sie durch ihre Arbeit als Schreibkraft dem Funktionieren des KZ-Mordbetriebes beigeholfen habe.
Ein anderer Fall: Anfang Mai 1960 leitete der Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer ein Ermittlungsverfahren gegen die Teilnehmer der sog. Schlegelberger-Konferenz vom 23./24. April 1941 ein. Der amtierende Justizminister Schlegelberger hatte damals alle Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte des Deutschen Reiches sowie die Spitzen der Reichsgerichte zu dieser Konferenz beordert, um ihnen mitteilen zu lassen, dass sie künftig Strafanzeigen, die in ihren Zuständigkeitsbereichen wegen Euthanasie-Morden zur „Vernichtung unwerten Lebens“ eingingen, unbearbeitet an das Reichsjustizministerium weiterzuleiten hätten, sie also nicht zu bearbeiten hätten. Es waren zuvor derartige Strafanzeigen insbesondere von Angehörigen der Mordopfer eingegangen. Den Konferenzteilnehmern wurde ebenfalls keine direkte Tatbeteiligung vorgeworfen, zumal viele von ihnen tatsächlich gar keine derartigen Strafanzeigen vorgelegt bekamen, die sie hätten unterdrücken sollen. Den Beschuldigten wurde lediglich „psychische“ Beihilfe zu dem Euthanasie-Morden vorgeworfen, da sie durch ihr Schweigen während und nach der Konferenz bei denen, die diese Morde befahlen, nicht wenigsten Zweifel an deren verbrecherischem Tun hervorgerufen hätten.
Die Ermittlungen gegen die Teilnehmer der Schlegelberger-Konferenz blieben in den Mühlen der bundesrepublikanischen Justiz stecken und wurden 1970 nach zehn Jahren ohne Ergebnis eingestellt. Uns interessiert an dieser Stelle nicht, warum die Ermittlungen eingestellt wurden.[1] Wir wissen auch nicht, wie in Itzehoe das Urteil über die KZ-Schreibkraft ausfallen wird. Worauf hier das Augenmerk gelenkt werden soll, sind die strengen Maßstäbe, die unsere Justiz oder zumindest unsere Staatsanwaltschaften an den Tatbestand der Beihilfe anlegen, und das unter nationalsozialistischen Verhältnissen, in denen eine Verweigerung die Beschuldigten in Gefahr für Freiheit, Leib und Leben bringen konnte. Diese strengen Maßstäbe finden ihre Rechtfertigung darin, dass es hier um das schwerste Verbrechen unserer Rechtsordnung geht, nämlich um Mord bzw. Beihilfe zum Mord.
[1] Zur sog. Schlegelberger-Konferenz und deren Behandlung durch die bundesrepublikanische Justiz sehr ausführlich: Christoph Schneider, Diener des Rechts und der Vernichtung. Das Verfahren gegen die Teilnehmer der Konferenz von 1941 oder: Die Justiz gegen Fritz Bauer, Frankfurt/New York 2017
https://diskurs-hamburg.de/
Eröffnung des Hauptverfahrens im sog. Stutthof-Prozess wegen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit des Angeschuldigten abgelehnt
10.03.2021Claudia Otte (Redaktion)
Die 3. große Strafkammer als 1. Jugendkammer des Landgerichts Wuppertal hat mit Beschluss vom heutigen Tage (10.03.2021) die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den 96-jährigen Harry S. aus Wuppertal wegen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit abgelehnt und zugleich entschieden, dass dieser die ihm im Verfahren entstandenen Auslagen selbst zu tragen hat.
Foto: C.Otte ©Claudia Otte
Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeschuldigten vorgeworfen, als Heranwachsender Beihilfe zum Mord in mehreren hundert tateinheitlich zusammentreffenden Fällen geleistet zu haben, während er ab Ende Juni 1944 und bis zum 08.05.1945 dem SS-Totenkopfsturmbann Stutthof zugeteilt gewesen sei und im dortigen Konzentrationslager Wachaufgaben übernommen habe.
Die als Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen zuständige Staatsanwaltschaft Dortmund hatte gegen den Angeschuldigten sowie eine weitere, im Kreis Borken wohnhafte, Person zunächst Anklage vor dem Landgericht Münster erhoben. Während das Landgericht Münster die Anklage gegen den Mitangeschuldigten zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet hatte, hat es das Verfahren gegen den hiesigen Angeschuldigten abgetrennt und die Entscheidung insoweit zurückgestellt, weil dieser im Hinblick auf eine mögliche Verhandlungsunfähigkeit weiter begutachtet werden sollte.
Mit Beschluss vom 29.03.2019 hat das Landgericht Münster das bei ihm anhängige Verfahren gegen den Borkener Angeschuldigten endgültig eingestellt, nachdem sich zwischenzeitlich eine dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten ergeben hatte und damit ein gesetzliches Verfahrenshindernis bestand. Wegen der weiteren Einzelheiten zum dortigen Verfahrensablauf nehme ich Bezug auf die Pressemitteilungen des Landgerichts Münster, die unter folgendem Link abrufbar sind: https://www.lg-muenster.nrw.de/behoerde/presse/Meldungen/ZT_Archiv/2019_04_03_Stutthoff-Prozess/index.php. Auf die entsprechende Anfrage des Landgerichts Münster hat die bei dem Landgericht Wuppertal zuständige Strafkammer das Verfahren gegen den hiesigen Angeschuldigten im Hinblick auf dessen Wohnort sowie die endgültige Einstellung des Verfahrens gegen den zweiten Angeschuldigten mit Beschluss vom 27.11.2019 übernommen und seitdem dessen ärztliche Begutachtung fortgesetzt.
Mit dem heute erlassenen Beschluss hat die Kammer die Eröffnung des Hauptverfahrens aus Rechtsgründen abgelehnt, weil der Angeschuldigte nach ihrer Überzeugung auf Grund seines Gesundheitszustandes dauerhaft verhandlungsunfähig ist. Er sei auf Grund seines körperlichen Zustandes nicht mehr in der Lage, in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen. Die Kammer folgt damit den Feststellungen und der Beurteilung eines medizinischen Sachverständigen, der sein abschließendes Gutachten neben den von ihm selbst gewonnenen Erkenntnissen auch auf verschiedenste fachärztliche Beiträge und Stellungnahmen stützt. Nach der mit dem Gutachten übereinstimmenden Auffassung der Kammer ist auf Grund von Art und Intensität der Beeinträchtigungen des Angeschuldigten weder die Durchführung einer Hauptverhandlung in angepasster Form – etwa durch eine Beschränkung der täglichen bzw. wöchentlichen Verhandlungszeit oder durch Hinzuziehung von Hilfsmitteln – möglich noch eine zukünftige Verbesserung des Gesundheitszustandes zu erwarten.
Die Kammer hat jedoch davon abgesehen, die dem Angeschuldigten im laufenden Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, was der gesetzliche Regelfall wäre. Sie stützt sich Landgericht Wuppertal dabei auf die Vorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 der Strafprozessordnung (StPO), nach welcher eine solche Kostenüberbürdung unterbleiben kann, wenn der Angeschuldigte wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.
Dies ist nach der von der Kammer gewonnenen Überzeugung der Fall, wobei sie in ihrer Entscheidung ausdrücklich darauf hinweist, dass dies keine echte gerichtliche Schuldfeststellung impliziere, die vor dem Hintergrund der fortbestehenden Unschuldsvermutung allein nach Durchführung der Hauptverhandlung getroffen werden könne und zu der sie folglich im Zwischenverfahren weder befugt noch in der Lage sei. Allerdings sei es im Rahmen der zu treffenden Kostenentscheidung ausreichend, dass zum Zeitpunkt des Eintritts des Verfahrenshindernisses ein erheblicher Tatverdacht bestehe.
Nach Auffassung der Kammer besteht nach Aktenlage indes ein ganz erheblicher Tatverdacht im Hinblick auf die dem Angeschuldigten vorgeworfene Beihilfe zum Mord in mehreren hundert tateinheitlich zusammentreffenden Fällen. Dabei erachtet sie die Existenz und den Betrieb des Konzentrationslagers Stutthof sowie die dort begangenen Morde in Gestalt gezielter Tötungsaktionen sowie durch die willentliche Herbeiführung oder das Bestehenlassen auf die Vernichtung menschlichen Lebens gerichteter Lebensumstände als größtenteils historische Fakten, welche in der Vergangenheit bereits mehrfach Gegenstand gerichtlicher Verfahren gewesen und rechtskräftig festgestellt worden seien.
Hierzu würden u.a. die massenhafte Tötung von Häftlingen durch den Einsatz des Giftgases Zyklon-B in der im Lager vorhandenen Gaskammer sowie in einem präparierten Waggon einer Schmalspurbahn ebenso wie Erschießungen mittels einer „Genickschussanlage“ oder das tödliche Injizieren von Benzin oder Phenol unmittelbar in das Herz von selektierten und in den Krankenblock des Lagers verbrachten Häftlingen und nicht zuletzt die besonders lebensfeindlichen Bedingungen, denen die Häftlinge bewusst ausgesetzt wurden und die sich vor allem zum Ende der Tatzeit hin nochmals dramatisch verschlechterten, gehören.
Aus der Aktenlage sowie auf Grundlage eines eingeholten historischen Sachverständigengutachtens lasse sich der erhebliche Tatverdacht ableiten, dass der Angeschuldigte zwischen Ende Juni 1944 und jedenfalls Ende April 1945 als SS-Wachmann im Konzentrationslager Stutthof tätig gewesen sei und seinen Wachdienst dort jedenfalls rollierend in der Postenkette um das Lager und bei der Absicherung fortlaufend im Lager eintreffender Häftlingstransporte, als Torposten, bei der Bewachung von Arbeitskommandos und ggf. auch (was in der Hauptverhandlung zu klären gewesen wäre) auf den Wachtürmen versehen habe.
Gleiches würde für seinen Einsatz als Begleiter bei einem Vernichtungstransport gelten, der das Lager Stutthof in Richtung Auschwitz-Birkenau am 10.09.1944 mit 598 Menschen, von denen dort später 596 in Gaskammern ermordet worden sein sollen, verlassen habe. Ausweislich einer namentlichen Meldung soll der Angeschuldigte einer von elf Männern seiner Einheit gewesen sein, die für die Bewachung des Transports abgestellt worden seien. Diese dem Angeschuldigten zur Last gelegten Tätigkeiten hätten zunächst rein tatsächlich zur Absicherung des Lagerbetriebes beigetragen, indem etwa Häftlinge bereits beim Anblick des Angeschuldigten als Teil der Postenkette, der Bewachung des Zugangs zum Lager oder beim Arbeitseinsatz sich nicht getraut hätten, einen Gedanken an Flucht zu fassen und durch ihren Verbleib im Lager dem verübten Massenmord zum Opfer gefallen seien.
Diese Handlungen hätten aber nicht nur rein tatsächlich die Aufrechterhaltung des Lagerbetriebs und die dort verübten Verbrechen gefördert, sondern auch in Gestalt einer psychischen Beihilfe dazu geführt, dass sich die Lagerleitung der Unterstützung, des Gehorsams und der Verfügbarkeit der SS-Wachmänner habe bewusst sein können und in der (zutreffenden) Vorstellung bestärkt worden sei, dass die bestehende und von der Lagerleitung für das Konzentrationslager Stutthof umgesetzte Befehlslage durch den Einsatz der Wachmänner „erfolgreich“ zur Ausführung habe gebracht werden können.
Nach Auffassung der Kammer ist auch mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Angeschuldigte die Tragweite und Dimension des im Konzentrationslager Stutthof verübten Massenmordes hinreichend konkret erkannt und gewusst habe, dass er durch seine eigene Mitwirkung im Wachdienst die von anderen verübten grausamen und teilweise heimtückisch begangenen Mordtaten förderte.
Diese hätten ihm während seiner zehnmonatigen Dienstzeit im Lager nicht verborgen bleiben können. Gegen den heute erlassenen Beschluss steht der Staatsanwaltschaft und den zugelassenen 24 Nebenklägern und im Hinblick auf die Auslagenentscheidung auch dem Angeschuldigten das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu, welches binnen einer Frist von einer Woche ab Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen wäre und über welches das Oberlandesgericht Düsseldorf zu befinden hätte.
Landgericht Wuppertal
– 23 KLs 19/18
Staatsanwaltschaft Dortmund
– 45 Js 2/16
Landgericht Münster
– 10 KLs 13/17
Quelle: Landgericht Wuppertal
https://www.njuuz.de/beitrag62409.html
5. Stellungnahme der vom Amtsgericht Mosbach beauftragten forensischen Sachverständigen aus Kitzingen zu historischen Nazi-KZ Stutthof-Verfahren und -Prozessen sowie zu gegenwärtigen NS-Prozessen im 21.Jahrhundert
Das Familiengericht-Amtsgericht Mosbach, Hauptstraße 110, 74281 Mosbach, beauftragt die forensische Sachverständige aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21, die Anti-Nazi-Aktivitäten des KVs und Antragstellers in einer ergänzenden Stellungnahme gutachterlich einzuschätzen und zu bewerten.
Dazu zählen laut Anweisungen dieser amtsgerichtlichen Verfügungen SOWOHL die seit Sommer 2022 vom Antragsteller beim Amtsgericht Mosbach initiierten NS- und Rechtsextremismus-Verfahren ALS AUCH seine außergerichtlichen und gerichtlichen Aufklärungs- und Aufarbeitungsbemühungen zu Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen aus dem Zeitraum um 2008, d.h. konkret von 2004 bis 2011, im Rahmen seiner sogenannten "Nazi-Jäger"-Aktivitäten im sachverhaltsbezogenen Kontext zur Problematik des Nationalsozialismus vor und nach 1945 und dessen Aufarbeitung bis heute. Siehe dazu auch Kapitel 1 auf dieser Seite.
Während die vom Familiengericht-Amtsgericht Mosbach beauftragte forensische Sachverständige aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, zunächst EINERSEITS ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten in einem Umfang von über 100 Seiten zum 07.04.2022 unter 6F 202/21 erstellt hat, entschließt sich dieselbe Gutachterin sodann, ANDERERSEITS eine ergänzende Stellungnahme von zwei ganzen DIN A4-Seiten im sachverhaltsbezogenen Kontext zur Problematik des Nationalsozialismus vor und nach 1945 und dessen Aufarbeitung bis heute, insbesondere zum Kontext der historisch nachgewiesenen Beteiligungen an NS-Massenmordverbrechen in Mosbach wie Judenverfolgung und Holocaust, NS-Verfolgung von Sinti und Roma, Nazi-Euthanasie unter 6F 202/21 zum 31.08.2022 an das Amtsgericht Mosbach zu generieren.
Die forensische Sachverständige aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, ERWÄHNT LEDIGLICH MIT EINEM WORT DEN "NATIONALSOZIALISMUS" auf Seite 2, Absatz 2 und erwähnt lediglich mit einem Satz auf Seite 2, Absatz 2, dass der Antragsteller von NS- und Rechtsextremismus-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach sich gegen den Nationalsozialismus wendet.
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen hat hier die GERICHTLICH BEAUFTRAGTE EINDEUTIGE GELEGENHEIT gehabt, mit einer entsprechend beim Amtsgericht Mosbach beantragten Fristverlängerung SICH SACHLICH UND FACHLICH auch auf über 100 Seiten bezüglich der Nazi-Thematik bzw. der Nazi-Problematik vor einem deutschen BRD-Gericht EXPLIZIT ZU ÄUSSERN. Diese Gelegenheit für eine sachliche und fachliche gutachterliche Expertise zum Nationalsozialismus und nationalsozialistischen Verbrechen, deren Auswirkungen und Aufarbeitungen nach 1945, u.a. auch in Mosbach, besteht zukünftig weiterhin jederzeit für die forensische Sachverständige aus Kitzingen.
Siehe dazu auch:
Das Amtsgericht Mosbach BEAUFTRAGT EXPLIZIT in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZU sogenannten NAZI-JÄGER-AKTIVITÄTEN MIT NS-PROZESSEN, VERURTEILUNGEN VON NS-TÄTER*INNEN, auch zu NS-Prozessen im 21. Jahrhundert, d.h. auch in 2022 laufenden und noch künftigen NS-Prozessen, etc. IN DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG NACH 1945 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach mit seinen jahrelangen Bemühungen um die außergerichtliche und gerichtliche Aufarbeitung von Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
EINERSEITS:
Mit den Verfügungen des Familiengerichts-Amtsgericht Mosbach vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 hat die gerichtlich beauftragte forensische Sachverständige aus Kitzingen nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Chance und das gerichtliche explizite Angebot, sich sachlich und fachlich zur NS-Vergangenheitsbewältigung seit 1945 bis heute, auch zur NS-Vergangenheitsbewältigung und Nazi-Kontinuität in Mosbach und in Baden-Württemberg, AUSFÜHRLICH EXPLIZIT gutachterlich zu äußern.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 ZU DEN JURISTISCHEN NS-VERFAHREN ALS TEIL DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG, d.h. sowohl zu den seit 1945 bis heute geführten NS-Prozessen, als auch zu den in 2022 noch laufenden NS-Prozessen und zu den künftigen NS-Prozessen.
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 ZU DEN JURISTISCHEN NS-VERFAHREN ALS TEIL DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG INKLUSIVE DER ROLLE DER DEUTSCHEN JUSTIZ, d.h. sowohl zur Rolle der deutschen Justiz bei den seit 1945 bis heute im 21. Jahrhundert geführten NS-Prozessen, als auch zur Rolle der deutschen Justiz bei den in 2022 noch laufenden NS-Prozessen und bei den künftigen NS-Prozessen.
UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz und Politik.
UND DIES OBWOHL das Amtsgericht Mosbach in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 die forensische Sachverständige aus Kitzingen EXPLIZIT BEAUFTRAGT, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZU NS-PROZESSEN am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach mit seinen jahrelangen Bemühungen um die außergerichtliche und gerichtliche Aufarbeitung von Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 ZU DEN NAZI-JÄGER-AKTIVITÄTEN MIT VORBEREITUNGEN UND DURCHFÜHRUNGEN VON NS-PROZESSEN, VERURTEILUNGEN VON NS-TÄTER*INNEN, auch zu NS-Prozessen im 21. Jahrhundert, d.h. auch in 2022 laufenden und noch künftigen NS-Prozessen, etc. IN DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG NACH 1945.
UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz und Politik.
UND DIES OBWOHL das Amtsgericht Mosbach in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 die forensische Sachverständige aus Kitzingen EXPLIZIT BEAUFTRAGT, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZU NAZI-JÄGER-AKTIVITÄTEN MIT VORBEREITUNGEN UND DURCHFÜHRUNGEN VON NS-PROZESSEN am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach mit seinen jahrelangen Bemühungen um die außergerichtliche und gerichtliche Aufarbeitung von Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum konkreten Sachverhalt der Rechtsaufassung des baden-württembergischen Justizministeriums unter JUMRIX-E-1402-41/878/4 vom 20.06.2022 einerseits, das auch noch heute und künftig NS-Verbrechen von der deutschen Justiz verfolgt würden, was aber andererseits der Rechtsauffassung des Amtsgericht Mosbach in seiner Verfügung vom 17.08.2022 unter 6F 9/22 diametral entgegensteht, dass es nicht Aufgabe des Gerichts sei, die NS-Vergangenheit aufzuarbeiten.
UND DIES OBWOHL hier das Amtsgericht Mosbach in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 diese Gutachterin mit der Sachverständigen-Aufklärung der seit Sommer 2022 vom Antragsteller beim Amtsgericht Mosbach initiierten NS- und Rechtsextremismus-Verfahren EXPILZIT BEAUFTRAGT.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zu den vom zu begutachtenden Antragsteller von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach seit 2022 initiierten NS- und Rechtsextremismusverfahren; zum Umgang des Amtsgerichts mit Mosbach mit diesen NS-Verfahren; zu den vom Antragsteller dementsprechend initiierten Dienstaufsichtsbeschwerden und Anhörungsrügen gegen den fallverantwortlichen Spruchkörper beim Amtsgericht Mosbach.
UND DIES OBWOHL das Amtsgericht Mosbach in seiner Verfügung vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen EXPLIZIT BEAUFTRAGT, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZUR NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
UND DIES OBWOHL die Gutachterin aus Kitzingen vom Amtsgericht Mosbach am 17.08.2022 unter 6F 202/21 EXPLIZIT BEAUFTRAGT ist, eine gutachterliche Stellungnahme zum Nationalsozialismus und dessen Aufarbeitung nach 1945 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren und eben gerade zu diesen beim Amtsgericht Mosbach seit 2022 initiierten NS-Verfahren abzugeben.
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Siehe auch: